Vinyl-Sprechstunde – Haftbefehls »Russisch Roulette«

03.12.2014
In unserer Kolumne diskutieren zwei Personen eine auf Vinyl veröffentlichte aktuelle Schallplatte. Florian Aigner und Philipp Kunze haben sich Haftbefehls viel besprochenes Album »Russisch Roulette« gemeinsam angehört.

Kunze: Die Zeit packt MIchel Focault aus bei ALLGOOD wiederum lässt man sich dazu hinreißen, erzwungenen Analsex als Vergleich heranzuziehen. Bei »Russisch Roulette« ist zunächst die Rezeption am bemerkenswertesten.
Aigner: Ja, und sie sorgt wieder fast dafür, dass mir der Spaß am Album fast ein bisschen vergeht.
Kunze: Ich kann mich nicht erinnern, wann Rap-Schland bzw. ganz Musik-Schland das letzte mal so eine polarisierende Kultfigur hatte wie Haftbefehl.
Aigner: Eventuell 2003 mit Bushido oder noch eventueller: »Mein Block« Und visuell hat dem deutschen Bürgertum halt nichts so sehr weh getan seit Azads »Napalm«.
Kunze: Ja, »Mein Block«! So gut wie der ist übrigens kein Song auf »Russisch Roulette«. Und der Azad-Vergleich bremst meinen Spaß; der ist mir zu pathetisch und Naidoo-ig.
Aigner: Haha, am Arsch, guck mal 90 Sekunden Napalm dann weißt du, was alle meinen.
Kunze: Achso, ja, Schocker halt. Aber angestrengte Stimme. Und weil ich Azad erst später kennengelernt habe, finde ich das aus der Perspektive einfach jämmerlich. Azad baut halt wie eine Wühlmaus auf Steroiden seine Geschütztürme und Hafti ballert aus dem Handgelenk mit einem Grinsen alles weg. Und genau das macht alles so geil.

Aigner: Ja, absolut. Ich habe ja auch das achtjährige Jubiläum von »Hell Hath No Fury« letzte Woche würdig damit gefeiert, dass ich einen Artikel über Backpulver gelesen habe. Und ohne Scheiß: für mich gibt es da wirklich Berührungspunkte. Und das ist im Deutschlandkontext schon ein starkes Stück.
Kunze: Für dich gibt es Berührungspunkte zwischen »Hell Hath No Fury« und »Russisch Roulette«??
Aigner: Allein wie er – auf dem musikalisch eher zur schlechteren Hälfte gehörenden – »Schmeiß den Gasherd an« mit den Doppeldeutigkeiten spielt, musste ich an Keys Open Doors denken. Ich kann es ja selbst kaum glauben.
Kunze: Okay, du meinst es ernst.
Aigner: Ja, ohne Scheiß.

CITI:»›Hell Hath No Fury‹und ›Russisch Roulette‹ – für mich gibt es da Berührungspunkte.«:### Kunze: Alter, Clipse haben damals einen ganz neuen Sound geschaffen, Hafti hat einfach nur das soundmäßig fetteste und modernste Deutschrap-Album gemacht, das ich kenne. Aber irgendwo »avant« im Sinne der Rapkunst ist das ja nicht.

Aigner: Nein. Aber es ist so konzentriert ausgewählt musikalisch, dass die Worte extrem mächtig wirken. Noch ein Vergleich, der weh tut: siehe »The Documentary«.
Kunze: Hahahaha, (Thomas Hayo Voice) »Come on«. Mächtig: Ja. Fett: ja. Ballert: ja, Aber mehr? Und: »The Documentary«?
Aigner: Hafti macht hier das, was er eigentlich schon davor extrem gut gemacht hat, nur fokussierter und diese Sequenz bis zum ersten ruhigeren Track: ja ey, Game.

Kunze: Ich finde das Album ja auch eine Kanone. Aber für mich klingt das alles mehr danach, als hätte sich Hafti hier einfach alles gegönnt, was er je machen wollte: hier den »The Art Of Peer Pressure«-Song da den »Fuck with me you know I got it«-Flow da sich den O.G.Bobby Johnson-Beat nachbauen lassen. Das ist für mich mehr austoben auf höchstem Niveau denn konsequenter Klassiker.
Aigner: Ok. Weißt du was: wir müssen gar nicht überlegen, ob das im dünnbesiedelten Biotop Deutschrap-Klassiker ankommt. Ist es schon, allein wegen der Rezeption bisher.

