Carsten »Erobique« Meyer über die schönsten Dinge, die es gibt

19.05.2025

Die Hamburger Künstler Jacques Palminger und Carsten Meyer aka Erobique veröffentlichen Songs for Joy auf der Veddel. Das Album besteht aus Liedern aus eingesandten Texten, umgesetzt mit Musikerinnen und Musikern aus Hamburg.

Carsten »Erobique« Meyer und Jacques Palminger, ein bewährtes Duo aus Hamburg, haben ein neues gemeinsames Album veröffentlicht: »Songs for Joy auf der Veddel« heißt es – und gute Laune macht es. Dabei fing alles mit einem offenen Aufruf des Schauspielhaus Hamburg an. Der lautete: »Lieben Sie Musik? Schreiben Sie gerne? Schicken Sie uns Ihre Texte!« Und um die daraufhin eingesandten Texte herum komponierten Palminger und Meyer Songs.

Etwa ein Jahr ist es her, dass diese Songs in der zu einem offenen Tonstudio umgebauten Immanuelkirche im Hamburger Stadtteil Veddel zusammen mit Musikerinnen und Musikern aus dem Kiez und anderen Hamburger Stadtteilen aufgenommen wurden. Aus mehr als 200 Einsendungen wurden letztlich 18 Songs, an denen nicht nur Meyer und Palminger schraubten, sondern auch Peta Devlin, Chris Dietermann und Mario Hänni.


»Songs for Joy« – warum haben wir die gerade mehr als nötig? Der Pressetext lässt ja vermuten, dass euer Album eine Antwort aufs aktuelle gesellschaftliche Klima und Krisen ist.
Carsten Meyer: Ja, das kann man so sehen. Aber für mich ist es auch aus anderen Gründen etwas Besonderes. Auch mein Job sieht mittlerweile so aus, dass ich sehr viel alleine vor dem Computer sitze. Und wenn ich Glück habe, kann ich es mir erlauben, andere Musikerinnen und Musiker einzuladen, um zusammen mit mir Musik zu machen. Aber dass man das direkt so öffnet und dass so viele Leute zusammenarbeiten, das war etwas Besonderes. Es waren auch so viele Leute dabei, die wir bisher noch nicht kannten, oder auch Leute nicht unbedingt aus einem professionellen Kontext, sondern Amateure oder solche, die einfach aus Spaß mitgemacht haben, auch ohne musikalische Vorbildungen.

»Wenn das so ein ganz bunter Haufen, so ein wirklich wild zusammengewürfeltes Team ist, dann ist das schon eine tolle Erfahrung. Vor allem in Zeiten, in denen der Mannschaftssport lahmt, weil die Leute alleine auf ihren Fahrrädern in einem Fitnessstudio sitzen.«

Carsten »Erobique« Meyer

Und das…ging?
Carsten Meyer: Es war etwas Besonderes, so etwas zusammen auf die Beine zu stellen und zu sehen, wie sich die Beteiligten alle untereinander kennenlernen. Das war so schön. Mittlerweile kann ja eigentlich jede und jeder mit Künstlicher Intelligenz Musik selber prompten. Dafür braucht man keine Menschen mehr, man geht einfach ins Internet und lässt sich die Musik komponieren. Das ist so wie es ist – aber wir wollten das komplette Gegenteil davon. Man muss sich dabei sehr öffnen. Wenn das so ein ganz bunter Haufen, so ein wirklich wild zusammengewürfeltes Team ist, dann ist das schon eine tolle Erfahrung. Vor allem in Zeiten, in denen der Mannschaftssport lahmt, weil die Leute alleine auf ihren Fahrrädern in einem Fitnessstudio sitzen. Da ist es gut, mal wieder Sachen gemeinsam zu machen.

Wie ist das Projekt entstanden? Erstmals gab es die »Songs for Joy« als Projekt ja schon 2006 am Gorki-Theater. Wie ist daraus letztlich »Songs for Joy auf der Veddel« geworden?
Carsten Meyer: Genau, es hat am Gorki-Theater begonnen. Damals waren Jacques Palminger und ich dort eingeladen, um vor Ort über zwei Wochen ein Projekt umzusetzen, eine Art Workshop. Und dann kamen wir auf die Idee der Song-Poems, nach dem Prinzip, dass Leute Texte einreichen konnten, aus denen anonyme Musiker und Musikerinnen im Studio einen Song gemacht haben. Das Prinzip wollten wir wieder aufleben lassen. Aber auch etwas abgeändert: Wir wollten ein öffentlich zugängliches Studio aufmachen, wo uns Leute auch besuchen können und bei der Entstehung der Songs mitwirken können. Den Ort haben wir mit der Immanuelkirche auf der Veddel gefunden. Dort hatten wir ein offenes Studio, noch mit Peta Devlin, Chris Dietermann und Schlagzeuger Mario Hänni, die uns unterstützt haben, als so eine Art Kernband. Und dann hatten wir jeden Tag Besuch und von Leuten, die mitgemacht, mitgeschrieben haben, mit uns musiziert, getextet und gesungen haben. Das war sehr herrlich.

