Records Revisited: Mos Def – The New Danger (2004)

04.08.2023
Es ist ein anderer Mos Def, der uns 2004 auf dem Cover zu »The New Danger« in blutverschmiertem Baumwolltuch entgegenblickt. Was war nur passiert?

Mos Def, der Mann mit den charismatischen Grübchen, der Lieblingsrapper von AStA–Vorsitzenden, der zum Abschluss eines Jahrtausends mit »Black On Both Sides« und »Black Star« (gemeinsam mit Talib Kweli) Leuchttürme des Conscious-/Backpack-Rap (beides natürlich in Anführungszeichen) geschaffen habende. 

Mos Def, der versierte Lyricist. 

Mos Def, der ehemalige Buchladenbesitzer. 

Mos Def, der Harmlose. 

Dieser droppt nun, vor 19 Jahren, sein zweites Studioalbum und erscheint auf dem Cover mit einem blutverschmierten Baumwolltuch vermummt, einen Finger am unsichtbaren Abzug, den anderen an der eigenen Schläfe.

Eine Art des Empfangs, die sofort den Unterschied zwischen dem Debüt und dem Nachfolger signalisiert und die Fans vielleicht vorgewarnt haben sollte. 

Auf »Black On Both Sides« das bekannte Porträt von Mos Def: hochkontrastig, leicht gelbrötlich eingefärbt, Mos Def mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen und einer leichten Melancholie in den Augen.

Auf »The New Danger« erscheint der Rapper vor weiß-grauem Hintergrund. Hier der Kopf leicht nach vorne geneigt, die AUFS-MAUL?!!-Körperhaltung, ein Ausdruck zwischen Müdigkeit und Aggression im Antlitz. Die Augen eines Mannes, der genug hat. Zwei Porträts, die, in der Art und Weise wie sie den Betrachtenden konfrontieren, unterschiedlicher nicht sein könnten.  

So auch die Musik. Fans wollte mehr »Umi Says«, »Definition« etc., bekamen stattdessen auf 75 Minuten einen kruden, unkonzentrierten Mix, der im Herzen Rock n’ Roll sein wollte. Black Sabbath, Bad Brains, Pantera, Fugazi waren zu dieser Zeit Mos Defs Bezugsgrößen.

Plötzlich waren alle nackt

Hach, die frühen 2000er. Eine lustige Zeit im Hip-Hop. Super viel passiert damals, viel Neues – und viel R&B. Usher, Kelis, Beyoncé, Alicia Keys, Christina Milian, Mario fucking Winans, alle nackt. CD-Verkäufe boomten für ein paar Jahre, Rap und seine Verwandten eroberten die Charts. Im Januar 2003 hing plötzlich 50 Cent von der Decke und läutete einen neuen Zeitabschnitt ein. Auch nackt. Die Neunziger waren spätestens jetzt vorbei. Für Golden-Era-Die-Hards alles tatsächlich gar nicht so lustig, ihr Kleidungsstil stofflastig, ihre Helden zum Großteil im alten Jahrtausend liegen geblieben – und diejenigen, die es rüber geschafft hatten, hatten offensichtlich keinen Bock mehr auf Rap. Diese paar experimentieren, mehr oder weniger gekonnt, mit den Genres. Q-Tip, Common, André 300. 

So dann auch Mos Def 2004 auf »The New Danger«.  

Darauf zentral, und sehr ungelenk ausgeführt, der Versuch, mit dem Album so etwas wie Ghetto Rock als brand zu etablieren. Man möchte gar nicht draufhauen, so unschuldig und naiv klingt das stellenweise. 

In »Freaky Black Greetings« und »Zimzallabim« werden Hörer:innen mit Riffs begrüßt, die zur Vergewisserung einen neuerlichen Blick aufs Cover nötig machen: Hat man Mos Def eingeschoben, oder doch die gute alte »Chocolate Starfish«? »Blue Black Jack« klingt aus heutiger Sicht wie Robin…Thicke … sorry… – wie der Blues-Song eines Weißen. Den Höhepunkt findet der Eifer schließlich tief im Album mit der Ode an Rage Against The Machine auf »War«, der es an Abstand und Eigeninterpretation fehlt.  

Double the Dosis in half the time

Wachstum eben. Wo »Black On Both Sides« pures Selbstverständnis war – ein klassisches Debüt, das einzige Album, das der Künstler zu diesem Zeitpunkt hatte machen können – hört man »The New Danger« deutlich an, dass sein Interpret 2004 mehrere Alben in sich trug. Hybrid, ambitioniert, letztendlich chaotisch. Ein Zwischenschritt. Einer, der das zwei Jahre später erschienene »True Magic«, ein schwer underratedes Mos-Def-Album, als logische Konsequenz nach sich trug, ebenso wie das fünf Jahre später erschienene »The Ecstatic«, ein konzentrierter und würdiger Abschluss seiner Diskografie. 

Aber »The New Danger« war nicht scheiße. Voll nicht. Da ist »Sex, Love & Money« drauf. Dieser atmosphärische Übersong. Mit einem Instrumental, das peak Jóhann Jóhannsson zwischendurch mal für Magic City komponiert haben muss. Sein Flöten-Sample gehört zu den heißesten seiner Art. Auf »Sunshine« veredelt die Rawkus-Version von Mos Def einen der egalsten Kanye-Beats dieser Epoche. »Close Edge« ist kein Neptunes-Beat, klingt aber wie einer. »The Panties« und »Modern Marvel« sexen mit der Ruhepuls-Erotik von Mos Defs besten Stücken. »The Beggar« ist, wenn man feuilletonistisch überdrehen will, die inoffizielle Vorlage für »Love Lockdown« und, unter dieser Betrachtungsweise, nicht weniger als die Blaupause für einen Song, der einfach Pop-Musik verändern sollte. 

»The New Danger« fehlt dieser definitive Stellenwert. Schwer ihm einen festen Platz zu geben. Aber auch unmöglich, es zu vergessen.