Zugegeben: Es ist sehr verlockend mit dem Australier Oren Ambarchi über Essen zu reden. Schon ein kurzer Blick in seine ausschweifende, ellenlange Diskografie beweist, dass da jemand großes Interesse und wahrscheinlich auch die nötige Expertise mitbringt. Tracks und Platten heißen dementsprechend »Honey Pie«, »Grapes From The Estate« oder »Afternoon Tea«; wenn man weitersucht, dann stößt man sogar auf »Pad Phet Gob« auf einer Platte, die Ambarchi mit crys cole aufgenommen hat. Hinter dem thailändischen Namen verbirgt sich ein Froschcurry-Gericht.
Und dann heißt das Label des ehedem als Schlagzeuger und heute eher als Gitarrist bekannten Musikers auch noch Black Truffle Records. Jene schwarzen Trüffel, deren teuersten und edelsten Exemplare im französischen Périgord und in der Dordogne von extra trainierten Schweinen (und immer häufiger von Hunden) aufgespürt werden, finden in der Diskografie des Labels ihre Entsprechung in besonderen Funden aus der Geschichte der experimentellen und avantgardistischen Musik. Ambarchi ist permanent auf der Suche – aber mit dem antrainiertem »Handwerk« der Schweine hat das nichts zu tun: »Ich agiere als Labelmacher vor allen Dingen aus der Intuition heraus«, erzählt er im Interview, das wir im Zusammenhang mit seinen Auftritten bei der diesjährigen Monheim Triennale führen. »Ich bin ein musiksüchtiger Mensch und ein Fanatiker.« Doch wo findet man die bisweilen abseitigen Tracks und Alben, die auf Black Truffle erscheinen?
»Es gibt so viele Genres, die ich liebe. Aus all diesen Genres nehme ich etwas mit für meine Musik.«
Oren Ambarchi
Die Antwort hat zwei Teile: Da ist einerseits der Künstler Oren Ambarchi selbst, der als 17jähriger auf die Bühne ging und diese in gewisser Weise bis heute nicht verlassen hat. Der Sohn sephardischer Juden klinkte früh an John Zorns Label Tzadik an, gehörte dem erweiterten Kreis der New Yorker Knitting Factory an und wurde Teil der Radical Jewish Culture-Bewegung. Diese Verbindung zu einem der heißesten Hot-Spots der Avant-Szene der 1990er-Jahre mündete in etlichen Kooperationen auf der Grenze zwischen (Free) Jazz, Improvisation, Drone, auch elektronischen Experimenten.
Daraus ergab sich eine Karriere, die den Australier zu ausufernden Touren nach Europa, die USA, aber auch Asien, vor allem Japan, führte. Homebase blieb aber bis 2020 Australien (»Wo man einfach durch die Nähe zu Asien fantastisch essen kann.«) Bereits im Jahr 2009 wollte Ambarchi einige Alben, die er bis dahin nur auf CD herausgebracht hatte – oder die nicht mehr erhältlich waren – wiederveröffentlichen. Hierfür gründete er dann Black Truffle, doch: Von Anfang an wollte er auch Platten seiner Bekannten und Freund*innen veröffentlichen – oder gar längst vergessene Perlen der Avantgarde-Geschichte. Das wäre dann gleich der zweite Grund für die Labelgründung.
Alles unter einem Dach
Nach 14 Veröffentlichungen an denen er selbst mitgewirkt hat – darunter Kooperationen mit Jim O’Rourke, Keiji Haino, Fennesz oder Merzbow – folgte dann mit der Katalognummer 15 die erste »richtige Entdeckung«: Eine elektro-akustische Improvisation des italienischen Komponisten Giancarlo Toniutti.
Seitdem haben noch über 100 weitere Veröffentlichungen das Licht der Welt erblickt, was dem Label bereits einen Legendenstatus sicher stellt; gewürdigt zum Beispiel durch ein 3-Tages-Festival im Londoner Kult-Club Cafe Oto im Jahr 2019.
Chico Mello / Helinho Brandão
A Song For Two Mothers / Occam Ix
The Mountains Pass
For Mccoy
Was er auch im 16. Jahr des Bestehens nicht beantworten kann oder will, ist die Frage nach dem Genre und wie er sich selbst musikalisch verortet: »Ich finde das Gerede davon furchtbar langweilig«, erzählt er und betont, dass an vielen Orten – wie etwa hier in Monheim – diese Frage gar nicht mehr gestellt wird. »Es gibt so viele Genres, die ich liebe. Aus all diesen Genres nehme ich etwas mit für meine Musik.«
Kein Wunder also, dass man den Labelsound von Black Truffle nur schwer definieren oder zu greifen bekommt; jede Platte eine neue Erforschung der Möglichkeiten der modernen Musikproduktion, die sich aus Field Recordings und Live-Musik, aus Effekten oder roher Instrumentierung speist. So stehen Alben wie das retro-futuristische Buchla-Synthesizer-Werk »Future Travel« von David Rosenboom wie selbstverständlich neben dem feingliedrigen, ätherischen Jazz-Album der Japanerin Eiko Ishibashi, »For McCoy«.
Stellt sich nur die Frage nach der Zukunft des Labels: »Ich habe schon für das nächste Jahr etliche Veröffentlichung in Planung«, und in Anlehnung an das Festival vor fünf Jahren merkt er an, dass sein großer Traum ein Black Truffle-Festival wäre mit möglichst vielen der Künstler:innen aus den letzten 15 Jahren. Vielleicht nur Hirngespinste, aber Oren Ambarchi traut man das zu. Ist so ein Bauchgefühl.