Zwölf Zehner – Juli 2014

11.08.2014
Willkommen im August. Etwas spät, aber es war ja auch Urlaub. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat Juli musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Lil B ist der adoptionswürdigste Welpe wenn ihm Sachen am Herzen liegen und soviel kindliche Emotion wie in »No Black Person Is Ugly« bekamen wir zuvor selbst vom Based God selten. Gar fuchtelt er Rap-Tropen beschwörend in seinem Flohmarkt-Versace-Leibchen ungelenk aber liebenswürdig mit den Händen, das Metrum des Beats zunächst noch ungewöhnlich ernst nehmend, danach aber wieder übergehend in diesen predigenden Spoken Word Flow-Not-Flow und seine Botschaft im Refrain in viel zu vielen Silben pro Zeile verhuschend – und genau deswegen deren Tragweite eigentlich noch weiter pointierend. Das ist Dada, das ist Gaga, das ist toll, toll, toll auf einer künstlerisch ungeheuer meta-authentischen, menschlich aber auf einer so naiv-herzlichen Ebene, dass das oldschoolige Drumkit Lil Bs Stream of Consciousness Sermon noch liebenswürdiger macht. Das Heal The World für die Generation Tumblr, ganz klar.

Lil B’s »No Black Person is ugly« auf Youtube anhören

Ey, Internet. Da wohnt man eine halbe Stunde entfernt, muss sich Montezumas Rache aber von Beautiful Swimmer Ari G. via Facebook empfehlen lassen. Nun ja. Montezumas Rache ist ein Projekt aus Düsseldorf, das hört man in den krautigen Passagen von »Wu Du Wu« durchaus auch, dazu diese VitaminC-Funkiness in der Bassline und ein halluzinogenes Video, wie gemacht für den Salon des Amateurs. Würden Neu! sich heute gründen, nachdem sie sich zuvor bei einem Theo Parrish Set in den Armen gelegen hätten, wäre das nah an dem was Chris Pannenborg und Jan Schulte hier tun.

Montezumas Raches »Wu Du Wu« auf Youtube anhören

Tambien
Der Elf
ESP Institute • 2014 • ab 10.99€
Dieser Juli. Warum rausgehen in der wenigen Zeit, die einem bleibt, um Sonne zu tanken. Stattdessen sieben Staffeln Seinfeld aufholen. Ähnlich hypnotische Wirkung entfaltete da nur die vierte Maxi der bavarischen Boywonder aus dem Hause Public Posession: Tambien. Deren vierte Veröffentlichung, aber gefühlt schon der achte Hit. Diese monotonen 909-Snares auf »Der Elf« bohren sich tief in das Unterbewusstsein, dazu diese pychadelisch zerstückelte Frauenstimme, das ist schwitziger Trance in Reinform. Im August hilft nur noch Rausgehen und Durstlöschen. These Tambiens are making me thirsty.

Tambiens »Der Elf« auf Soundcloud anhören

Eigentlich könnte man sich als frischgebackener Nörgelweltmeister ja darüber echauffieren, dass Raekwon mit dem Patent seines Buddies Ghostface jeden Freitag das Internet Nüsse gehen lässt, indem er über alte Soulschmonzetten rappt ohne diese zu editieren oder zu loopen. Wie schon Tony Starks rappt auch der Chef über die Originale, unlängst tat er dies beispielsweise besonders beeindruckend über Sylvia Striplin, Luther Vandross und The Spinners und wir verlieren endgültig jegliches Verständnis für die Notwendigkeit hinfälliger Genre-Definitionen.

Raekwons »Give me your love« auf Soundcloud anhören

Wir sind alle froh, dass Trap jetzt endlich wieder im Zusammenhang mit rauschenden Memphis Tapes aus den Mitneunzigern gedacht werden kann und nicht jeder Kindergeburtstag nach dem Topfschlagen zu I Follow Rivers in einem Harlem-Shake-Flashmob kulminiert, aber wenn sich der eigentliche Tröt-Klirr-Rumms-Godfather Hud Mo nochmals bequemt all die Tnght-Gimmicks für seine neue Single zu reanimieren, dann finden wir das irgendwie charmant. »Chimes« hat alles, den ridikulösen Drop/Bassline-Punch, Simon Says-(M)arschtritte, technoid-futuristische Synths und nicht zu vergessen: grenzdebile Hundegebell-Adlibs. Und natürlich soundtrackt sich das gerade auch schon in einer Apple-Werbung ins kollektive Gedächtnis. Eigentlich ein adäquates Begräbnis. Wuff.

