Castle – Das Kind im Rapper

22.08.2013
Mit North Carolina assoziiert man nach wie vor Little Brother. Zehn Jahre nach deren Backpack-Inferno zeigt nun Castle, dass im »Tar Heel State« immer noch mehr als Billo-Synths und Styroporbecher zwischen Kick und Snare platziert werden.

Mit North Carolina assoziiert der gemeine Rap-Schädel nach wie vor Little Brother. Zehn Jahre nach dem Backpack-Inferno der drei kleinen Brüderchen zeigt das frischeste Signing der Mello Music Group jedoch, dass im »Tar Heel State« immer noch nicht ausschließlich Billo-Synths und Styroporbecher zwischen Kick und Snare platziert werden. Zwar kann seine Heimat Greensboro mit Sprößlingen wie dem Soul-Duo Inez & Charlie Foxx oder »Dead Presidents«-Producer Ski Beatz eine nicht unbeachtliche Musikhistorie vorweisen, doch ist der Einfluss der einstigen Fruity Loops-Wunderkinder aus dem benachbarten Durham auch an Castle nicht vorbeigegangen: »Little Brother hatten großen Einfluss auf mich, einfach weil sie aus meiner Gegend kommen und es trotz ihrer bescheidenen Möglichkeiten so weit gebracht haben. Himmelherrgott, 9th hat das gesamte Album auf seinem heimischen PC produziert! Das hat mich so umgehauen, dass ich mir dachte: Das kann ich auch.«
Als Little Brothers »The Listening« im Jahr 2003 erscheint, beschäftigt sich Castle schon zehn Jahre mit Musik. Doch anders als in klassischen Rapper-Biografien, die oftmals im örtlichen Gospel-Chor oder mit dem Entdecken der väterlichen Soul-Sammung beginnen, bekommt er HipHop in die sprichwörtliche Wiege gelegt: »Zwei meiner Onkel waren DJs, einer von ihnen war außerdem ein beachteter Breakdancer. Meine Eltern waren Rapper. Ab 1992 habe ich bei Auftritten der Rap-Crew meines Vaters als Backup getanzt. Eine bessere Einführung kann man gar nicht haben.« Angefixt durch den Wu-Tang Clan probiert sich Castle bald selbst an Rap-Texten. Folgerichtig bespickt der damals 10-jährige seine Lyrics noch mit den obligatorischen Martial-Arts-Referenzen, die Mitte der 1990er-Jahre zum guten Rap-Ton gehören. Als er sich später zusätzlich dem Beatmaking widmet, zelebriert der passionierte Comic-Leser abermals seine Faszination für das Mystische. »Zu produzieren begann ich eigentlich nur aus der Not heraus – Ich brauchte einfach Beats für meine Raps. Später habe ich dann versucht, meine Künstlerpersona geheimnisvoll zu inszenieren. Ich wollte so mysteriös sein wie MF Doom oder IMAKEMADBEATS.«

»Ich würde Gunplay den krassesten Scheiß allerzeiten produzieren. Er würde sich eine Line vom Arsch einer Stripperin ziehen, einen Rückwartssalto hinlegen und einen Säugling verprügeln, nachdem er meinen Beat gehört hätte«

Castle
Auf seinem Label-Debüt »Gasface« ist diese Verhüllungsstrategie einer glühenden »In Your Face«-Offensive gewichen. Beklemmende Hood -Reportagen und »Every-Dog-Has-Its-Day«-Rhetoriken treffen auf organischen Soul-Bap, der die kreative Gratwanderung zwischen Retro und Reform elegant ausbalanciert. Seine Beobachtungsgabe kombiniert Castle oft mit silbenreicher Bildsprache sowie soliden, nicht zu verspielten Flows und kreiert damit eine eindringliche Nahbarkeit, die man sonst von großstädtischen Boxtrainern kennt.
Die Vorliebe für sample-basiertes Bumm-Tschakk und eine stimmliche Ähnlichkeit zu Rasco dürfte ihm zwar die Zusprache aus den Realkeeper-Reihen erleichtern, doch lässt sich der Rapper/Producer musikalisch ungern einschränken. Hätte er die Wahl, stünden auf seiner Kollabo-Wunschliste neben Danny Brown, den Neptunes oder Erykah Badu, auch ein gewisser Rapper aus dem Umfeld dieser anderen »Music Group«: »Ich würde Gunplay den krassesten Scheiß allerzeiten produzieren. Er würde sich eine Line vom Arsch einer Stripperin ziehen, einen Rückwartssalto hinlegen und einen Säugling verprügeln, nachdem er meinen Beat gehört hätte«, scherzt der vollbärtige Hühne.
Mit der Verpflichtung beim verlässlichen Indie-Rap-Imprint Mello Music Group sind solche Gedanken längst nicht mehr nur fixe Ideen. Dennoch bleibt Castle bescheiden. »Es fühlt sich großartig an, mit einigen meiner Lieblingskünstler auf dem gleichen Label zu sein und sogar mit ihnen arbeiten zu dürfen. Has-Lo, Zilla Rocca, Curly Castro und Small Professor verdanke ich sehr viel. Ich möchte nun die beste Musik machen, die mir zu diesem Zeitpunkt möglich ist. Und meine Rechnungen damit bezahlen können.« Solche Worte stammen bestimmt nicht von jemandem, der gerade zum Höhenflug ansetzt.
»Ich bin so etwas wie ein Slacker, ich hänge eigentlich den ganzen Tag nur rum«, beschreibt er seinen Alltag nicht ganz humorlos. »Aber wenn ich Musik mache, werde ich betriebsblind und bekomme fast einen Tunnelblick – Ich schmeiße FL Studio an und mache stundenlang nur noch Beats. Eine MPD 18 und ein 25er Midi-Keyboard, mehr brauche ich dann nicht. « Dank diesem blühenden Arbeitseifer finden sich in seiner randvollen Bandcamp-Diskographie, nebst unzähligen Beat-Tapes und einem Konzeptalbum über eine fiktive Weltraumreise, auch eine Instrumental-EP, die auf Samples seiner Lieblings-Kinderserien basiert. Dass Jungs sowieso nicht älter werden, sondern bloß das Spielzeug teurer wird, weiß er nur zu bestätigen. »Vielleicht sollte ich nicht vier bis fünf Mäuse für ein 20-seitiges, mit Werbung überfülltes Comic-Heft ausgeben, doch will ich verdammt sein, wenn ich nicht erfahre, wie es diesen Monat bei ›Invincible‹ weitergeht. Nature of the beast, schätze ich.«