Kunze: Ja, das Album muss man halt echt im Schland-Changer-Kontext betrachten. Also stark finden wir es ja beide. Aber du musst mir jetzt dabei helfen, was daran so umwälzend ist und warum die Rezeption so ist, wie sie ist. Also die schiere Macht des Albums taugt mir als Erklärung, nicht aber seine künstlerische »Finesse«.
Aigner: Das sind ja zwei verschiedene Aspekte. Die Rezeption sehe ich ja selbst kritischer, weil ich da immer noch das ekelige Gefühl habe, dass sich das Feuilleton auf die vermeintliche Charles Bukowski-meets-NWA-Poesie gegenseitig einen abschrammelt, weil es so einfach ist. Eigentlich ist es halt der NWA-Moment, den Deutschrap immer dachte schon gehabt zu haben, aber jetzt irgendwie erst bereit ist zuzulassen. Also auf der Presseseite. Da wird so viel pädagogisiert und parallelgesellschaftet, dass man da Haftis Beobachtungen in dieses Pantheon von Straight Outta Compton erhebt. Ich glaube das ist übertrieben, wenn auch nachvollziehbar.
Kunze: Aber warum jetzt, bei Hafti? Weil er in Anführungszeichen authentisch ist?
Aigner: Weil ich halt auch finde, dass das bisher so perfekt verpackt niemand gemacht hat. Die frühen Berliner waren irgendwie böse, haben Schwanz und Mutter gesagt, dann kam Bushido, aber der war halt auch einfach schon immer eher Presslufthammer als Seismograph. Und bei Hafti ist das alles einfach auch leichter zu intellektualisieren, allein schon linguistisch.
Kunze: Findest du das sprachlich so in einer anderen Liga, dass es das ganze Gewichse rechtfertigt?
Aigner: Was da slangmäßig abgeht, ist auf jeden Fall eine andere Liga. Hähnchen verkaufen zwischen Jugendwort-Coins am laufenden Band – ich glaube, man kann sich da schon reinsteigern.
Kunze: Ja, ich habe echt lange nichts deutsches mehr gehört oder gelesen, bei dem ich so das Gefühl hatte, dass sich die Sprache unreflektiert selbst ernährt. Da befruchtet echt ein Wort das andere und alles klingt so selbstverständlich. Vielleicht das erste deutsche Album, zu dem ich gerne Chicken Wings essen möchte.
Aigner: Das ist ja German Ebonics wie man das wirklich noch nicht hatte. Das klang bei der ersten Begegnung vor einigen Jahren schon fremd, aber dann sind da jetzt diese ganzen Ellipsen, diese Knopfhosen von Adidas, die Nokia-Beobachtungen, all das was die Intellligentia ja völlig richtig als für deutsche Verhältnisse wirklich dichtes Geschichtenerzählen erkannt hat. In Amerika wäre das vom Sujet ein Album, das nichts aber auch gar nichts Neues bieten kann. Aber hier: game changing. Sieh an, ich benutze auch schon das Vokabular der Zeit.

Kunze: Aber schön zusammengefasst allemal. Trotzdem: ich finde es hier eigentlich genau den falschen Schritt, so sehr über den ganzen Uni-Kack zu reden. Weil »Russisch Roulette« halt endlich mal ein Album aus daitschem Lande ist, das alles kann, ohne nur eine Sekunde angestrengt zu wirken. Ich freue mich eher über die »I don’t like«-ness des Albums als über seinen linguistischen Mehrwert; weil akademischen Mehrwert findet man ja in jedem Hundekot. Aber selige Ignanz – die gibt’s musikalisch zu wenig und die gibt es hier.
Aigner: Danke, genau so ist es. Es gibt ja nichts einfacheres als French Montana und Jürgen Habermas in einem Satz zu sagen. Also ich möchte auch noch betonen, dass ich die Sequenz von Beginn bis zum zweiten Azzlacks-Teil wirklich als quasi perfekt empfinde. Außerdem, meine These: »Ich Rolle Mit Meim Besten« ist einer der drei besten Rap-Beats des Jahres. Weltweit. Auch das meine ich ernst.