Hudson Mohawkes »Chimes« auf Soundcloud anhören

KMFH (Kyle Hall)
Down! / Our Love
Wild Oats • 2014 • ab 32.99€
Kyle Hall hat da gerade diese 7inch draussen. Auf der A-Seite mit »Our Love« wieder so ein funky R&B-Sample (für Identifizierung des Samples wären wir äußerst dankbar), das sich über diesen zerstörten Groove windet, der am Ende von diesem kosmischen Synthesizer Marke Tomita eingeholt wird. Die Crowd geht bananas. Ich auch. Dann aber die B-Seite. Prince. 1999. All the critics love you in New York. MPC. ADHS. Dance If You Want to. Kyle Hall wie vom Teufel geritten, ruff, rugged and raw. Wenn schon Edit, dann so.

Kyle Halls »DONZ CRITIQUE« auf hhv.de anhören

Die unverwüstliche Dickbürzeligkeit von Family Affair zeigt sich auch auf »Zygote«, einem neuen Freetrack, auf dem XXYYXX in nur zweieinhalb Minuten wüste Juke-Snares auf Mary J.s legendäre Kommandos legt und mit riskantem Pitchshifting diese Schluffigkeit in seine Kaugummi-Synths bekommt, die man vor zwei Jahren dann als wonky bezeichnet hätte. So ist das jetzt halt Juke & B für ADHSler.

XXYYXXs »Zygote« auf Soundcloud anhören

Ich mag »A little lost«, weil es sich komplett ums Küssen dreht. Ich liebe das Küssen. Wenn ich es den ganzen Tag tun könnte, ich würde es tun! Ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken. Ich ziehe es sogar dem Sex vor, weil es kein Ende gibt. Man kann bis in die Ewigkeit küssen. Man kann sich in Vergessenheit küssen. Man kann den ganzen Körper küssen. Man kann sich in den Schlaf küssen. Und wenn du dann aufstehst, kannst du nicht aufhören, übers Küssen nachzudenken. Verdammt, ich bekomme nichts geregelt, weil ich übers Küssen nachdenke. Küssen ist Wahnsinn! Aber es ist das absolute Paradies, wenn man einen guten Küsser findet. Nicht meine Worte, sondern die von Sufjan Stevens. Trotzdem co-sign. Dieser covert mit »A little lost« den unvergleichlichen Arthur Russel. Nuff said, weiterküssen!

Sufjan Stevens’ »A little lost« auf Soundcloud anhören

Erdbeerschnitzel
The Ample Waters
Delsin • 2014 • ab 8.99€
Geil endlich hat jemand einen Track der gemacht, der schmeckt wie Nogger Choc. Das Erdbeerschnitzel klopft für Delsin entspannt auf dem Holzstengel und spielt dazu eine zuckersüße Synth-Melodie ein, die leichter zerfließt als dieser Nougatkern, der viel zu wenig Liebe bekommt, wenn es um die Champions League Plätze für Speiseeis geht. Ähnliches könnte man auch über Erdbeerschnitzel und House Hypes sagen, aber das finden wir eigentlich zu sympathisch um uns darüber ernsthaft aufzuregen.

Erdbeerschnitzels »Never Tilt« auf Youtube anhören

I’m here now The Arrival – Einer dieser EPs, wie sie nur aus Detroit kommen können. Am Steuer der bereits über Omar-S’ FXHE-Imprint bekanntgweordene OB Ignitt, der auf seinem neu gegründeten Label Obonit Records jetzt noch größer in Erscheinung treten will. Drei fulminante Tracks, die alle Beachtung finden, aber von denen vor allem »Chocolate City (Uncle James Mix)« so richtig für Furore sorgt. Unheimlich verspielt, von einem aufbrausenden Narrator in Szene gesetzt, mit einer wuchtigen Bassline, nahezu proggig, ehe sich dieses Soulsample einschleicht, wie – siehe Eingangssatz – die frühen Theo und Kenny es so häufig zu benutzen pflegten. Killerplatte.

OB Ignitts »Chocolate City« auf Youtube anhören