Review

Polygonia

Otro Mundo

Bambe • 2023

»Otro Mundo« ist die beste Techno-EP des Jahres, so viel steht fest, nur fängt sie eben an wie ein Björk-Album. Lindsey Wang wirbelt mit ihren Veröffentlichungen und DJ-Sets unter dem Namen Polygonia schon seit geraumer Zeit neonfarbenen Staub auf, obwohl sich die Parameter ihres Sounds eher uncool lesen: Es geht zwischen Deep Techno und Ambient hin und her durch Flora und Fauna, soll heißen durch Welten, in denen Festivals neben Henna-Tattoo-Stationen immer auch Schamanismus-Workshops anbieten. Die Münchener IO-Mitbegründerin macht aber nicht hinsichtlich potenziell esoterischer Genres alles anders und ergo richtig, sondern positioniert sich abseits des klassisch freudlosen Industriehallen-Technos, der ansonsten den Status quo dominiert. Womit wir wieder bei »Otro Mundo« (natürlich: »Anderswelt«) angekommen wären, das nach dem wunderbaren IDM-Art-Pop-Mash-up mit »Mind Alteration« bleepige Melodien und pumpende Grooves mit einem Kanon von sonderbaren Klängen kontrastiert, die sich wohl am ehesten als Kanon von Unterwasserinsekten beschreiben ließen. Der Slo-Mo-Chugger »Implosion of the Known« treibt dieses Spielchen mit der Widersprüchlichkeit bekannter Formeln und unbekannter, unbequemer Sounds dann auf die Spitze, bevor »Never Have I Seen…« uns erst die hotte Hochglanz-Variante des Príncipe-Sounds präsentiert und »Twirling Membrane« den Haudruff-Rave-Modus von Singeli mit der karl-marx-städtischen Abgeklärtheit der raster-Clique und dem Aus-der-Hüfte-geschossen-Avantgardismus der Livity-Crew zusammendenkt. Kurzum ist »Otro Mundo« die beste Techno-EP des Jahres, auch wenn und gerade weil sie immer nur indirekt Zugeständnisse an die Konventionen des Genres macht.