Review

Moor Mother

The Great Bailout

Anti- • 2024

Camae Ayewa aka Moor Mother gehört zu meinen Top 3 der zeitgenössischen Dichter:innen. Im Jahr 2023 schaffte es die Frontfrau von Irreversible Entanglements an die Spitze meiner Jahresendliste. Ihre Texte verbinden die intime Komplexität einer Virginia Wolf mit der autoritären Rhetorik eines Malcolm X. Unnötig zu sagen, dass ich an ihr neuntes Album »The Great Bailout« hohe Erwartungen knüpfe. Kann es diesen gerecht werden? Auf poetischer Ebene: ja. »The Great Bailout« ist die erzählerisch ambitionierteste LP der 48-Jährigen. Sie bietet eine rhizomatische Auseinandersetzung mit der britischen Wirtschaftsgeschichte von 1780 bis heute. Moor Mother inszeniert die Rückkehr des verdrängten Ursprungs des modernen Rechtsstaats. Blut. Sklavenschiffe. Die Leichen der Rechtlosen, die Justizpaläste bauen. Ayewas Stimme ist ein Instrument, mal schmetternd, mal brechend, nie gefällig. Musikalisch wird sie begleitet von einer verzerrten Version der Genres der schwarzen Befreiung. Jazz, Soul, Blues, Hip-Hop – zermahlen in Geräuschcollagen. Wer Songs erwartet, ist hier falsch. »The Great Bailout« ist eher eine Lecture Performance. Kompositorisch gehört es zu Moor Mothers schwächeren Veröffentlichungen. Ästhetisch aber muss man Moor Mother ernst nehmen. Vor allem, wenn sie sagt: »Anti-Blackness has colonized the domains of truth«. Jeder Versuch, ein »wahres Urteil« über »The Great Bailout« zu fällen, würde verkennen, was auf dem Spiel steht. Die Standards, nach denen wir urteilen.