Review Jazz

Tony Lavorgna & The St. Thomas Quartet

Chameleon

Jazz Room • 1982

Ich schicke es vorweg: diese Platte hat zwei Seiten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zum einen werden Menschen mit Hang zum Obskuren dieser Platte erliegen. Zum anderen wird’s auch musikalisch nicht uninteressant. Aber von vorne. Ich habe ein wenig recherchiert und kann nun Mutmaßungen über die Entstehung äußern: Im Jahr 1982 im ländlichen Raum um Cleveland, Ohio war The St. Thomas Quartet eine lokale Größe. Ihr Frontmann war der junge, talentierte Saxophonist Tony LaVorgna, der sich selbst Captain Bad nannte und sein Spiel selbst, im Titel eines späteren Albums, mit »The Baddest Alto In The Galaxy« einschätzte. Es wurden ein paar Gigs organisiert, Standards einstudiert und diese mit ungewöhnlichen, Jazz und Funk verbindenden Stücken konterkariert. Dann die Idee, so ein Set mal live zu spielen, und es gleich aufzunehmen. Gesagt, getan. Das Label Anteloper Records würde gegründet (insgesamt sind vier Releases bekannt, allesamt mit Beteiligung von Tony LaVorgna), die junge Journalistin Sarah Hudson für die Liner Notes verpflichtet, das Artwork durfte sie auch noch gleich machen. Der Plan ist geschmiedete. Die Musik beginnt: »Now’s The Time« hätte selbst an der Müggelseeperle 1982 nur diejenigen zum Schwof bewegen können, die bereits 20 Minuten zu lang mit einem Bierkrug in der Hand die Mittagssonne in der Freiluftgaststätte genossen haben. »Chameleon«, das Titelstück, ertränkt das Original von Herbie Hancock in Hammond-Orgeln. »Georgia On My Mind«, der Evergreen, ist als solider Bar-Jazz vorgetragen. Wer als Leserin bis hierhin durchgehalten hat, ist jetzt auf die Pointe gespannt. Und die Pointe ist die B-Seite. Tony LaVorgna und seine drei Mitstreiter haben das Publikum von Ohio zunächst mit gefälligem Jazz eingelullt, um im zweiten Teil ihr wahres Können zu zeigen. Klar, »Take The A Train« kann sich nur schwer mit der Version von Dizzy Gillespie messen, aber das St. Thomas Quartett spielt befreit auf. »Body And Soul«, der Jazzstandard aus den Dreißigern, ist zum Sterben schön gespielt. Und mit George Benson’s »The World Is A Ghetto« ziehen die vier Musiker am Ende noch mal richtig das Tempo an. Eine Schallplatte, die auf sehr unterschiedliche Weise Spaß macht.