Aigners Inventur – Februar 2018

07.02.2018
Der Mann mit dem härtesten Job der Welt ist zurück: Aigner schlägt sich für die erste Inventur des Jahres mit Reizdarm durch die Spotify-Hölle, umgeben von Hollister-Modeln, die Midlife-Crisis vor den Augen. Stehen wir es durch, togezer!
Ey Rap, du checkst einfach deine Dentalisierung viel zu spät, oder wie kann es angehen, dass mal wieder 95% der hier theoretisch an den Zahnarzt zu bringenden Rap-Releases noch nicht physisch zu erwerben sind? Besonders ärgerlich ist das jetzt nicht wegen des neuen Eminem Albums (lel), sondern, weil mit »Punken« von Maxo Kream gerade ein Album erschienen ist, das die Brücke zwischen Soundcloud und Gatefold so formschön zimmert, dass eigentlich jeder hier checkt, was Sache ist. Wer das jetzt nicht mitnimmt, hat auch 15 Jahre gebraucht für die UGK-Adoption.

Nicht ganz so dramatisch: Migos’ »Culture II« ist ebenfalls noch nicht physisch erwerbbar, angesichts diverser Überlängen und struktureller Redundanzen (kleiner Tipp: Guavo MUSS nicht unbedingt immer den ersten Vers übernehmen, ihr Schlingel) kann man das aber verschmerzen. Ich schwöre aber: wer in seiner Zahnarztpraxis das Picture-Cover von Teil 1 neben seine Approbation hängt, darf bei mir immer mit dem Faktor 3,7 abrechnen.

Haiyti
Montenegro Zero
Vertigo • 2017 • ab 24.99€
Kommen wir zu Tonträgern im herkömmlichen Sinne. Haiyti ist spätestens seit »Montenegro Zero« omnipräsentes Kulturphänomen, von Kitschkrieg teflonbeschichtete Oberbossin und für die von Deutschrap notorisch überforderten Feuilletons Diskursretterin. All das ist super, weil überfällig. Wenn ich Haiyti jetzt noch als Rapperin mögen würde, wäre alles noch schöner, aber Fahnenträgerin gegen Gesamtscheiße zu sein, reicht ja eigentlich auch.

Wolf Müller & Niklas Wandt
Instrumentalmusik Von Der Mitte Der World
Growing Bin • 2018 • ab 28.99€
Wenn wir hier schon am Querverweisen auf unsere Essaymaschine Cornils sind: sympathischer als Wolf Müller und Niklas Wandt kann man diese Fourth World Problems nicht lösen. »Instrumentalmusik von der Mitte der World« pupst der Manieriertheit der eigenen Szene ins Gesicht, kalauert sich mit B-Boy-Geist und Haushalts-Percussion durchs Paradise (TOGEZER, natürlich) und ist einfach eine komplett entkrampfte Verarbeitung von Kraut bis Tribal, von Düsseldorf nach Zaire. Ehrenmänner, echt.

Eiger Drums Propaganda
Eiger Drums Propaganda
Macadam Mambo • 2017 • ab 20.99€
Und noch eine super Percussion-Platte: Eiger Drums Propaganda veröffentlichen über Macadam Mambo einen ungestümen Ritt durch die Discogs-Wantlist und wir bedanken uns dafür, dass hier mal nicht nur A2 und B4 auch tatsächlich hörbar sind.

Garland
Predules #1
Lullabies For Insomniacs • 2017 • ab 19.99€
Im Westen des Landes muss man keinem mehr erklären, dass Phillip Jondo ein großartiger DJ ist, seine Produzententätigkeiten dürften aber selbst hier in der Heimat bisher nur einem kleinen Kreis zugänglich gewesen sein. Als Garland debütiert er nun gemeinsam mit Simon Weins direkt in voller Länge auf Lullabies For Insomniacs Das behutsam betitelte »Preludes #1« verbindet clever experimentelle Industrial-Collagen, Dub-Bass und Malaria-Tribal und klingt dabei in den besten Momenten wie die Nocturnal Emissions / Muslimgauze – Kollabo auf Staalplaat, die es nie gegeben hat.

Tapan
Europa
Malka Tuti • 2017 • ab 33.99€
Starke Maxis als Warmup vor der Herkulesaufgabe Debütalbum – im Falle von Tapan bereiteten diese perfekt vor, was jetzt auf »Europa« passiert: selten ein Album gehört, das so selbstbewusst Lokalkolorit (hach, Belgrad), gescrewten Wildpitch-Techno und unmuckiges Jazz-Proggertum eindampft, selbst bei Überlänge konsequent reduziert und dabei auch noch peripher die Tänzer im Blick behält.

TBZ
Og_Beers
Brew • 2017 • ab 13.99€
Perfektes Kontrastprogramm kommt von Tbz, der auf »OG Beers I« 13 Skizzen straight to Tape ballert, die in ihrer Eigensinnigkeit durchaus die Nähe zu James Pants offenlegen und erfrischenderweise BPM-Safespaces zwischen 110 und 125 BPM einen malzigen Schwall vor die Füße speien. Extrapunkte außerdem für Cowbell-Galore.


