Kate NV ist das Soloprojekt der russischen Musikerin, Sängerin und Produzentin Ekaterina Shilonosova. Neben ihrer Solokarriere ist sie Mitglied der in Moskau gegründeten Rockband Glintshake und bildet gemeinsam mit Angel Deradoorian das Duo Deciscive Pink, dessen Debüt »Ticket To Fame« im Juni bei Fire Records veröffentlicht wird. Gerade erst ist ihr Album »WOW« auf dem New Yorker Label RVNG Intl. erschienen. Ein Album, dessen erste Idee bereits 2016 entstand und das mit seinen kindlich-fröhlichen Melodien an die frühen 2000er Jahre erinnert. Im Interview erzählt Shilonosova, wann sie ihre Solokarriere fast aufgegeben hätte, wie Videospiele aus ihrer Kindheit ihre heutige Musik beeinflussen und warum sie bei ihrem ersten Konzert kaum die Knöpfe ihres Synthesizers sehen konnte. Die Musikerin erzählt, welches Album ihr Leben verändert hat, wie ihr Architekturstudium sie auf die Musikproduktion vorbereitet hat und warum sie immer auf der Suche nach dem perfekten Loop ist.
Kate, ich habe gelesen, dass du fasziniert bist von cartoonartigen, verspielten und albernen Melodien. Wie kam es denn dazu?
Als Kind habe ich mir alles angehört, was im Fernsehen lief, denn damals gab es noch kein Internet. Als ich älter wurde, entwickelte sich das Internet und meine Freunde und ich interessierten uns sehr für die japanische Szene. Wir fingen an, jede Menge japanisches Zeug aus den frühen 2000ern herunterzuladen. Irgendwann sind wir dann bei den Achtzigern gelandet, weil wir angefangen haben, immer tiefer zu graben. Was ich an Menschen im Allgemeinen wirklich schätze, ist ihre Fähigkeit, Spaß zu haben, ohne Angst haben zu müssen, dumm dazustehen. Es geht darum, etwas zu finden, das Spaß macht. Man muss neugierig auf das Leben im Allgemeinen sein, und das fasziniert mich.
Und denkst du, dass diese Musik, die du als Kind oder Teenager gehört hast, deine heutige Musik beeinflusst?
Ja, auf jeden Fall! Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, wie mich die Musik von Sega und all den Spielkonsolen beeinflusst hat, als ich sehr jung war. Ich liebe die Idee, dass die Musik immer super geloopt ist. Die Musik war sehr einfach, aber trotzdem sehr unterhaltsam, lustig und albern. Als ich ein Kind war, habe ich nicht viel darüber nachgedacht, aber vor ein paar Jahren habe ich angefangen, zu verstehen, dass ich Loops vielleicht deshalb so mag, weil sie mich als Kind so beeinflusst haben.
Kannst du das ausführen?
Ich habe mir halt stundenlang einen kurzen Loop angehört, weil mein Bruder und ich immer zusammen »Chip ‘n Dale« gespielt haben. Das war unsere Lieblingsbeschäftigung und so lernten wir alle Melodien auswendig. Die Melodien sind kurz und sehr repetitiv, aber das merkt man gar nicht, weil sie gleichzeitig so fröhlich und interessant sind, dass es eigentlich ganz gut ist, wenn man sie in Dauerschleife hört. Ich glaube, das hat mich unbewusst sehr beeinflusst, weil ich dadurch immer auf der Suche nach dem perfekten Loop war.
»Ich veröffentliche so fröhliche Musik, weil ich das Gefühl habe, dass alles zusammenbricht und es so etwas wie »das kann ich morgen machen« nicht mehr gibt.«
Kate NV
Jetzt ist dein Album »WOW« erschienen… Wie würdest du es selbst denn beschreiben und was bedeutet es für dich?
