Die fabelhafte Welt der Genevieve Artadi 

03.04.2023
Foto:B+ © Brainfeeder
Sie macht Musik, als hätte man Julee Cruise aus dem Road House ins Stereolab verfrachtet, den Gentle Giants einen Portishead aufgesetzt und Joe beauftragt, den Weather Report für die Copacabana zu checken. Wer ist Genevieve Artadi?

Genevieve Artadi kommt 1982 in Los Angeles zur Welt. Ihre Eltern sind von den Philippinen in die USA gezogen. An der Westküste spielen sie in Rockbands, sind viel unterwegs, ziehen mit der jungen Genevieve und ihrer Schwester noch öfter um. Selbst wenn die Kohle knapp ist. Es habe immer genau bis zum Monatsende gereicht, sagt Artadi. Außerdem habe das ständige On-the-Road-Sein zu einer Lockerheit geführt, man habe meist nicht viel, aber immer alles dabei.

Mit zwölf Jahren hört Genevieve »Unforgettable… With Love« von der Sängerin Natalie Cole, der Tochter des Jazzpianisten Nat King Cole. Danach ist sie hooked, probiert sich musikalisch aus, singt. In ihrem Abschlussjahr an der Highschool tritt sie einer Band bei, die wie Massive Attack klingen will. Ihr Interesse für den klassischen Jazz der 1950er Jahre führt dazu, dass sie sich an der State University of California für Jazz einschreibt.

Mehr als die Sängerin von Knower

Durch den Saxophonisten Robby Marshall lernt sie Louis Cole kennen. Cole studiert zu dieser Zeit ebenfalls Jazz. Die beiden gründen eine Band, die sie später Knower nennen. Ihren ersten Hit verdanken sie Britney Spears. Ein Cover, das Genevieve Artadi auf YouTube hochlädt, geht viral. Dem ersten Album folgt ein zweites, dann ein drittes. Man spielt mit den Indie-Freunden von Pomplamoose, lädt noch mehr Cover-Videos hoch und wechselt zum ersten Mal die Küste.

Knower sliden durch die YouTube-Empfehlungen von Quincy Jones. Flying Lotus hört rein, bleibt dran. 2014 laufen ihre Songs auf FlyLo FM, einem Radiosender im Videospiel GTA. Dann muss eine Live-Band her. Tim Lefebvre von der Band Blackstar zupft den Bass, Sam Gendel trötet sich warm, Nate Wood klöppelt mit. Der Dunstkreis von Knower weht durch die Ambient-Jazz-Sphären von Los Angeles, das Line-up der Band wächst von Konzert zu Konzert.

Genevieve Artadi präsentiert einen bunten Strauß verschiedener Stile. / Foto: B+ © Brainfeeder

2015 erscheint Genevieve Artadis erstes Soloalbum, elf Songs, die nach Chupa Chups-Lollies schmecken – nach Cola, gekünstelt, aber geil genug, um mehr davon zu craven. Als sie Jahre später ein Album veröffentlichen will, bringt sie Louis Cole, ihr Knower-Kollege, mit Brainfeeder zusammen. Das Label von Flying Lotus hört wieder zu: »Dizzy Strange Summer« landet in einem Sommer, in dem Polizeigewalt zu lodernden Städten zwischen New York und Los Angeles führt.

Spätestens mit ihrem Debüt zeigt Artadi, dass sie mehr ist als »die Sängerin« von Knower. Zusammen mit Thundercat arbeitet sie an einem Song fürs Kabelfernsehen. Eine Residency führt sie zur schwedischen Norrbotten Big Band. Artadi nimmt mit den Jazzern:innen des WDR auf, schreibt Stücke für beide Ensembles. Wer die YouTube-Videos sieht, wird begeistert sein: Ihre Akkorde, die Melodien und ihre Stimme sind die Jazzstandards der Zukunft.

Jazz-Standards der Zukunft

Inzwischen ist Genevieve Artadi mit Pedro Martins liiert. Der SWR bezeichnete den 29-jährigen Brasilianer als einen der »kreativsten Köpfe der ambitionierten südamerikanischen Jazzszene«. Er habe ihr Bolero und Bossa Nova aus der Zeit des Tropicalismo vorgespielt, so Artadi. Solo verbindet sie den Saudade-Vibe mit dem Erbe von Genesis und dem verträumten Pop der Neunziger. Als Expensive Magnets, das Loveboat mit Pedro Martins, kippt man dazu zwei Caipis.

Mit »Forerever Forever« hat Artadi nun ihr zweites Album veröffentlicht. Die Songs seien eine nostalgische Reise, schreibt Ania Gleich. Um Windows-95-Prozessor, Glam-Metal und Air dreht sich ihre Fantasie, die sie für die Platte um ihren Inner Circle erweitert hat. Außerdem sei Artadi zum ersten Mal in einem »richtigen« Studio gewesen. Es wurde gefeiert, geliebt und viel gelernt.

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Wer die Videos aus dem mexikanischen Blockhüttenpalast sieht, kann sich vorstellen, warum »Forever Forever« wie ein Kurzurlaub von konventionellen Formatradio-Harmonien klingt. Die Salsa-Sause wird zum Teambuilding, bei dem die Stimme ihre eigene Tonleiter erklimmt. Am Ende wisse man zwar nicht mehr so genau, wo man sich befinde und das ist genau so gewollt.