The Black Madonna – 10 Classic Midwest Rave Favs

31.07.2015
Wir fragen Musiker nach 10 Schallplatten, durch die sie geformt, gebessert und gebildet wurden und bitten sie diese Auswahl zu kommentieren. Diesmal nimmt sich die Produzentin und DJ The Black Madonna der Aufgabe an.

Marea Stamper quetscht ambitioniert mehrere Leben in eine einzige Existenz. Nachdem sie die Schule verließ, um in der aufblühenden Rave-Szene des US-amerikanischen mittleren Westens Mixtapes aus dem Kofferraum ihres Autos zu verticken, wurde sie Teil von Chicagos House-Community und durchlief so ziemlich jedes erdenkliche Feld der Musikindustrie. Nach zwei Jahren als Talent Buyer für die Chicagoer Smart Bar – dem ältesten Dance-Clubs Nordamerikas – wurde sie nun zu dessen Music Director ernannt und ist Mitbetreiberin des Club-eigenen Vinyl-Imprints North Side ’82. Außerdem ist sie die Sekretärin der Frankie Knuckles, einer Organisation die sich der Pflege des Nachlasses der verstorbenen House-Legende verschrieben hat und betourt die Welt als The Black Madonna, einem Pseudonym, unter welchem sie diverse EPs auf Labels wie Argot und Home Taping Is Killing Music veröffentlicht hat. Als wäre das noch nicht genug, soll sie Gerüchten zufolge sogar ab und an schlafen.

Wie ihre Disco-affinen Produktionen kombinieren The Black Madonnas hochenergetische DJ-Sets unnachlässige Leidenschaft mit einem tiefschürfendem Wissen über alles, was unter Dance Music einzuordnen ist. Während sie endlich die Anerkennung erhält, die ihr zusteht, bereits Stamper heutzutage fleißig die Welt und heizt in einer Nacht die Panorama Bar des Berghains an, um in der nächsten schon ekstatische Tunes auf japanische Dancefloors krachen zu lassen. Ungeachtet ihres Erfolges hat sie ihre Wurzeln jedoch nicht vergessen: Nicht nur äußert sich Stamper pointiert über die Scheinheiligkeit der Szene und die – wie sie es nennt – »Gentrification des Dancefloors«, sie lässt besagte queere Geschichte der von people of colour begründeten Szene auch ihren Sets und ihrer Musik widerspiegeln. Für uns hat sie zehn klassische Tracks, die ihrer Auffassung nach maßgeblich für die Szene des amerikanischen Mittleren Westens der 1990er Jahre waren, aufgelistet. Es ist eine Tür in eine andere Zeit und einen anderen Raum, gleichsam aber auch ein sehr persönliches Dokument geworden. Das uns exklusiv zur Verfügung gestellte Foto zeigt übrigens Marea Stamper zu eben jener Zeit.

1 – »R.I.P.« by Remarc
taken from the EP »R.I.P.«, Suburban Base 1995

Ich kann nicht übertreiben wenn es darum geht, wie wichtig Jungle für meine frühe musikalische Entwicklung war. Einmal nahm ich zu viel Acid und endete im Drum’n’Bass-Raum einer Party in Ohio und es hat mich total umgeworfen, als dieser Track kam. Jungle bedeutete eine ganz neue Art zu denken.

2 – »What To Do« by Thomas Bangalter
taken from the EP »Trax On Da Rocks«, Roulé 1995

Die »Trax On The Rocks«-EP war Beat für Beat eines der dominierenden Dokumente der House-Ecke der Rave-Szene des Mittwestens. Jeder Cut kam in den Crates von Terry Mullan, Paul Johnson und anderen Königen dieses Sounds zu seinen Ehren. Ich habe es geliebt, wie die großen, harten, von Dance Mancia inspirierten Drums in den köstlichen French Style eingeflossen sind.

3 – »The Bomb« by The Bucketheads
taken from the EP »The Bomb! (These Souds Fall Into My Mind)«, Henry Street 2015

Find it at hhv.de on 12inch
Schau, ich weiß, wie groß diese Platte irgendwann geworden ist, aber du musst wissen, was für ein Moment das im Underground des Mittwestens war. Ich erinnere mich ganz genau wo ich das erste Mal war, als ich den Track hörte, das Gefühl der Anspannung, wenn die Drums anschwellen und schlussendlich der perfekte Loop reinkommt. Immer noch magisch und perfekt.