Ich glaube, es ist mir gelungen, es mit einem Wort zu beschreiben. Ich habe sehr lange nach dem perfekten Namen für die Platte gesucht. Sie existiert bereits seit 2019 als eine Sammlung von Tracks, aber ohne Namen. Ich denke, »WOW« beschreibt so ziemlich alles. Aber es sollte einen Disclaimer geben, denn es ist nicht wie »Wow, das habe ich so noch nie gehört«, sondern eher wie »Wow, das ist amüsant«, zumindest für mich. Ich gehöre zu den Menschen, die zu fast allem, was mich fasziniert, »Wow« sagen, und ich bin den ganzen Tag über von vielen Dingen fasziniert. Ich weiß, dass manche Leute genervt sind, wenn ich zu langweiligen oder gewöhnlichen Dingen »Wow« sage, aber für mich sind sie nicht langweilig. Wenn ich das direkt sage, wenn ich etwas sehe, dann ist das sehr aufrichtig. Ich bin also sehr leicht zu beeindrucken und ich glaube nicht, dass das etwas Schlechtes ist.
Hast du einen Lieblingssong auf deinem Album?
Das ändert sich ständig. Lange Zeit war »mi (we)« einer meiner Lieblingssongs, weil die Idee, ein Album zu machen, mit diesem Song begann. Das Lied wurde 2016 geschrieben und das war der Moment, in dem mir wirklich klar wurde, dass ich mein eigenes Album machen würde. Ich hatte all diese Tracks wie »nochnoi zvonok (night call)« und auch »razmishlenie (thinking)«, die auch fertig waren, als ich »mi (we)« fertiggestellt hatte. Ich mag auch »confessions at the dinner table«, das ich zusammen mit Quinn Oulton während der Red Bull Music Academy 2018 aufgenommen habe. Es ist der einzige Track auf diesem Album, der wirklich mit jemandem zusammen entstanden ist und Quinn macht eine ganz andere Musik als ich, was ich liebe. Es hat wirklich Spaß gemacht, den Track aufzunehmen, da stecken viele Erinnerungen drin. Ich denke, mein Lieblingssong wird sich wieder ändern, wenn ich mit dem Album auftrete.
Du hast einmal gesagt, dass du viele Phasen hattest, in denen du darüber nachdenken musstest, ob es richtig ist, in diesen schwierigen Zeiten so fröhliche Musik zu veröffentlichen. Was hat dich letztendlich davon überzeugt, dein Album zu veröffentlichen?
Ich denke, das Gefühl, dass alles zusammenbricht und dass es so etwas wie »das kann ich morgen machen« nicht mehr gibt. Wir haben alles für selbstverständlich gehalten, und die letzten drei Jahre haben uns gezeigt, dass wir das nicht tun sollten. Die Leute leben manchmal so, als hätten sie noch ein zweites Leben irgendwo in der Tasche, und die Erkenntnis, dass wir das nicht haben, hat mir das Gefühl gegeben, dass ich es loslassen muss. Abgesehen davon wollte ich es auch aus energetischen Gründen endlich veröffentlichen, weil es mich ein wenig davon abgehalten hat, etwas Neues zu schaffen. Ich habe so lange auf die Veröffentlichung gewartet, dass ich fast vergessen habe, dass dieses Album überhaupt existiert.
Die Videos zu »oni (they)«, »early bird« und »meow chat« sind wirklich einfallsreich und besonders. Wie bist du auf die Idee für die Videos gekommen?
Die Videos wurden von meinem Freund Vladimir »Vova« Shlokov gemacht, er ist einfach toll. Manchmal hat man eine Art Vision und spürt den Vibe, und ich fand, dass die Stimmung dieser Platte sehr an die frühen 2000er Jahre erinnert. Man hört viele Einflüsse aus dieser Zeit und das inspiriert mich sehr. Es gibt viele Künstler:innen, die auf Low-Poly-Kram stehen und viel simple, naive und irgendwie auch lustige und dumme Kunst machen. Das gefällt mir sehr. Ich erinnere mich, dass ich Vova für das Video zu »early bird« Möwen aus dem Spiel »Sims« geschickt habe, weil sie grafisch immer ein bisschen zwischen sehr gruselig und sehr lustig aussehen, was ein sehr schmaler Grat ist. Das mag ich. Einer der Haupteinflüsse war auch »Katamari«, weil es mein Lieblingsspiel ist. Es ist sehr süß und die Grafik ist fantastisch. Also beschlossen wir, eine Art kleine Welt zu erschaffen.
Eine kleine Welt, in die jeder eintauchen kann?
