Radiohead – Das Prinzip Radiohead

24.03.2011
Foto:XL Recordings
Während sich derzeit die Journaille über die ästhetische Größe des neuen Radiohead-Werkes __The King Of Limbs__ die Köpfe zerbricht, fragt sich unser Autor Daniel von der Vring, wieso man diese Band nicht so richtig doof finden kann.

Während sich derzeit die Journaille über die ästhetische Größe des neuen Radiohead-Werkes The King Of Limbs die Köpfe zerbricht, bleibt unabhängig von dieser Bewertungsrhetorik festzustellen, dass ein neues Radiohead-Album eine Relevanz auszustrahlen scheint, die keiner zweiten Rockband dieses Planeten zu eigen ist. Radiohead kann man nicht so richtig doof finden. Doch woran liegt das? Was ist es, dass die Musik Radioheads zu jener Sphinx macht, die stets mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet?

Das Bildnis des Thom Yorke
Unbestritten ist wohl, dass sich mit OK Computer die Rockmusik grundlegend verändert hat. Und auch die nachfolgenden Alben haben den Status, den Radiohead seither innehatte, bestätigt, wenn nicht gar verstärkt. Egal, ob man sich nun Popmusik-Liebhaber, Rocker, Blues-Melancholiker, Elektronik-Frickler oder Jazz-Freaks nennt, es scheint, als finde jeder einen Faden des persönlichen Bezugs in der Musik der fünf Mannen aus Oxford. Radiohead schaffen es also in ihrer Musik stets einen Platz für den Hörer bereit zu halten. Vergleicht man dies mit einem Bild, so liest jeder Betrachter, da er mit einem anderen Hintergrund und anderem Vorwissen versehen ist, etwas anderes in dieses Bild hinein. Übertragen auf die Musik, bedeutet dieses Prinzip, dass jeder Hörer einen Bezugspunkt findet, um sich mit der Musik zu verbinden. Man wird quasi ein Teil des Stückes. Ob dies nun über den Text, den Aufbau eines Songs, die Harmonien oder über den Spannungsbogen funktioniert, spielt dabei keine Rolle. Voraussetzung jedoch ist, dass es einen Raum für eine solche Einschreibung gibt. Radiohead erschaffen diesen wieder und wieder, auf eine sehr eigene Art und Weise.

Die Songs bauen nicht immer eine Welt auf, sondern zeigen ganz deutlich, dass sie eben Songs sind. Sie stehen zu ihrer Künstlichkeit. Und genau das eröffnet dem Hörer einen persönlicheren Zugang zur Musik.

Das Ich als fehlendes Puzzlestück*
So wird in vielen ihrer Songs auf etwas Wert gelegt, was in der Popmusik mitunter als Qualitätsmangel gelten dürfte. Die Stücke legen die Prozesse offen, aus denen sie entstehen. Ganz im Gegenteil zu den aalglatten, geschönten Produktion moderner Populärmusik, wird hier durch die programmatische Dekonstruktion der Songstrukturen und der Harmonien das Gerüst sichtbar. Die Songs bauen nicht immer eine Welt auf, sondern zeigen ganz deutlich, dass sie eben Songs sind. Sie stehen zu ihrer Künstlichkeit. Und genau das eröffnet dem Hörer einen persönlicheren Zugang zur Musik. Die Musik wird mit der eigenen Persönlichkeit aufgeladen. Die oft skizzenhaften Darstellungen der Stücke bieten eben diesen Platz für den Hörer und werden so mit ihm verbunden. Das soll jedoch nicht heißen, dass Radiohead-Songs unfertig oder nicht komplett sind. Genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade durch persönlichen Bezug werden die Stücke erst komplett. Kann man als Hörer nichts mehr zu einem Stück hinzufügen, wird es stets nur als Randnotiz fungieren und haltlos und uninteressant bleiben. Thom Yorke und die Seinen schaffen durch die Dekonstruktion nur die Möglichkeit der emotionalen Füllung. Alles weitere geschieht im Kopf des Rezipienten.

