Review

Ripatti Deluxe

Speed Demon

Rajaton • 2022

Umgeben von unterschiedlichen Zeiten, unterschiedlichen Empfindungen von Zeit, leben wir in einer Ära der konstanten Disruption. Wirtschaftssysteme und Kulturen wollen immer schneller immer weiter. Grenzen brechen auf, der Gott des Wachstums gedeiht. Fernab des Tohuwabohus, von einem kleinen finnischen Bauerndorf aus, observiert Sasu Ripatti dieses Weltgeschehen und kommt nicht umhin, den Wert von Zeit an sich mehr denn je zu schätzen. Mit seinem neuen Label Rajaton, das er in der Hochphase der Pandemie aus Notwendigkeit gründet, nimmt sich Ripatti dieser Thematik konzeptionell an und versucht eigene ebenso wie etablierte Limits zu überwinden, indem er sich Neue setzt. Große Teile seines Equipments hatte er bereits vor zwei Jahren verkauft – und danach den furiosen ersten »Rakka«-Part produziert. Die Beschränkung auf weniger Mittel scheint auch hier wieder Antrieb für musikalische Innovation zu sein. »Raja« steht im Kontext des neuen Labelnamens für die Grenze, der Suffix »-ton« für ihre Negation, ihre Zersetzung. Auf dem ersten Label-Release »Speed Demon« macht der sonst zumeist unter Vladislav Delay produzierende Jazzdrummer und Innovator diese physische wie mentale Entgrenzung als Schlüssel zu einer neuen Soundästhetik aus. Traditionen und Trends waren sein Ding nie, das ist klar. Doch greller, schneller, ruppiger krachen seine Shots und Samples nun durch die dreizehn Tracks eines Albums, das sich kaum zeitgemäßer präsentieren könnte. In diesem hibbeligen Paranoiascore sind Rückstände von Happy Hardcore und Power Noise nachweisbar, aber ebenso von Industrial Techno und experimenteller Elektronik, deren Struktur stets unvorhersehbar bleibt. Gute Ideen gibt es einige, stellenweise auch mal herausragende, doch ist die konzeptionelle Jugendlichkeit von Ripatti Deluxe ebenso deutlich ein Teil der Produktion mit all ihren wilden Kapriolen. Ob das gut oder schlecht ist? Liegt im Ohr der Hörerschaft, die hier – eine gewisse Abenteuerlust vorausgesetzt – viel erleben und mitnehmen kann. Wer Schnellkost für zwischendurch sucht, war bei diesem Mann ja ohnehin schon immer falsch. Wer Musikhören auch als Sport begreifen kann, findet hier aber eine sehr lohnende Anstrengung bar jeder Konvention. Für 2023 sind auf Rajaton schon mal zwei weitere EP-Serien geplant.