Review

Ian Carr

Belladonna

Mr Bongo • 2021

Was für ein Cover: In einem Feld, zwischen Gräsern und Mohn, steht ein Bartmolch. Kaum zu unterscheiden von einer Vogelscheuche. Weiter hinten eine Dame. Den Style würde man wohl heute »Kinky Southern Beauty« nennen. Der Name des Albums, »Belladonna, schön proggy aufbereitet, mit Rosen »bewachsen«. Man braucht schon sehr viel Phantasie um dahinter einen Goldnugget der Jazzgeschichte zu vermuten. Vermutlich sprach sich deswegen noch nicht vollumfänglich rum, dass man unbedingt zugreifen muss bei diesem Fusion-Kleinod. Blicken wir zurück auf das Entstehungsjahr 1972: Keine 24 Monate vor Erscheinen hatte sich Miles Davis beim Isle of Wight Festival mit seiner Bitches Brew-Band erst in Ekstase und dann den Jazz in ein neues Kapitel gespielt. »Belladonna«, das der Schotte Ian Carr in London, also gar nicht so weit von der Isle of Wight entfernt, eingespielt hat, muss unbedingt in diesem Lichte betrachtet werden. Wie ein entferntes Echo durchdringen die Schallwellen des Fusion-Miles hier die Rillen des Vinyls. Ian Carr als Bandleader und Trompeter gibt den Ton an, schlägt aber seinen Mitstreitern auch einen Pakt vor: Ich fahre vor, ihr hinterher – das Ziel bleibt ungewiss. So bewegt sich das Oktett von Stück zu Stück weiter in einen Fusion-Entwurf, der englische Gelassenheit und Jazzschule mit den großen cineastischen Bühnen der Welt vereint. Im Rückspiegel winken nicht nur Chick Corea und Keith Jarret, sondern auch Woodstock und – wenn man ganz genau hinhört – sogar Pink Floyd.