Kneifen und beißen
Die Wege, über die die zu füllenden Stellen geschaffen werden, sind ebenfalls nicht vorgegeben. So kann dies durch eine starke Reduktion der Mittel geschehen, durch die Brechung von Rhythmik und Aufbau oder eben auch durch das Weglassen von Bestandteilen. Durch die Brechung der Rhythmik wird beispielsweise automatisch ein Nachdenken über den Rhythmus als solchen provoziert. Sobald das Erwartete nicht erfüllt wird, führt dies zur Korrigierung der eigenen Annahmen und zur Neuausrichtung. Nur selten schaffen Bands den Spagat zwischen dem gekonnten Brechen der Strukturen und dem damit einhergehenden Nachdenken über die eigene Erwartung und dem kompletten Klangbild. Die Kunst liegt also darin einen kompletten Song zu schreiben, der aber noch persönlich vollendet werden kann. Radiohead produzieren immer wieder Momente, die einen stocken lassen. Der Hörer stolpert gewissermaßen über Ausreizungen die die Band immer wieder vornimmt. Sie gehen weiter als die meisten anderen Musiker. Sie haben den Hang zur klugen Provokation und steten Weiterentwicklung. Nur mit dem Weitertreiben der musikalischen Möglichkeiten können sie immer wieder gängige Meinungen und Vorstellungen überkommen. Erstaunlich ist, in welcher Regelmäßigkeit die Band das schafft. Immer wieder sprengen sie Grenzen und Modelle bis man nur noch ein Prinzip zur Beschreibung hat und das ist nur Radiohead selbst. Radiohead sind schon lange die Techno-Heads der Rockmusik und die Jazzer des Pop, zu populär um Underground zu sein und zu individuell, um in Genregrenzen gesteckt zu werden. Die Ausdehnung und Ausreizung bis eigentlich kein Maßstab mehr genügt, ist der Schlüssel zur Einzigartigkeit der Band. Ob dies nun Vermarktungsstrategien, Artworks, öffentliche Darstellung oder eben die Weiterentwicklung und Sprengung von Konformitäten angeht, Radiohead spielt mit all diesen Mitteln. Und vor Allem mit Ideen. Radiohead testen Prinzipen und Standards auf ihr Haltbarkeit und kommen somit immer wieder in die Position eben diese Normen zu erweitern.

Die Kunst liegt also darin einen kompletten Song zu schreiben, der aber noch persönlich vollendet werden kann.

Die Könige der Leerstelle*
Auch auf ihrem neuen Album The King Of Limbs lassen sich diese Prinzipien Radioheads erkennen. Schon der Opener Bloom, der mit mehrschichtigen, holpernden Drums und sich immerfort korrigierenden, flimmernden Synthie-Loops in das Album führt, zeigt das Prozesshafte nur zu gut. Gerade, auf Hochglanz polierte Rhythmen und Soundflächen sucht man vergebens. Vielmehr wird das Unfertige, ein holperndes Drumkit und die ins Eiern geratenen Korrigierungen der Syntheziser, herausgestellt. Weit entrückt schwebt darüber, die sich endlos im Hall verlierende Stimme Thom Yorkes, die dem Ganzen einen noch irrealeren Stempel aufdrückt. Morning Mr Magpie überrollt uns mit einem Staccato-Bass und leicht verzögerten Hi-Hats, die erst nach einigen Laid-Back-Schlägen wieder auf den Bass treffen. Immer wieder wird dies dann auf die Spitze getrieben, indem der instrumentalen Seite eine weitere hinzugefügt wird. Die elektronischen Bassflächen und sich anhebenden Synths bauen sich kurz zu einer lärmenden Wand auf, die dann wieder ins Nichts verschwindet und uns mit der Stimme Yorkes zurücklassen. Immer wieder ver- und entwirren Radiohead das Soundgeflecht und schaffen die kontemplativen Effekte, die die Mittel des Songs ausstellen. Mit Feral wird das Aufzeigen der unterschiedlichen Song-Ebenen wohl am deutlichsten. Beginnend mit dem einfachen Ryhthmus, werden die Gesangsebene mit Filtern belegt und eine zweite Drumfläche partiell eingeschoben, die dann in den Vocalsamples aufgelöst wird und nach einer kurzen Phase der Klarheit wieder in Dopplungen übereinander gelegt werden und uns noch hilfloser stehen lassen, um am Ende mit einem Basslauf in Lotus Flower überleitet. Lotus Flower und Codex sind wohl die klarsten und zugänglichsten Songs auf The King Of Limbs. Beide setzen weniger auf brüchige Vocalsamples, als auf hallende Vocalflächen und auf Melodie. Besticht die erste Hälfte des Albums noch durch seine Rhythmus-Attacken, so setzen sich in der zweiten Hälfte durchgehend die ruhigeren, melodiebasierten Songs durch. Weniger die Brechung der Rhythmen, als vielmehr das Einsetzen der geloopten Vocals, der enormen Flächen und die Reduzierung der Mittel sind hier ausschlaggebend für die Produktion der Leerstellen. Mit Seperator werden die beiden Teile des Albums dann schlicht vereint und dienen praktisch als Fazit. Hier treffen die komplexen Rhythmen auf die klaren Melodien und generieren eine Gewissheit, dass Radiohead wieder einmal bewiesen hat, dass der Mut zur Brechung und Offenlegung der Mittel einen wirklichen Mehrwert in sich trägt.