CITI:» Die frühen Berliner waren irgendwie böse, haben Schwanz und Mutter gesagt, dann kam Bushido, aber der war halt auch einfach schon immer eher Presslufthammer als Seismograph.«:### Kunze: Puh, wie oft haben wir uns via irgendeinem Kanal dieses Jahr schon »BEAT» geschrieben. Und ich finde ja den Rick-Rubin-Meets-Just-Blaze »Affen Aus’m Zoo«-Beat fast noch besser…

Aigner: Ich weiß, aber das ist für mich unfassbar. Pharrell mit Timbo im Studio und Hud Mo sorgt dafür, dass die alten Herren nicht an den nächsten Till Schweiger-Soundtrack, sondern an das »Black Album« denken. Ich krieg da Gänsehaut, ohne Scheiß. »Affen Aus’m Zoo« ist auch unfassbar, ja.
Kunze: Wie gut der auf’s letzte Pusha-Album gepasst hätte.
Aigner: Eben. Und das ist für mich die Leistung des Albums: ich denke da an die USA. Bei allem. Und Frankreich, aber das wurde ja auch schon so häufig diskutiert.
Kunze: Vielleicht bin ich nicht so endgültig Gänsehaut-euphorisiert, weil mir das auf Dauer zu anstrengend ist. Einfach die Stimme: der Frosch, der Schrotflintenstaub und Morgensterne verschluckt hat. Flext natürlich, aber auf Album-Länge…

Aigner: Also ich bin mit den vierzehn Tracks glücklich, aber wenn man den Laden nach dem zweiten Azzlackz-Teil dicht macht, dann ist das Album von seiner Sprengkraft noch viel krasser.
Kunze: Kein Fan von »Anna Kournikova«?
Aigner: Wollte ich gerade ansprechen, danke. Jein. Also sehr geil, weil es eine metahumorige Ebene einbringt, die man bei Hafti ja auch in Interviews durchaus häufiger bekommt. Aber allein diese Wumme-Allegorie, die wurde schon dermaßen häufig und in Perfektion benutzt, dass ich das fast redundant finde, auch wenn das natürlich mit dem ganzen Autotune-Schmonz schon toll ist.
Kunze: Aber: Deutschrap braucht mehr Tracks, die einfach heißen, wie irgendjemand berühmtes #charlesBAKELY
Aigner: Auf jeden Fall. Ich freu mich auf Haftis Dikembe-Cover Würde das funktionieren? »Jay-Jay-Okocha – meine Chos wissen I gotcha oder so.« Gerade gemerkt, das wird nur bei Hafti klappen.
Kunze: Ein Jay-Jay Okocha-Tribut von Hafti. JA, bitte! Alleine, dass man sich einen Refrain, der aus nichts anderem als dem Namen Jay-Jay Okocha besteht und Strophen, in denen von Block-Fluren und Louis-Bags erzählt wird, als geil vorstellen kann, sagt eigentlich alles über das Album.

Aigner: Was ich irgendwie noch loswerden muss: Hafti ist ja schon irgendwo der deutsche E40, nur dass er damit halt direkt auf Wahlkampfplakate kommt. Das ist einerseits einfach, andererseits auch nicht, wo sich Deutschland so schwer tut, Sprachveränderungen zu akzeptieren. Ich weiß nicht, was es hier noch zu perfektionieren gäbe. Und deswegen nochmal: »The Documentary«. Alles gemacht was es zu tun gab. Rrrrrrasiert.
Kunze: Einen eigenen, zusammenhängenden Sound und kein »Best Of US-Rap 2012 bis 2014«, das gäbe es hier noch zu tun. Aber trotzdem: rrrrrasiert.
Ainger: Fair. Aber »Hell Hath No Fury« macht hier eh keiner. Deswegen: hör auf die Stimme in dir, hör auf die Stimme in dir!
Kunze: Okay, die Stimme in mir sagt: Baba Haft darf jetzt den Throne watchen.