Hier entlang zu den Schallplatten von Aigners Inventur bei hhv.de.


Ramzi
Peze-Piton
12th Isle • 2018 • ab 18.99€
Poah,Ramzi, Bosslevel 3hunna. Da müht sich das gesamte PAN-Roster jetzt schon seit Jahren einen ab, die perfekte Formel für elektronische Musik im Web 4000PUNKTNULL zu dekonstruieren und gelöst wird das dann doch auf 12th Isle Nichts gegen PAN, aber vielleicht hilft dabei auch einfach mal ausatmen und so fieberträumig »Pèze-Piton« auch ist: hier gibt es Räume, die uns Bill Kouligas selten aufschließt.

M.E.S.H.
Hesaitix
Pan • 2017 • ab 20.99€
Hab’ euch angelogen, PAN brauchen wir immer noch. Vor allem wenn M.E.S.H. weiterhin solche Sachen wie »Hesaitix« veröffentlicht. Nicht nur weil Algorithmen-Ambient irgendwie beklemmender ist als alles andere, sondern vor allem auch, weil M.E.S.H. hier wieder Percussions clicken und clashen lässt, dass es manchmal so klingt, als hätte sich Jlins Motherboard einen Virus eingefangen.

M.E.S.H.
Hesaitix
Pan • 2017 • ab 20.99€
Klassischer versteht Huerco S Ambient, warum er das nun unter dem Namen Pendant tut, erschließt sich mir musikalisch zwar nicht (»Make Me Know You Sweet« klingt wie ein Huerco S Best Of), aber es gibt ja unter all diesen Millenial-Entschleunigern kaum jemanden, der die Subtilitäten, die aus Hintergrundrauschen Magie werden lassen, so kapiert hat wie der New Yorker.

Pendant
Make Me Know You Sweet
West Mineral Ltd. • 2018 • ab 30.99€
Vielleicht sogar noch mehr als sein Kumpel Terekke, dessen Tracks bei mir doch eher hängenbleiben, wenn da noch irgendwo im Hintergrund zumindest eine holzige Percussion zu erahnen ist. Aber keine Frage: die für Music From Memory aufgenommenen »Improvisational Loops« wären ideal um mit Kapuze im Gesicht durch den Wald zu stampfen (Zweite Staffel »Dark«, needwant).

TNC6
Sekundenschlaf
Blackest Ever Black • 2017 • ab 19.99€
Spätestens wenn man dort dann in die Höhle gekrochen ist, sollte man rüberskippen zu »Sekundenschlaf«, diesem zickigen Breakmonstrum von TNC6. In letzter Zeit selten so ein psychotisches Album gehört, hier ist nichts sicher und alles kann jederzeit in sich zusammenbrechen (Zweite Staffel »Dark«, NOW).

Phew
Voice Hardcore
Mesh-Key • 2017 • ab 27.99€
Ach, ey auch noch wichtig in Sachen »Dark«: Vielleicht mal etwas riskieren und statt Moderat einfach Phew für den Soundtrack lizenzieren. »Voice Hardcore« stellt im Vergleich zum letztjährigen »Light Sleep« die Stimme der Japanerin vollkommen ins Zentrum und heilige Scheiße, allein der Opener ist schon so creepy, dass ich direkt 160 Puls und Reizdarm bekomme vor Nervosität.

Nils Frahm
All Melody
Erased Tapes • 2018 • ab 23.99€
Realistisch gesehen läuft der Kompromiss dann ohnehin auf Nils Frahm hinaus, weil Nils Frahm mittlerweile der Kompromiss für alles ist: wem Techno zu hart, Neoklassik zu bieder, Avantgarde zu kompliziert, Synth-Pop zu verkokst, Trip Hop zu 90er, New Age zu esoterisch und Ambient zu unterkühlt ist: Nils holt euch ab. Man könnte aber auch einfach sagen, dass »All Melody» die personifizierte Spotify-Moodboard-Hölle ist.

Justin Timberlake
Man Of The Woods
RCA • 2018 • ab 26.99€
Übrigens voll geil, dass wir jetzt alle Justin Timberlake endlich kacke finden. Klar, gibt ja genug Anlässe: »Man In The Woods« ist normgecorter Americana-Chic straight von der Hollister-Stange, Justin ein privilegierter Oppurtunist, der vermutlich nicht zwei Sekunden darüber nachgedacht hat, ob es das richtige Signal ist, die Superbowl Halbzeitshow zu spielen und 2018 ziehen weder Timbaland noch Pharrell den Karren für ihn aus dem Dreck, but uuuuhm: spielt das alles überhaupt eine Rolle, wenn man dank »Cry Me A River« und »My Love«, sowieso nichts mehr zu beweisen hat und sich mir jetzt schon der Magen umdreht, wenn ich an meine noch ausstehende Quarter-to-Midlifecrisis denke?


Die Schallplatten aus Aigners Inventur findest du hier bei uns im Webshop.