Genau! Es ist eine Idee, die hilft, Musik zu visualisieren. Für mich ist es voller kleiner Sounds. Es ist, als ob man eine Kiste mit vielen Stiften und Kreiden öffnet und überwältigt ist, wie toll das alles aussieht. Es ist so interessant und man ist neugierig, was man damit machen kann. Wir wollten dieses Gefühl mit etwas Ungewöhnlichem verbinden, das aber vertraut und lustig ist. Deshalb haben wir uns für diesen Stil entschieden.
Wer hat dich neben den frühen 2000er Jahren noch inspiriert?
Das ist schwer zu sagen, weil viele Stücke zu verschiedenen Zeiten entstanden sind. Als ich zum Beispiel »razmishlenie (thinking)« gemacht habe, das war 2014, ist es eigentlich aus der Idee eines Stückes für das Scratch Orchestra entstanden, in dem ich damals gespielt habe. Dieses Stück war im Grunde von der ganzen akademischen Szene beeinflusst, auch von Cornelius Cardew. Im Laufe der Jahre hatten die verschiedenen Stücke unterschiedliche Einflüsse. Es ist schwer zu sagen, aber Nobukazu Takemura hat mich definitiv beeinflusst.
Im Pressetext zu deinem Album wird er als dein persönlicher Held bezeichnet. Warum hat er deiner Meinung nach einen so großen Einfluss auf deine Musik?
Er ist einfach unglaublich. Als ich sein Album »10th« zum ersten Mal hörte, hat es buchstäblich mein Leben verändert. Es ist einfach sehr witzig, sehr interessant und voller Freiheit. Ich habe das Gefühl, dass Nobukazu Takemura es auch liebt, Dinge zu erforschen. Manchmal klingt seine Musik sehr kindlich und voller vielfältiger Klänge, was ich mag, aber gleichzeitig fügt sich alles zu einem soliden Ganzen zusammen.
Lass uns die Zeit ein wenig zurückdrehen. Weißt du noch, wie du angefangen hast, Musik zu machen?
Ich habe die Musikschule abgeschlossen und dort etwa acht Jahre lang studiert. Danach habe ich noch ein paar Jahre Gitarre studiert. Während des Studiums habe ich eigentlich nicht viel Musik gemacht, weil ich so mit anderen Dingen beschäftigt war. Aber als ich mit dem Studium fertig war, fing ich an, die Musik zu vermissen. Da habe ich begonnen, etwas Eigenes zu machen. Früher habe ich nur Gitarre gespielt und Lieder auf der Gitarre gemacht. Aber später, als ich anfing, Architektur zu studieren, habe ich mit meinem Freund Musik gemacht und er hat mir gezeigt, wie man Ableton Live benutzt.
Wann hast du angefangen, dich als Solokünstlerin zu versuchen und wie fühlte sich das an?
2013 bin ich nach Moskau gezogen und habe angefangen, alleine Musik zu machen. Man hat so viele Zweifel und ist so unsicher. Man hat einfach Angst anzufangen, weil man denkt, man könnte etwas zerstören, was noch gar nicht existiert. Das ergibt eigentlich keinen Sinn. Ich habe damals mit meinem jetzigen Freund zusammengelebt, der auch Musiker ist. Er hat mich ein bisschen gezwungen, mich hinzusetzen und etwas zu machen, und das hat mir wirklich geholfen, denn am Anfang war es sehr schwer, sich für den Prozess zu begeistern, weil er ein bisschen vorangetrieben werden musste. Ich habe damals Tracks für ein Projekt gemacht und ich erinnere mich, dass ich meine erste EP veröffentlicht habe und kein Feedback bekommen habe. Das war wirklich hart für mich und ich habe überlegt, ob ich weiter Musik machen soll oder nicht.
»Man kann sich ein Stück wie einen Raum vorstellen, in den man hineingeht und sich umschaut. Dort hat man auch eine Basis, wie den Boden und die Wände. Wenn ich Musik mache, gibt es nur mich und die Musik und sonst niemanden.«
Kate NV
Was hat letztlich den Ausschlag gegeben, weiterzumachen?
