Ein Scheitern begreift man am besten, indem man seinen Anfang findet. Bei Total liegt dieser in den frühen 1980er-Jahren. Die neue deutsche Welle befand sich auf ihrem Höhepunkt, die elektronische Musik war auf dem Vormarsch, Drum Computer, erschwingliche Synthis, Simmons Drums. Die Orte des Geschehens: Berlin und Stuttgart.
Jede Nacht Derselbe Traum Black Vinyl Edition
In Berlin war Jim Rakete: gefragter Starfotograf und NDW-Wegbereiter, der Manager von Spliff und Nena. »99 Luftballons« hatte gerade nicht nur die deutschen, sondern auch die internationalen Charts erklommen.
Und in Stuttgart? Da war irgendwo Total, eine junge unbekannte Band gegründet vom Gitarristen Thomas »Tommy« Maisenbacher. Eine Band, die es wissen wollte. Zunächst noch mit Sänger, wurde 1983 eine erste Demo beim Produzenten und Musiker Günther Mannschreck in seinem Stuttgarter Studio aufgenommen. Mannschreck hatte zum damaligen Zeitpunkt bereits zahlreiche Produktionen veröffentlicht, teilweise auf seinem Indie-Label Schreckschuss. Er hatte zudem mit dem veritablen Pop-Rap-NDW-Hit »Snap Jack Fieber« schon Major-Label Erfahrung gesammelt und Kontakte zu großen Musikverlagen.
Die ersten Demo-Aufnahmen von Total stießen jedoch nur auf bescheidene Resonanz, was dazu führte, dass Sänger und Bassist die Band verließen. Mit der jungen Sängerin Andrea Ströbel fand sich jedoch schnell ein überragender stimmlicher Ersatz. Und der Bass kam nun einfach vom Keyboard, war eh zeitgemäßer. Man traf sich erneut im Studio und bastelte einige paar Wochen an »Jede Nacht derselbe Traum«.
Rakete, LKW, kein Kickstart, aber eine geile Zeit
Das neue Demo von Total landete in Berlin bei Jim Rakete, dem beim Hören wohl erstmal die Kinnlade runterfiel. In einem Originalschreiben verkündet er, dass er »die Cassette sogleich an den Boss der CBS weitergeschickt habe«. Er schwärmt von Andreas Stimme (»Mann, Mann«) und schreibt weiter, dass er sich dann auch um das Cover der Platte kümmern würde, wenn er dann mit den »Nenas« von Tour zurückgekommen ist.
Der Weg für Total schien geebnet. Das Einzige, was noch fehlte, war der Vertrag mit einer Plattenfirma, und schon hätte es losgehen können. Man stelle sich vor: Würde man heute Total vielleicht in einem Zuge mit Peter Schilling, Joachim Witt oder Trio nennen können? Sollte Total mit Andrea das nächste große Ding nach Nena werden?
Schon bald kam es tatsächlich zu einem Meeting mit der CBS, Jim Rakete war dabei, die Nena wohl auch, erinnert man sich. Aber das Label wollte gleich einen Album-Deal. Nur man hatte ja erstmal nur einen, ja diesen einen Song. Der Vertrag kam nicht zustande. Thomas »Tommy« Maisenbach dazu heute: »Wir waren jung und unerfahren. Wären wir selbstbewusster beim Meeting aufgetreten, hätten wir vielleicht auch einen Vertrag für diese Single bekommen«.
Dennoch war man weiter voller Zuversicht, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis ein anderes Label anbeisst. Für Total ging es nach Berlin, um dort durchzustarten. Joe Bauer, Keyboarder der Band, erzählt: »Ich hatte für uns einen LKW geliehen, da packten wir ein paar Möbel rein und düsten ab nach Berlin. Wir hatten dort eine Wohnung organisiert.« Die Bandmitglieder Tommy, Joe und der Drummer Bernie Weimer setzten alles auf eine Karte, auf Berlin, folgte dem Ruf aus Jim Raketes »Fabrik«.
»Ich hatte mit Gary Karges Autos verkauft in Berlin. In der Kneipe von Carlo Karges, dem Gitarristen von Nena, in Schöneberg war ich Stammgast. Es war eine geile Zeit.«
Thomas Maisenbach
Doch die Band zerbrach mehr oder weniger am Druck, der auf ihr lastete. Dazu ging schnell das Geld aus. Andrea wollte zurück zu ihren anderen Bandprojekten in Stuttgart, Joe hatte dann auch »die Schnauze voll«, denn inzwischen war klar: die Total-Rakete zündete nicht. Nur Tommy blieb noch ein paar Jahre, auch weil er sich ein bisschen in die Nena verguckt hatte: »Ich hatte mit Gary Karges (Bruder von Nena Gitarrist Carlo Karges) Autos verkauft in Berlin. In der Kneipe von Carlo Karges in Schöneberg war ich Stammgast. Es war eine geile Zeit.«
Doch zurück zu »Jede Nacht derselbe Traum«: Hätte man sich nicht dazu entschieden anstatt einer damals üblichen Cassette eine richtige Vinylscheibe für die Vorstellung bei den Majors vorzulegen, so wären Total heute, ja, total vergessen. Selbst die grüne 7″ Schallplatte, die in kleiner Auflage gepresst wurde und von der die dutzende Exemplare leider irgendwann im Müll landeten, ist im Original quasi unauffindbar. Jahrzentelang war der Song selbst bei NDW-Spezialisten unbekannt.
Vor fünf Jahren tauchte die Platte schließlich als Eintrag auf Discogs auf, mit dabei ein Video des Songs, gepostet von einem NDW-Kanal auf YouTube. Über spitzfindige Berliner Sammlerkreise landete der Link beim Label The Outer Edge, dessen Inhaber DJ Scientist irgendwann den damaligen Produzenten Günther Mannschreck am Telefon hatte und ihn für die Idee der Neuauflage begeistern konnte.
DJ Friction war es dann, der das Stück neu masterte, so dass es jetzt, zusammen mit drei weiteren, teils unveröffentlichten Mixen endlich als Vinyl 12″ neu aufgelegt werden konnte. Auf dem Cover Andrea Ströbel, auf der Rückseite die vier Bandmitglieder in der Badewanne. Friction stellte nebenbei sogar fest, dass es sich beim Produzenten Günther Mannschreck mit der Nummer »Snap Jack Fieber« um Stuttgarts ersten Rapper handelte – auch seine Tape-Cutting-Künste und Effektspielereien auf dem Dub-Mix sind heute noch beeindruckend. Und durch Zufall wurde dann noch bekannt, dass Andrea Ströbel, die seit den Achtzigern als professionelle Sängerin arbeitete, die Stiefschwester von DJ Frictions Freundeskreis-Weggefährten Philippe »Don Philippe« Kayser ist. So schließt sich also auch dieser Kreis. Will man da von Scheitern sprechen?