Wer sind denn die Menschen, die die Songs eingereicht haben?
Carsten Meyer: Das sind wirklich unterschiedlichste Leute. Teilweise haben Freunde etwas geschrieben. Es haben sechsjährige Kinder Texte eingereicht und die türkische Nachbarin. Es ging quer durch alle Gesellschaftsschichten und dementsprechend divers waren letztendlich auch die Texte.

Für die Leserinnen und Leser, die nicht aus Hamburg kommen und die Veddel nicht kennen: Warum finden die »Songs for Joy« auf der Veddel statt und nicht in Altona oder Eimsbüttel?
Carsten Meyer: Also der Funke kam eigentlich vom Schauspielhaus, die Immanuelkirche auf der Veddel ist ein Spielort des Theaters. Die Veddel ist eine kleine Elbinsel zwischen Wilhelmsburg und Hamburg. Sie ist – wie sagt man so schön – ein »sozialer Brennpunkt«. Es ist schon sehr friedlich, da leben alle möglichen Leute, der Wohnraum ist noch günstig und das Viertel ist ein bisschen vor den Toren der Stadt gelegen. Die Immanuelkirche, geleitet von der Diakonin Uschi Hoffmann, ist ein toller Ort. Eher eine Begegnungsstätte. Und das war für uns natürlich wunderbar, weil wir dort einfach tolles Potenzial an Musikerinnen gefunden haben: Argentinische Akkordeonspielerinnen und -spieler, einen Saz-Spieler aus Syrien genauso wie den Kinderchor einer Schule. Und da war mächtig was los, das war toll. Wir haben viele internationale Leute getroffen, mit denen wir arbeiten konnten. Das war ein schöner Mischmasch und hat echt Spaß gemacht.

Bräuchte es die »Songs for Joy« vielleicht nicht nur auf der Veddel, sondern auch in ganz anderen Ecken der Republik? »Songs for Joy« in Bautzen oder Riesa vielleicht?
Carsten Meyer: Eigentlich kenne ich das aus der Kultur so, dass es auch in kleinen Orten Räume gibt, wo Leute zusammenkommen und Musik machen. Sei es der Chor oder ein Orchester oder ein Verein. An sich ist das ja vergleichbar dazu, wenn Leute jeden Mittwochabend zur Chorprobe gehen und dann auch merken, dass sie zusammen mehr erreichen als alleine und vor allem auch merken, dass alle ein bisschen unterschiedlich und nicht alle gleich sind. Aber es wäre toll, wenn es wieder mehr davon gäbe, damit nicht alle nur noch allein vor ihren Handys sitzen.

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Kein Song auf der Platte lässt sich irgendwie in dieselbe Schublade stecken, die Palette an Stil und Genres ist sehr breit. Wie habt ihr die verschiedenen Spielarten ausgewählt? Wie wurde aus einem Text ein spezifischer Song?
Carsten Meyer: Zunächst haben ja nicht nur Jacques Palminger und ich daran gearbeitet, sondern noch mehr Leute: Peta Devlin, Chris Dietermann und der Schlagzeuger Mario Hänni, die alle mitgeschrieben haben. Und mein Musikgeschmack ist ja sehr offen, das gilt für alle. Die Stilistik ergibt sich ein bisschen beim Komponieren. Da hat einer die Idee, das könnte jetzt ein Country-Song sein oder eine Ballade sein oder ein Chanson oder ein jazziger Track. Darüber macht man sich nicht so richtig strategische Gedanken, das passiert einfach. Und das ist toll, denn die Texte sind ja alle unterschiedlich, die Leute, die mitmachen, sind alle sehr unterschiedlich. Und dementsprechend ist es schön, wenn auch die Lieder alle ein bisschen unterschiedlich sind. Das Einzige, das von vornherein klar war: dass wir Musik machen, die man zusammen machen kann, also mit sehr vielen Instrumenten live und nicht unbedingt elektronisch.