Eines Tages entschied ich mich, vorerst keine Musik mehr als Solokünstlerin zu machen, da ich zu der Zeit bereits eine Band hatte und mich ganz auf diese konzentrieren wollte. 2014 bekam ich dann eine E-Mail von der Red Bull Music Academy, dass ich in Tokio angenommen wurde. Die Academy selbst dauerte zwei Wochen und man macht dort Workshops und geht ins Studio. Ich konnte nicht glauben, dass mir das passiert war. Als ich die E-Mail von der Akademie bekam, war das wie ein Zeichen, dass ich weitermachen sollte.
Wie ging es weiter?
Ich dachte, die Akademie bestehe nur aus Vorlesungen, aber es stellte sich heraus, dass man am Ende tatsächlich auftreten muss. Das wusste ich nicht, also buchten sie mich für ein Konzert in Tokio am 26. Oktober. Das war mein erster gebuchter Auftritt überhaupt und ich sollte eine Stunde spielen, aber ich hatte nur drei Stücke fertig und nur noch zwei Monate Zeit, bis die Akademie anfing. Das war so beängstigend, dass ich dachte, ich würde einen Herzinfarkt bekommen, wenn das mein erstes Konzert sein würde.
Und wie hast du dich dann auf diesen ersten Auftritt vorbereitet?
Ich bat meine Freunde, mir bei der Vorbereitung meiner ersten beiden Auftritte zu helfen. Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass das erste Konzert wahrscheinlich überwältigend sein würde, dass das zweite Konzert normalerweise nicht das Beste ist und dass das dritte Konzert dasjenige ist, bei dem man eventuelle Schwierigkeiten überwindet und eine Art Plateau erreicht. Ich dachte, dass das Konzert in Tokio das dritte sein sollte, weil ich sonst nicht in der Lage gewesen wäre, aufzutreten. Also spielte ich das erste Konzert nur für meine Freunde in Kasan, meiner Heimatstadt, in einer Kunstgalerie. Ich war so schüchtern, dass ich meinen Freund, der mir bei der Organisation half, bat, kein Licht mitzubringen, damit ich in völliger Dunkelheit auftreten konnte. Es war so verdammt dunkel, dass ich die Knöpfe meines Synthesizers nicht sehen konnte. Vor dem Auftritt sagte ich zu ihm: »Kannst du bitte alles super dunkel machen? Ich brauche auch viel Nebel, weil ich nicht will, dass mich die Leute sehen«. So fing alles an.
Und dann?
Danach hatte ich noch einen Auftritt in Moskau. Das war auch sehr lustig, weil ich in einem schicken Einkaufszentrum in der Stadt aufgetreten bin. Zu dem Zeitpunkt arbeitete dort eine Freundin eines Freundes und sie lud verschiedene Musiker:innen ein, dort aufzutreten. Also habe ich sie einfach gefragt, ob ich auch auftreten könnte. Ich hatte also buchstäblich einen Auftritt zwischen Kleidern, aber es war eine sehr schöne Art, meine Musikkarriere zu beginnen.
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Du hast vorhin erwähnt, dass du Architektur studiert hast. Meinst du, dass dieses Studium die Art und Weise beeinflusst hat, wie du heute Musik machst?
Ich glaube, dass ich unbewusst davon beeinflusst wurde, denn ich habe sechs Jahre lang gezeichnet und gezeichnet. Ich mag es nicht wirklich, zu zeichnen. Es ist langweilig. Aber es macht mir wirklich Spaß, bunte Blöcke auf den Bildschirm zu bringen, wenn ich Musik mache. Es ist lustig, weil ich angefangen habe, Samples auf mein Octatrack zu laden. Ich habe einen Entwurf auf meinem Laptop in Ableton und muss ihn in Octatrack konvertieren. Das ist sehr schwierig, also habe ich begonnen, Skizzen auf Papier zu machen, um zu verstehen, wie ich alles platzieren muss. Die Skizzen sahen wie Linien aus, die ich dann verbunden habe, und jetzt sieht es wie Architektur aus. Plötzlich wurde mir klar: »Oh, darauf habe ich sechs Jahre lang hingearbeitet«. Vielleicht beeinflusst die Architektur meine Musik durch das Bauen. Man kann sich ein Stück wie einen Raum vorstellen, in den man hineingeht und sich umschaut. Dort hat man auch eine Basis, wie den Boden und die Wände. Wenn ich Musik mache, gibt es nur mich und die Musik und sonst niemanden.