Review

Kae Tempest

The Line Is A Curve

Virgin • 2022

Die Wut bleibt. Trotzdem wirkt Kae Tempests viertes Album »The Line Is a Curve« ruhiger und zurückgenommener. Dieses Platte sei »ein Album übers Loslassen. Über Schamgefühle, Ängste, Vereinsamung – und über das Sich-Fallenlassen: Kapitulation als Ausweg.« So sagt es Kae Tempest” selbst vorab. Was dieses Mal eher Thema des Albums ist. Es gibt keine übergeordneten Motive und Strukturen, wie sie sonst das Feuilleton bei Tempests Arbeiten in der Vergangenheit suchte. In »No Prizes« arbeitet sich Tempest an vergangenen Entscheidungen ab, dazu singt Lianne La Havas. Oder anders: Es hört sich an wie ein Song und nicht wie Spoken Word. Was auch daran liegt, dass Tempest sich viel mehr auf den Sound um sich herum einlässt. Selbst mit Sound of Rum gelang dies nicht annähernd so sehr wie auf »The Line Is a Curve« – weil hier viel mehr Variation auftaucht. Klar, alles bleibt im angenehmen Tempo, aber »Water in the Rain« fährt ein fragiles Instrumental hinter Tempests Worten auf, während »Don’t You Ever« fast schon beschwingt daherkommt. Der Rhythmus muss zwar hier und da als deutliches Metronom fürs Versmaß herhalten. Aber schon »Priority Boredom« setzt den passenden Akzent. Sound und Wort gehen hier mehr und mehr zusammen. Was nicht heißt, dass die Texte weniger wichtig als früher sind. Das hier ist nur eben ein Gesamtwerk, ein hervorragendes Album. Oder wie Tempest es in dem Essay »Verbundensein« selbst formulierte: »Kann sein, dass man die genauen Worte vergisst, aber die Beziehung zum Text nimmt man durchs ganze Leben mit.« Dieses Album trägt viele solcher Texte in sich. Und manchmal darf sie auch ein Sound ins Hirn der Hörer transportieren.