4 – »Facc« by .xtrak
taken from the EP »I-Node«, Peacefrog 1995

Manchmal sehe ich wie anspruchslos die US-amerikanische Rave-Szene geworden ist und trauere dann auf eine Art. Es gab eine Zeit, in ein Track wie dieser der Favorit von vielen 16jährigen Mädchen war. Das ist einfach nicht mehr so, oder?

5 – »I Need Your Love (Real Hardcore Mix)« by N.R.G.
taken from the EP »Feel The Fury Remix«, Force Inc 1992

Ich saß in Barcelona und im Hotelrestaurant lief dieser merkwürdige Videokanal. Der Song, der in diesem Track gesampelt wird, »Everybody’s Got To Learn Sometime« von The Korgis, fing an und ich habe fast angefangen zu heulen. Als ich 14 Jahre alt war, habe ich Leute umgestoßen, um zu dem Speaker zu gelangen, auf dem dieser Track lief. Es ist ein emotionaler Link zu dieser Zeit, in der alles noch so hoffnungsvoll und frisch war.

6 – »I Halcyon On + On« by Orbital
taken from the LP »Orbital 2 (Brown Album)«, Internal 1993

Mit seinem glücksseligen Opus III-Sample ist dieser Song emblematisch für einen kurzen Moment, in dem es so schien, als könne Dance Music zugleich populär und gut sein. Das passierte so dann doch nicht, aber viele Ohio-Raves endeten mit diesem Stück als allerletztem auf dem Turntable.

7 – »Come On Clap Your Hands« by The Magi
taken from the EP »Excursions«, Bomb 1994

Diesen Track habe ich in letzter Zeit häufig gespielt. Er bringt mich zu einer Zeit zurück, in der wir wegen der Rave-Musik zu Raves gegangen sind und letztlich Chicago House viel spannender fanden. Die Raves im Mittwesten wurden nach und nach immer mehr von Leuten wie Boo Williams, Glenn Underground und natürlich Derrick Carter dominiert und diese Platte erinner mich an diese besonderen Zeiten.

8 – »Close Your Eyes Remix 1 (Optikonfusion)« by Acen
taken from the EP »Close Your Eyes (Optikonfusion!) (Remix I) / Close Your Eyes (The Sequel) (Remix II)«, Production House 1992

Als ich diesen Song zum ersten Mal hörte, machte ich mich gerade daran, die Schule zu verlassen und Mixtapes zu verkaufen. Wir haben viele Sachen wie diesen verkauft – UK Hardcore, Prä-Jungle. Wenn ich es mir jetzt anhöre, erklingen immer noch all die Sounds, die damals ihren Weg in das kollektive Unbewusste der Dance Music fanden. Sie hatten mehr Ausdauer als wir uns das damals ausgemalt hatten.

9 – »20 Hz« by Capricorn
taken from the EP »20 Hz«, Total Recall 1993

Das war glaube ich die erste Platte, nach der ich einen DJ fragte. Aus welchen Gründen auch immer brauchte ich noch zehn Jahre, um irgendwelche Platten zu kaufen, diese eingeschlossen. Aber als ich mit dem Auflegen anfing, fand ich sie recht schnell. Sie ist immer noch genauso gut wie damals, als ich eine 14jährige Raverin mit hausgemachten Wohlfühljeans war.

10 – »Preacher Man« by Green Velvet
taken from the EP »Preacher Man«, Music Man 1993

Green Velvet – “Preacher Man”
Ich habe eine sehr deutliche Erinnerung daran, wie Traxx diesen Track in Astroboys Loft nach einer ziemlich strikten Razzia auf einem Rave in St. Louis spielte. Später erfuhr ich, dass der gesampelte Priester niemand anderes war als Aretha Franklins Vater, ihr schmalziges Hochwürden CL Franklin. Wenn sie richtig gespielt wurde, brachte diese Platte jede Party zum Halt und ließ sie erneut in totaler Raserei aufgehen.

Ultimate Bonus Jam: »Life?« by Blair
taken from the EP »Life?«, Mercury 1995

Vor 20 Jahren machte ein DJ namens Cyberjive (heute John Larner) ein Mixtape als Hommage für einen Freund, der kurz zuvor verstorben war. Angefangen mit dem A capella von Blairs »Life?« war es eine totale Sensation und ein große Linderung für alle von uns, die sich gerade bewusst wurden, dass wir nicht ewig leben würden und dass die Welt, die wir uns erschafft hatten, nicht komplett rosig war. Wenn du dieses Tape nicht kanntest, hattest du keine Ahnung.