Matt Lambert – Die große Synthese

31.10.2013
Foto:Matt Lambert
Matt Lambert ist Filmemacher und Fotograf. Ein visueller Künstler, dessen Arbeit nur seinen eigenen persönlichen Blick als Fluchtpunkt kennen. Seine Filme, Videos und Fotos sind eine Suche nach Identität und Sexualität in Subkulturen.
Matt Lambert ist Filmemacher und Fotograf. Ein visueller Künstler, dessen Arbeit und Arbeitsweise am Ende nur seinen eigenen persönlichen Blick als Fluchtpunkt kennen. Kurzfilme, Dokumentarfilme, Modevideos, Musikvideos, experimentelle Mixed-Media-Arbeiten, Live Visuals. Kunst, Dokumentation, Journalismus, Mode. Matt Lamberts Arbeit ist unabhängig von der Form und seines kommerziellen Kontextes vor allem eine Suche nach Identität und Sexualität in (vermeintlichen) Subkulturen. Seine Biografie umspannt mit Los Angeles, New York, London und – seit zwei Jahren – Berlin vier Zentren von Jugendkulturen, die Matt Lambert nicht als Voyeur, sondern als Insider dokumentiert, und die er gleichzeitig als Welt (und nicht etwa Gegenwelt) zulässt: Was interessiert, spielt sich in diesen Welten ab, da es seine Welten sind. »We Who Are Young Are Old« basiert auf Gedichten von Dylan Thomas, in »Fickmaschinen« und »Heile Gänsje« wird Sex zum ebenso ästhetischen wie verstörenden Gegenstand und über allem schwebt eine desillusionierende Leere, die den Ausbruch im sozialen und ästhetischen Widerstand sucht, die zwischen roher Gewalt und No Future nach einer Befreiung der Sexualität sucht.

War für dich der Film eine Konsequenz aus der Fotografie?
Matt Lambert: Als ich in Los Angeles aufwuchs habe ich das alles vermieden. Ich hatte in meinen Teenagerjahren eine harte Anti-Kunst-Haltung, eine Ich-bin-gegen-alles-Haltung und habe mich dann an der Universität mehr für Zeichnung interessiert. Fotografie war dann später eher ein Nebenprodukt von Film. Zum Film bin ich durch Animation und Mixed-Media-Filme gekommen. Als ich anfing mit lebenden Objekten zu arbeiten, habe ich durch die Fotografie vor allem mit visuellen Visionen spielen können.

Deine Arbeit dreht sich viel um Popkultur. Vertraust du auf deine innere Perspektive oder entfernst du dich bewusst von deinen Protagonisten?
Ich lebe oder habe all das, was ich zeige, auf die ein oder andere Art gelebt. Ich respektiere deswegen, aber bin auch manchmal Schaulustiger, Regisseur und sozialer Voyeur. Ich bin nicht in erster Linie an Popkultur interessiert, sondern an den Aspekten meiner Welten und meiner Freunde, die Kultur machen oder sie dekonstruieren.

»Das reduzierte Destillieren visueller Ideen zu einem einzigen ikonischen Bild und Moment kann mehr Potential haben als ihre bewegte Form. «

Matt Lambert
Kann Film oder Fotografie eine Form des Widerstands sein?
Matt Lambert: Absolut! Meine Mutter hat für Tom Hayden [amerikanischer Bürgerrechts- und Friedensaktivist] gearbeitet. Ich erinnere mich an die Originaldrucke von Fotos von den DNC Unruhen 1968 in Chicago und daran, für was diese Momente standen, was diese visuellen Reduktionen dieser Momente für die Bürgerrechte bedeuteten, wie sie die heutige Zeit geformt haben. Ich erinnere mich daran, wie es sich anfühlte, als ich das erste Mal ein Foto von Slava Mogutin oder einen Film von Bruce La Bruce gesehen habe. Ich erinnere mich an »Battle of Tangiers« und daran Bilder in »Dolt!« in der Highschool zu sehen. Die Liste würde zu lange werden, aber alle politischen Einstellungen, die ich habe, wurden von Filmen oder Bildern initiiert.

Ist Film konzeptioneller als Fotografie?
Matt Lambert: In ihren Höhepunkten kann die Fotografie konzeptioneller sein. Das reduzierte Destillieren visueller Ideen zu einem einzigen ikonischen Bild und Moment kann mehr Potential haben als ihre bewegte Form.

Du porträtierst auch Bands und Musiker. Warum genau sind Menschen daran interessiert, das Bild eines Musikers zu sehen?
Matt Lambert: Ich fotografiere keine Musiker, sondern Performer, die Musik machen. Wenn man jemanden »bekanntes« fotografiert, geht es Menschen, die etwas verkörpern, das größer ist als sie selbst und in jedem Fall größer als ihre Musik.

Nach Berlin zu ziehen schien ein wichtiger Schritt in deinem Leben zu sein. Kannst du beschreiben wie sich deine Arbeit verändert hat, als du von Los Angeles nach London und schließlich nach Berlin gezogen bist?
Matt Lambert: Berlin war ALLES wenn es um meine Arbeit geht. Ich habe die ersten beiden Jahre hier versucht, sehr wenig »Kommerzielles« zu machen und mich auf meine eigenen Arbeit zu konzentrieren. LA, New York und London haben mich gemacht, aber Berlin hat mir geholfen herauszufinden, was das ist. Diese Ehrlichkeit und die Menschen in meiner Umgebung haben es möglich gemacht, dass ich endlich Arbeiten mache, die sich für mich gut anfühlen. Als ich in Los Angeles aufgewachsen bin, war ich ziemlich intensiv in der Skinhead-Szene und auch mit Gangbangern und Punk Crews zusammen. Ich habe diese Szenen in London wiederentdeckt und sie schließlich in New York alle zu einer Homo-Cult/Punk Mischung verschmelzen sehen. Berlin war für mich der Ort, an dem ich aus all diesen Leben und Erfahrungen eine reduzierte Version synthetisieren konnte.

Was sind die Grenzen kommerzieller Arbeit? Wie vermeidest du, dass kommerzielle Arbeit deine andere überschattet?
Matt Lambert: Sie hat es tatsächlich überschattet und deswegen habe ich New York City verlassen. Wir alle kämpfen ja um diese Balance. Traurigerweise wird sie nur von wenigen gefunden. Ich versuche kommerzielle Arbeiten nur dann zu machen, wenn sie aus meiner persönlichen entstehen. Das heißt, dass ich permanent Projekte entwickele, die mich interessieren und hoffe, dass ab und an sich jemand mitreißen lässt und meine nächste Vision finanziert.