Review

Abdullah Miniawy, Erik Truffaz, Peter Corser & Karsten Hochapfel

Le Cri Du Caire

Les Disques Du Festival Permanent • 2023

Der Arabische Frühling ist längst vorbei. Nach mehreren Staatsstreichen, Umstürzen, Aufständen und vielen Toten hat die Jugend der sogenannten arabischen Welt in den letzten zehn Jahren nichts gewonnen. Ganz im Gegenteil. Von Syrien bis Jemen, von Libyen bis Ägypten sieht sich eine neue Generation mit autoritären oder zerfallenen Staaten konfrontiert, auf der Suche nach Selbstbestimmung und einer Zukunft. Kairo war damals wie heute ein Epizentrum des Widerstands, ob intellektuell oder künstlerisch – und Abdullah Miniawy war von der Stunde Null an in der städtischen Clubszene politisch organisiert, engagierte sich als Sprachrohr der ägyptischen Jugend, als Dichter, Sänger und Poetry Slammer. Sein hochexpressiver, oft mahnender Gesang ist also aus der Not geboren, aber über die Jahre gewachsen und hat sowohl in Bandkontexten als auch im elektronischen Bereich eine unwahrscheinliche Wandelbarkeit bewiesen.

Das blieb auch dem Komponisten und Saxophonisten Peter Corser nicht verborgen, der Miniawy beim postrevolutionären D-CAF Festival 2014 in Kairo kennenlernte und prompt eine Zusammenarbeit anregte – ein Match in heaven, wie sich herausstellen sollte. »Le Cri du Caire« lebt in seiner ganzen Dringlichkeit vor allem von der Dynamik dieser beiden Virtuosen, akzentuiert von Karsten Hochapfels filigran heulendem Cello und einem zwischen Delirium und Erleuchtung taumelnden Erik Truffaz an der Trompete.

Wie eine semireligiöse Erfahrung entfalten sich die Kompositionen dieses Albums zwischen politischer Anklage und poetischer Verve, deren Melancholie ebenso glaubwürdig wie ihr Zorn durchdacht ist. Die Kompositionen sind mal von nebligen Mollwolken getragen und bitter wie Grapefruits mit Riechsalz (»Pearls for Orphans«), mal von atemberaubenden Stakkato-Tänzen von Gesang und Saxophon (»Le marcheur«) oder als Mischung aus Spoken Word und Stimmexperiment (»Kon Kama Kano«). Entgrenzter Kammerjazz arabischer Prägung, gekrönt von einer Jahrhundertstimme in the making – möge sie bald auf den Plätzen Kairos erklingen.