Mit seinem rawen R&B erobert Nourished by Time die Welt im Sturm

15.09.2025
Foto:NBT / Beggars Group

Non-existente 80s-Banger, die aus dem Smartphone erklingen: So könnte man den Sound von Nourished By Time kurz charakterisieren. Er entfaltet eine ungeahnte Sogkraft. Das liegt vor allem am Leitmotiv des Musikers.


»You’re not passionate at all and that’s all on you.«
– Nourished by Time in »Max Potential«


Der Legende nach soll Robert Pollard – Mastermind der ikonischen Lo-Fi-Indiegruppe Guided By Voices – mal von unzähligen Sixties-Platten geträumt haben, die eigentlich gar nicht existierten. Also setzte er sich das Ziel, all diese ›Fiktionsalben‹ aufzunehmen und mit seiner Band Guided By Voices zu veröffentlichen. Dass diese Musik jedoch nur bedingt nach den tatsächlichen Sechzigerjahren klingt, dass sie vielmehr den Kernspirit des Ganzen einfängt/umkrempelt, macht den Charme von GBV-Meisterwerken wie Bee Thousand (1994) oder Alien Lanes (1995) aus.

Marcus Brown hat sein Pseudonym für das R&B-Projekt Nourished By Time an den Bandnamen der Indie-Legenden Guided By Voices angelehnt. Auch wenn Browns Musik wenig bis gar nicht wie die von Pollard klingt, scheint der Sänger/Produzent einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen: Seine Songs klingen wie verwaschene Aufnahmen der Vergangenheit – in diesem Fall der Achtzigerjahre –, die es in dieser Form nie gegeben hat, sich aber trotzdem an den Charakteristika der damaligen Zeit bedienen; und aus diesen Zutaten etwas Originelles zaubern.

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R&B ist ein Genre, das mich in den letzten paar Jahren eher gelangweilt hat, doch The Passionate Ones – so heißt das überragende Zweitwerk von Nourished By Time – wird vermutlich mein Album des Jahres. Schon Browns Debütalbum Erotic Probiotic 2 überzeugte mit einem ungewöhnlichen Mischmasch diverser Achtziger-Sounds, doch nun ist der 29-Jährige endgültig zum spannendsten Vertreter seines Genres geworden. Das liegt vermutlich auch daran, dass es sich bei The Passionate Ones eben nur bedingt um R&B handelt: Brown integriert die diversesten Samples (jenes in »Max Potential« erinnert an die Cocteau Twins), greift die Clubmusik seines Geburtsorts Baltimore auf, fängt im geil-hektischen Highlight »BABY BABY« an zu rappen. In erster Linie sind es jedoch Einflüsse aus New Wave und Synth-Pop, die The Passionate Ones zu solch einem mitreißenden R&B-Album machen.

Für Nourished By Time ist Leidenschaft die wichtigste Währung (Foto: NBT / Beggars Group)

Dem Hustle mit Gefühlsausbrüchen entfliehen

Durch diese Soundkombination stachen in jüngster Vergangenheit auch schon die (oft zusammenarbeitenden) Künstler Mk.gee und Dijon heraus; auch das neue Album »SABLE, fABLE« von Bon Iver greift diese spezifische Art von 80er-Schimmer auf. Die Songs von Mk.gee, Dijon und vor allem Nourished By Time klingen wie vergessene Eighties-Banger, die nun über ein Handy angespielt werden, das unter einem Kissen liegt. Glockige Glanz-Synths, ja, aber dumpfe Drums. The Passionate Ones wirkt gedämpft, aber nur soundmäßig – denn emotional wird sich kaum zurückgehalten… Stücke wie »When The War Is Over« zerreißen mich.

Besonders ist, dass Browns Crooner-Stimme sozusagen als Mikrokosmos des Gesamtsounds von The Passionate One funktioniert: Auch sie hat etwas (im bestmöglichen Sinne) Mattes und transportiert trotzdem die absoluten Gefühlsausbrüche.

Der Albumtitel ist eine Referenz an den Prince-Song »The Beautiful Ones« – dieser weist tatsächlich ähnliche Klangcharakteristika wie Nourished By Time auf – und symbolisiert eine gewisse Ideologie, die Marcus Brown propagieren will: Liebe und Leidenschaft reichen aus, sie sind und bleiben das Wichtigste, die essenziellste Währung. »Low on money, quite high on passion«, singt er in »Baby Baby«, »If I’m gonna go insane, at least I’m loved by you« in »Max Potential«.

Und Leidenschaft bleibt nicht sturm-und-drängerischer Selbstzweck. Hier ist sie Gegenmittel zur grassierenden Ohnmacht. »Working restaurants by day, writing love songs every night«, singt er. Brown ist stets drangeblieben, trotz beschissener Nebenjobs und mehreren Karriere-Fehlstarts. Darin – und in der durchweg linken Perspektive auf The Passionate Ones – find ich mich ständig wieder. Ohnmacht bringt nichts und wird schon von genügend Artists beworben. Am Ende von The Passionate Ones wiederholt Marcus Brown immer wieder den Albumtitel. Fast wie ein anfeuerndes Mantra. Auf dass die Leidenschaftlichen gewinnen.

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