Als Kind konnte man vor der Frau auf dem Cover schon ein wenig Angst bekommen. Akkurat geometrischer Bürstenschnitt, metallisch glänzende Haut, Schulterpolstersakko und dieser Blick über die Zigarette im Mund hinweg, der zu sagen scheint: Komm mir besser nicht zu nah. Nicht eben eine freundliche Einladung, eher ein »Betreten auf eigene Gefahr«. Was ja seine eigene Faszination haben kann. Bei Menschen mit Schwäche für Science-Fiction allemal: Grace Jones sieht auf »Nightclubbing« ein bisschen aus wie ein Roboter.
Auch ihre Stimme löst ähnliche Reflexe aus. Eher hart als weich intoniert sie beim Singen wie beim Sprechen. »Feeling like woman / Looking like a man« verkündet sie im ersten Stück »Walking In The Rain«, wobei die Frage ist, ob die umgekehrte Aussage bei Grace Jones nicht ebenso passen würde.
»Nightclubbing« war 1981 das fünfte Album der Sängerin. Dabei setzte sie ihre Fusion von New Wave, Funk und Reggae, die sie auf dem im Vorjahr erschienen »Warm Leatherette« begonnen hatte, konsequent fort. Erneut legte sie die Arbeit am Fundament in die bewährten Hände des Bassisten Robbie Shakespeare und des Schlagzeugers Sly Dunbar, die bis heute ihren Ruf als beste Rhythmusgruppe des Reggae verteidigen.
Sly and Robbie gehörten seit 1977 zu den Compass Point All Stars, die Chris Blackwell, Chef von Island Records, als Hausband für sein Compass Point Studio in Nassau auf den Bahamas zusammengestellt hatte. Der Klang, den dieses Ensemble für Grace Jones hervorbrachte, mag von heute aus gehört ziemlich »normal« erscheinen. Damals war er es noch nicht.
Die auf Jamaika geborene Grace Jones hatte zunächst mit Disco begonnen, bevor sie dazu überging, Reggae in ihre Musik zu integrieren. Damit war sie keinesfalls die erste. New Wave-Bands wie Bauhaus hatten sich schon für Dub interessiert, Reggae hatte durch Punk-Bands wie The Clash und The Police seinen Weg in den Pop gefunden.
Bei Grace Jones wirkt die Sache dennoch etwas anders. Passend zu ihrer Selbstinszenierung ist auch die Musik auf kühl-distanzierte Art produziert, inklusive des eleganten, handwerklich makellosen Grooves. Dazu tanzen ist nach wie vor bestens möglich, wenngleich man an der Oberfläche immer ein wenig abzugleiten droht.
Dass »Nightclubbing« heute immer noch so lebendig klingt, liegt allerdings vermutlich weniger an Grace Jones’ performativer Pionierarbeit für den Genderdiskurs als an den Verschiebungen im Pop, die sich darauf bemerkbar machen.
Etwa in Jones’ Coverversion des Astor Piazzolla-Klassikers »Libertango«, bei dem die von Sly and Robbie gelieferte Reggae-Basis durch spukhaft flirrende Synthesizer in die Zukunft gebeamt wird. Dass später ein Akkordeon als Piazzolla-Referenz zusätzlich für vertrautere Tango-Stimmung sorgt, dient zur Erinnerung daran, dass man schließlich Pop machen wollte.
Mit einigem Erfolg. »Nightclubbing« war für Grace Jones der Durchbruch und wurde ihr erfolgreichstes Album. Lustigerweise erwies sich die erste Single, der von Sting geschriebene Song »Demolition Man«, zunächst als Flop. Vielleicht war dessen reduzierter New Wave-Stil damals noch zu schroff für den Massengeschmack.
Deutlich besser erging es dagegen dem unzerstörbaren elektrifizierten Boogie-Funk von »Pull Up to the Bumper«. Die damals einigermaßen skandalösen Zeilen »Pull up to my bumper baby / In your long black limousine / Pull up to my bumper baby / Drive it in between« bieten zudem eines der schönsten Beispiele für stilvoll unanständige Texte im Pop, nicht zuletzt durch das entschieden freimütige Spiel mit einem eher bekloppten Bild.
Überhaupt passt so ein unbekümmertes Hantieren mit expliziten Themen, für den seinerzeit noch kein »Parental Advisory«-Sticker erfunden werden musste, zu Grace Jones’ Haltung, nach der sie keine Feministin ist. Sondern eine selbstbewusste Frau, die sich bei Bedarf als Objekt inszeniert, dabei zugleich stets Subjekt bleibt. Auch im freien Umgang mit Geschlechterrollen.
Dass »Nightclubbing« heute immer noch so lebendig klingt, liegt allerdings vermutlich weniger an Grace Jones’ performativer Pionierarbeit für den Genderdiskurs als an den Verschiebungen im Pop, die sich darauf bemerkbar machen. Waren die Songstrukturen für konservativere Hörer damals vielleicht eine Spur zu repetitiv, kommt heute ihr nuancenreicher Detailreichtum umso besser zur Geltung. Auch wie Jones mühelos bis dahin weitgehend separat gehandelte Genres zusammengeführt hat, sollte sich als gleichermaßen zukunftsweisend wie lagerungsbeständig erweisen. Und gibt es im Pop eine andere Künstlerin, vor der Angst zu haben mehr Freude machen würde?