Review

Jenny Hval

Classic Objects

4AD • 2022

Huch! Macht Jenny Hval jetzt etwa Popmusik? Auf jeden Fall haben alle Songs des neuen Albums »Classic Objects« tatsächlich Strophe und Refrain, es gibt Melodien zum Mitsummen und große Gesten. Das alles ist denkbar weit weg vom experimentellen Sound ihres dritten Albums »Apocalpyse, girl« von 2015. Das folgende Konzeptalbum über Vampire, »Blood Bitch« hatte dann schon etwas mehr Pop-Appeal. Doch so zugänglich wie auf den neuen acht Songs hat man Jenny Hval wohl noch nie gehört. Trotz des unverhofften, sanften Wohlklangs ist »Classic Objects« aber nicht zur Hintergrundberieselung geeignet und bei Songlängen von bis zu acht Minuten ist die Radio- bzw. Playlist-Tauglichkeit ebenfalls überschaubar. Dass Hval sich dafür von den Qawwali-Aufnahmen von Nusrat Fateh Ali Khan und den Ashram-Kassetten von Alice Coltrane inspirieren ließ, passt dann beinahe wieder ins Bild, denn auf »Classic Objects« wird ebenfalls sehr viel getrommelt. Mit heller Stimme singt die Künstlerin aus Oslo über verschiedene Orte, die sie in der Pandemie vermisste oder herbeifantasierte. Das sind Sehnsuchtsorte wie die nun leeren Pubs in Melbourne, in denen ihre Band früher spielte, öffentliche Räume oder imaginäre, erträumte, halluzinierte Orte. Diese werden nicht nur beschrieben und durch die Musik vermittelt, sondern treten konkret selbst auf: wie die summende, brummende, zirpende Blumenwiese am Ende von »Cemetery Of Splendour« oder das minutenlange Synth-Dröhnen, was man womöglich auf dem Weg zum »Jupiter« vernehmen könnte. So kann man sich über weite Strecken in die eigene Erinnerung und Fantasie zurückziehen, doch spätestens wenn Hval Zeilen wie »I wanna live in a democracy« singt, hat der Eskapismus ein Ende. Vom süßen Schönklang sollte man sich also nicht täuschen lassen – Jenny Hval geht es nach wie vor auch um Themen wie Selbstermächtigung und Gesten des Widerstands.