Sie waren nie Anti-Alles, immer nur Anti-Wir. Ob es nun um die arrogante Haltung der Hauptstädter ging oder um die Teilnahme von Frei.wild beim Eurovision Song Contest, die Chemnitzer standen lange für Attitüde mit Inhalt. Auf »Keine Nacht für Niemand« versuchen [Kraftklub](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/1112/kraftklub,) die Reihenfolge umzudrehen. Antisein führt nämlich auf lange Sicht genau an einen Ort: ins Niemandsland. Vielleicht geht es auf »Keine Nacht für Niemand« deswegen fokussierter zu als bisher, was die Themen betrifft; auch wenn die Zeile »Die Menschen rufen unseren Namen/ Kniet nieder vor dem K« und ähnliche Heilsbringer-Gebärden des Eröffnungsliedes zunächst das Gegenteil vermuten lassen. Tatsächlich aber stimmt die Gefolgschaftsanspielung ein auf die Kritik an einer Gesellschaft, in der sich für alle Geld knechten lassen (»Sklave«), bis in die Morgenstunden durcharbeiten (»Hallo Nacht«) und die jedweden Exzess, der Spaß bringen könnte, schlecht heißt (»Liebe zu Dritt«). (Keine Sorge, für pubertäre Posen wie ein dreiminütiges »keinen Fick«-Geben und Schwänze an die Wand malen bleibt aber auch noch Raum.)
Musikalisch hingegen lösen sich Kraftklub von ihrem Trademark-Sound, von den Rhythmen, die ins Bein gehen und die zum Ausrasten zwingen. Stattdessen nehmen sie diesmal streckenweise das Tempo raus, was lässig anmutet wie auf »Leben ruinieren« oder aber melancholisch wie in der Fussballfanballade »Fan von Dir«. Für das episch kitschige instrumentalisierte »Dein Lied« gehen vor dem inneren Auge Tausende Feuerzeuge in die Luft, für »Hallo Nacht« in AC/DC-Manier die Fäuste. Zu dieser Bandbreite gesellen sich dann noch allerhand implizite wie explizite Zitate von Musikern, mit denen sich Kraftklub identifizieren können. Ol’ Dirty Bastard etwa ist die Muse, die Sänger Karl Schumann »Chemie-Chemie Ya« ins Ohr geflüstert hat (oder wars doch Felix Brummer?), Farin Urlaub darf direkt den ganzen Chorus für »Fenster« schreien. Mit all den Referenzen entkommen Kraftklub zwar erfolgreich dem Niemandsland. Neues Terrain erobert die Band damit nicht, ums mit den Worten Brummers zu sagen: »Wieder nichts gesagt außer wir war’n hier«. Für Pop wäre das wünschenswert gewesen. Für gute deutsche Musik reichen aber auch genau diese Harmonien, diese Gitarren und diese Texte.
Keine Nacht für Niemand Deluxe Box