Die unglaublichen Noise-Chansons der Marie Klock

25.03.2024
Foto:© Pingipung
Bellen, Geschrei und schludriges Französisch: Marie Klock ist nicht dein typischer Pop-Import aus dem Nachbarland. Ihre Sprache ist kein Stereo-Total-Französisch. Ihre Musik nicht lieblich-sexy. Bei Marie Klock geht es um Text. Auf ihrem neusten Werk mehr denn je.

»Ich bin eine klassische Klavier-Rentnerin«, erklärt Marie Klock uns beim Interview auf einer Parkbank im Garten des Berliner Silent Greens. Ihre musikalische Sozialisation begann in ihrer Kindheit, aber eben nicht aus eigener Entscheidung heraus. Es dauerte Jahre, bis ihr endgültig klar war, dass die Klassikwelt viel zu klein für sie war. Marie Klock wusste: Sie musste sich austoben. Ein Klavier hat sie seit Jahren nicht mehr angefasst.

Während ihres Studiums in Berlin war sie Teil einer Synth-Pop-Band. Aber erst nachdem sie von Klavierpädagogik zur Literaturwissenschaft gewechselt ist, wurde das Musikmachen wieder zu einem Vergnügen nebenbei. Dabei entdeckte sie nicht nur ihre Leidenschaft für Synthesizer, sondern noch etwas viel Bedeutenderes: ihre eigene Stimme. Bei einem Auftritt im Schokoladen wagte sie spontan, einen ihrer selbstgeschriebenen Songs zu singen und erkannte: »Meinen eigenen Text vor Menschen zu singen – das ist richtig geil.« Dieses einschneidende Erlebnis war der Auslöser für ihre eigenen Lieder und ihre darauffolgenden Alben.

»Der stand da auf einmal mit seinem kugelrunden Bauch und seinem starken Gesicht, das den Statuen auf der Osterinsel ähnelt und brüllte Texte.

Marie Klock

Ihre jüngste und sehr emotionale Veröffentlichung trägt den Titel »Damien Est Vivant«. Das Album ist eine Hommage an den verstorbenen Dichter Damien Schultz. Die Begegnung mit Damien – sie bezeichnet sie als künstlerischen Seelenverwandten und sehr nahen Freund – markierte einen weiteren Wendepunkt in ihrem Leben. Zum ersten Mal trafen sie sich auf einem Noise-Konzertabend. Mit Noise hatte Klock zuvor keine Berührungspunkte gehabt. Umso überraschter war sie, als Damien auf der Bühne erschien: »Der stand da auf einmal mit seinem kugelrunden Bauch und seinem starken Gesicht, das den Statuen auf der Osterinsel ähnelt und brüllte Texte.«

Groteske, schmutzige Lyrik

Auf die Frage, was genau es war, das sie so in den Bann gezogen hat, erklärt sie mit großer Bewunderung: »Damien führt dich in eine Art Trance durch Wiederholungen. Du hast das Gefühl, da ist ein Mensch, der die Sprache als Utensil benutzt, um irgendwas in dir aufzukratzen. Es ist eine psychoanalytische Erfahrung. Es ist wie Magie, eine magische Formel. Und irgendwie ist dieser Mensch dann auf einmal in deiner Seele, wühlt darin herum und du empfindest Emotionen, die du nicht kanntest.« Seine Umgangsweise mit der französischen Sprache entsprach genau ihrem Verständnis von Lyrik.

»Es tut so gut zu schreien. Ich habe im Alltag ja nie die Möglichkeit dazu.«

Marie Klock

Ihr gemeinsamer Traum, ein Album zu schaffen, blieb trotz seines plötzlichen Todes lebendig, und sie beschloss, seinen Geist durch das Album »Damien Est Vivant« weiterleben zu lassen. In einer Mischung aus Trauer und Entschlossenheit begann sie, Damiens Texte und ihre Aufnahmen innerhalb einer Woche zu einem Album zu komponieren, das nicht nur Damiens Vermächtnis, sondern auch ihre eigene künstlerische Reise widerspiegelt. Eine besondere Beziehung hat Marie Klock zu der dritten Spur des Albums, zu »Boule Et Bill«. Sie erklärt, dass es das einzige Lied ist, das Damien und sie vor drei Jahren gemeinsam komponiert und aufgenommen haben.

Das Album, das sie mehrmals liebevoll das »Damien-Ding« nennt, ist ein Zusammenspiel von gewalttätiger, grotesker und schmutziger französischer Lyrik. Das Gefühl, das sie empfindet, wenn sie das Album live spielt, beschreibt sie als ein Gefühl der Befreiung. Es ist ein Ausdruck von Emotionen, die sie ihr Leben lang unterdrückt hat: »Es tut so gut zu schreien. Ich habe im Alltag ja nie die Möglichkeit dazu. Ich bin eine sehr höfliche Person und von Natur aus eher introvertiert, still und gehorsam. So wurde ich erzogen – nicht reden, keine Meinung äußern. Jetzt meiner Stimme zu vertrauen und meine Emotionen rauszulassen, auch wenn sie unangenehm sind, ist ein gutes Gefühl.«