The Fine Line – »Had to get the train / From Potsdamer Platz«

04.02.2013
Foto:Malte Seidel
In »The Fine Line« nehmen wir eine Textzeile, einen Wortfetzen und suchen in ihm und von ihm ausgehend nach einer Geschichte. Manchmal ist es nur eine Anekdote, aber manchmal eine ganze ungeahnte Welt. Es ist ein schmaler Grat.

In »The Fine Line« nehmen wir eine Textzeile, einen Wortfetzen, einen kurzen lyrischen Impuls und suchen in ihm und von ihm ausgehend nach einer Geschichte, spüren einem Gedanken nach. Manchmal ist es nur eine vage Assoziation, eine Anekdote. Aber manchmal führt diese kleine Zeile auch viel weiter, in Abgründe und Tiefen und hinter ihr verbirgt sich dann eine ganze ungeahnte Welt. Es ist ein schmaler Grat. Heute:

»Had to get the train / From Potsdamer Platz / You never knew that / That I could do that« (David Bowie)

Als David Bowie – zum Teil wegen der Musik-Szene, zum Teil aufgrund seiner Drogensucht, zum Teil auf der Flucht vor sich selbst – 1976 mit Iggy Pop eine Wohnung im Berliner Stadtteil Schöneberg bezieht, ist Berlin eine geteilte Stadt. Für Bowie beginnt eine der entscheidenden musikalischen Phasen seiner Karriere. Drei Platten wird er in den kommenden drei Jahren aufnehmen, »Heroes« die wohl bekannteste, »Low« die vielleicht wegweisendste, »Lodger« die vielleicht versöhnlichste. Sein Kosmos, das sind die Hansa Studios, die Bars und Clubs im Westen der Stadt, das »Dschungel« in der Nürnbergerstraße. Es ist ein West-Berlin, das für Bowie eine neue persönliche wie auch künstlerische Freiheit bringt.

Bowie revidiert ohne das Gewesene zu degradieren. Vielleicht ist dies der Kern seines unbändigen Erneuerungswillens.

Zehn Jahre nach seiner letzten Veröffentlichung hat er nun mit der Single »Where Are We Now?« seine Rückkehr und einen neuen Tonträger angekündigt. Der Song schlägt den Bogen zurück in die geteilte Stadt, 1976, da der Potsdamer Platz – für Bowie verbunden mit den Verheißungen der 1920er Jahre, hier insbesondere den Malereien Ernst Ludwig Kirchners, den er auf dem Cover von »Heroes« imitiert und hommagiert – für die Hälfte der Stadt unzugänglich ist. »You Never Knew That I Could Do That«. Beinahe wie eine späte Einsicht, wie das Nachholen eines vergessenen Gesprächs mit Menschen, die ihm eigentlich nah und doch praktisch sehr weit weg waren. In seinem »Where Are We Now« schwingt auch ein »Hope, you’re okay« mit und wenn er singt »Twenty thousand people / Cross Bösebrücke / Fingers are crossed / Just in case« (in Anspielung an den ersten Schlagbaum, der am Abend des 9. November 1989 fiel), so scheint es, als woll er eine verpasste Nähe nachholen. Bowie gelingt es eine persönliche, durchaus melancholische Rückschau und die Geschichte getrennter Menschen in einem »Ich« und einem »Du« zu verpacken, das universell, gleichsam vertraut ist: »You(!) Never Know That I(!) Could do That«. Er obliegt dabei nicht der Versuchung der Attitüde des sterbenden Mannes, der noch einmal weise zu uns herab spricht. Vielmehr wischt er im gleichen Atemzug die gewesene Zeit weg und wendet sich – ein weiteres Mal – nach vorne: Das Cover der neuen Platte ist die »Berlin-Platte« »Heroes«, nur ist der Schriftzug nun durchgestrichen, und über seinem Gesicht prangt ein weißes Quadrat, darauf in schlichter Typografie: »The Next Day«. Bowie revidiert ohne das Gewesene zu degradieren. Vielleicht ist dies der Kern seines unbändigen Erneuerungswillens.