»Ein kleines Fest der Liebe war das, alle sind wahnsinnig nett miteinander umgegangen und es ist viel dabei rumgekommen.«

Carsten »Erobique« Meyer

Jacques Palminger und du, ihr seid sicherlich ein gut eingespieltes Team. Wie genau lief die Zusammenarbeit ab?
Carsten Meyer: Das eigentliche Happening war die Aufnahmesession in der Kirche, die über zwei Wochen lang ging. Und eine tolle Sache mit Jacques Palminger ist: Man fährt da morgens hin, eine halbe Stunde mit dem Rad auf die Veddel und abends wieder eine halbe Stunde mit dem Rad zurück und bespricht sich dabei und macht sich Mut. Aber wir waren beiden wahnsinnig verwundert darüber, wie gut wir uns alle verstanden haben. Man kam da gut gelaunt an und ist abends gut gelaunt nach Hause gefahren. Das war auch ein kleines Wunder, selbst für uns, die wir schon viel zusammen gemacht haben. Ein kleines Fest der Liebe war das, alle sind wahnsinnig nett miteinander umgegangen und es ist viel dabei rumgekommen.

Dabei klingen zwei Wochen nach einem ziemlich dichten, stressigen Programm?
Carsten Meyer: Ja, das sind ja auch 18 Lieder geworden. Wir dachten erst, wenn wir 12 Lieder haben, haben wir genug für eine Schallplatte. Und wir sind auch davon ausgegangen, dass wir aussieben müssen, die nicht ganz so guten Lieder rausnehmen und uns auf die stärkeren konzentrieren müssen. Es haben aber alle Songs so einen Spaß gemacht, dass wir in dem Moment gar keine schwächeren oder stärkeren Lieder unterscheiden konnten. Dann haben wir es mit allen 18 durchgezogen. Aber wie gesagt, es hat die ganze Zeit Spaß gemacht, so konzentriert und hochtourig zusammenzuarbeiten und keiner ist zusammengebrochen. (lacht)

Könnt ihr mit den »Songs for Joy« auf Tour gehen – funktioniert das?
Carsten Meyer: Das wäre toll, kann man aber leider nicht machen. Das wäre ja wie ein Wanderzirkus mit 40 Leuten, die auf Tour gehen müssten. Es gibt einen Film, der im Juli herauskommt. Und dann überlegen wir, ob wir nicht in einigen Städten bei den Filmvorführungen dabei sind, bei kleinen Premieren, und vielleicht im kleinen Kreis mit Peta zwei, drei Lieder von der Platte performen. Ansonsten werden wir mit dem Projekt noch einmal in Gänze am 17. Mai im Schauspielhaus auf der Bühne stehen und dann in der Form wahrscheinlich nicht wieder. Es ist überhaupt schon totaler Wahnsinn, dass am 17. Mai auch wirklich alle dabei sein können: Wie ein großes Orchester! Ansonsten gibt es ja im Wechsel für jedes Lied neue Sängerinnen, neue Sänger und Gast-Musiker und -Musikerinnen. Da ist viel Bewegung auf der Bühne. Ein toller Zirkus.

Hat es in den zwei Wochen der Aufnahmezeit einen Aha-Moment gegeben oder ein Ereignis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Carsten Meyer: Es waren so viele Momente. Und so viele Menschen. Aber einer sticht vielleicht noch heraus: Wir haben den Sänger Carsten Schnathorst eingeladen, er singt das Stück »Freiheit«. Er ist ein großartiger Musiker, Sänger und Improvisator – und ist sehbehindert. Als er angekommen ist, mussten wir noch eine andere Sache fertig machen. Ich habe ihn dann an die Keyboards gesetzt und er fing natürlich sofort an zu spielen – »My Girl« von den Temptations, also einen Oldie. Dann fing er noch an zu singen, Peta sang plötzlich die zweite Stimme mit und auf einmal stiegen alle ein – das war wirklich ein kompletter Gänsehaut-Moment und ich den Tränen nahe, weil es so schön war. Und diese Idee, dass die ganze Zeit Musik entsteht und alle etwas mitbringen, das war so ein bisschen der Schlüsselmoment für mich. Was für ein Geschenk das ist! Das war wirklich wunderschön und nur einer von sehr vielen kleinen Momenten, die einem auch die ganze Zeit zeigen, warum man das macht, wie kostbar das ist, wenn da eine so offene musikalische Stimmung herrscht. Das ist für mich eine der schönsten Sachen, die es gibt.

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