Gerard – Und alle schreien »Casper«

25.11.2013
Foto:Andy Kassier
Das Jahr nähert sich den Bestenlisten. Wir nähern uns einem Album, das in diesen Listen vorkommen wird. »Blausicht« war eine der spannendsten deutsch-sprachigen Alben. So spannend, dass für viele nur Casper als Vergleich funktionierte.

Alle schreien immer gleich »Casper«. Sie schreien es, sobald ein Deutsch-Rap-Album erscheint, das mehr Indie-Blog als Kopfnicker-Cypher ist. Gerards »Blausicht« ist so ein Album. Selten, dass ein deutschsprachiges Rap-Album so den (musikalischen) Stand der Kunst abbildet. Casper schafft das inzwischen regelmäßig, was sicherlich ein Grund ist, warum er (Casper) oft als Vergleich herangezogen wird, wenn es um Gerard geht. Das lässt sich allerdings eher als Armutszeugnis für die Vielfältigkeit von Rap-Releases in deutscher Sprache deuten – sonst würden andere und v.a. differenziertere Vergleiche herangezogen werden. »Blausicht« hat Melodien, Spannungsbögen, Hooks, Pop-Appeal. Das gibt es so zwischen Alpen und Nordsee scheinbar nur noch bei Casper und doch sind »Blausicht« und »Hinterland« zwei komplett verschiedene Alben. Während Casper sich aus Einflüssen irgendwo zwischen Broken Social Scene und A$AP Ferg seinen Sound der Gegenwart zusammenkleistert, hat Gerard gemeinsam mit NVIE Motho und DJ Stickl den Sound semi-professioneller Cloud-Rap-Soundcloud-Produzenten genommen, bis zum Hochglanz poliert und dramaturgisch inszeniert. Es ging darum, gute Songs zu schreiben. Vielfach-Reime, Silben-Raspeleien und harte Punches mussten sich hinten anstellen, während vorne die Musik bedient wurde. Und das ist tatsächlich eine Parallele zu Casper: Wie dieser hat auch Gerard das Gefühl, die »Rap-Dues gepaid« zu haben, was er mit einem Grinsen äußert. Um seine musikalische Vision umzusetzen, reichten die Möglichkeiten von reinem Rap einfach nicht mehr. Das sagen beide, Gerard und Casper. Trotzdem geht es am Ende des Tages um den Respekt der Rap-Gemeinde, die es immer schafft ihre flügge gewordenen Kinder zu zwingen, sich zu rechtfertigen. Auf die Frage, ob er denn überhaupt noch Hip Hop sei, antwortet Gerard: »Ich finde unser Projekt als Ganzes voll HipHop. Weil wir diese Hip Hop-Attitude haben, dass wir alles selber machen. Ohne Plattenfirma und uns von keinem reinreden lassen. Ich kann ja auch rappen; ich habe ja zwei Alben und ein Kollabo-Album schon vorher gemacht. Es ist nicht so, dass wir jetzt Rap machen, weil es jetzt ›in‹ ist. Mir ist es also schon wichtig, dass ich von der Rap-Gemeinde respektiert werde«.

»Es ist nicht so, dass wir jetzt Rap machen, weil es jetzt ›in‹ ist.«

Gerard
Weil Gerard aus der Rap-Gemeinde kommt. Weil er nicht mit Ami-Rap, sondern sogar mit Deutschrap aufgewachsen ist. Eins Zwo erziehen Gerard als er noch in der österreichischen Kleinstadt Wels lebt, The Streets lehren ihm das Geschichten erzählen. Die Synths, der Schimmer, das Aufleuchten in Gerards Musik; all das hat man als Hörer wohl Gerards Umzug nach Wien zu verdanken: »Hudson Mohawke war vor sieben Jahren da und hat vor 30 Leuten gespielt. Wovon wir halt fünf waren. Wir sind so eh erzogen worden und dass das jetzt halt an die Oberfläche kommt, ist geil, aber wir hören das schon ewig«.

Ich, Wir, die Anderen
Diese Musik kann man mitsingen, als Masse in Wallung geraten. Auch hier ähneln sich Casper und Gerard: In ihrer Fähigkeit mit ihrer Musik mitzureißen. Doch da geht es um die Fähigkeit eingängige Melodien zu schreiben und v.a. um Emotionen – der Sound ist, wie eben besprochen, ein ganz anderer. Ein weiterer Unterschied kommt noch hinzu. Die Texte ähneln sich nämlich nur in einem: ihrer Identifikationsfläche. Die ist bei Casper und bei Gerard groß. Doch während das Publikum mit wilden Teenie-Herzen gemeinsam mit Capser »auf und davon« rennt, da feiert es bei Gerard einfach hier zu bleiben. Hier in der Gegenwart, hier an diesem Ort. Aus jeder Zeile auf »Blausicht« kann man den Zeitgeist nuckeln, die Themen 15 bis 25jähriger (grob). Das Schlagwort »Generation Maybe« wird oft benutzt, wenn man über Gerard liest. Der jedoch nimmt eine erfrischende Perspektive ein. Er genießt die Irrungen und Wirrungen, die mit all den Möglichkeiten kommen. »›Generation-Maybe‹ beinhaltet ja immer, dass man sich darüber beschwert. Bei ›Blausicht‹ geht es ums krasse Gegenteil. Es ist von einer optimistischen, hoffnungsvollen Seite angepackt. Es ist geil, dass wir so viele Möglichkeiten haben.«
Dass wir so viele Möglichkeiten haben. Komm’ mit ins Boot, wir schippern über diesen Ozean und wissen nicht wo wir ankommen. Das Wir ist wichtig auf »Blausicht«. Hier bin ich, hier sind Wir. Ihr seid da drüben. Denn ganz so »Juhu-All-Die-Möglichkeiten«, wie viele Rezenten das gerne hätten, ist »Blausicht« nicht. »Blausicht« ist auch ein Ringen. Indem Gerard sich abgrenzt, versucht er seinen eigenen Standort zu bestimmen; einfach nur irgendwo und überall zu sein, gelingt auch Gerard nicht. »Ich gehe drinnen im Kreis, während ihr draußen joggen geht« ist eine dieser Zeilen, die so deutlich eine Kluft reißt. Gerard positioniert sich, eine Wertung ist schnell reininterpretiert. Ihr seid die Spießer, hechtet allem hinterher und geht dann noch joggen – Körperkult und so. Ich denke hier drinnen über das Wesentliche nach. Ihr seid scheiße und deswegen bin ich gut. Gerard wehrt sich: »Ich habe mich aber bemüht, das nicht zu sagen! Der Entwurf von den anderen ist halt für mich persönlich scheiße. Aber genauso habe ich mich immer bemüht, dass ich klarstelle, dass mein Entwurf nur für mich oder ein paar andere gut ist, aber dass es auch nicht DIE Wahrheit für alle ist«. Gut möglich, dass 2014 dieser Entwurf als Vergleich herangezogen wird. Dann schreien alle »Gerard«.