Wreck Yoself! – Die neue Lust an der Selbstzerstörung

01.10.2015
Die Utopien sind aufgebraucht, der Medizinschrank bis zum Zerbersten voll. Rapper sind vom Glauben abgekommen und auf Drogen hängengeblieben. Wir gucken ihn gerne dabei zu – die Kaputtesten sind die Erfolgreichsten. Was ist los?

Kendrick Lamar proklamiert zwar »We gon’ be alright!«, seine Kollegen sind aber anderer Meinung. Seine Kollegen, das sind hier jene, deren Musik in den Staaten chartet, die auch über dem großen Teich bekannt sind. Künstler aus dem Bereich Rap/R&B, die Crossover-Erfolge feiern.

In den Top 10 der US-amerikanischen Billboard 200 befanden sich noch vor zwei Wochen drei Rap/R&B-Alben, anhand derer sich eine Tendenz ablesen lässt. The Weeknd, Travi$ Scott und Future geht es allesamt auf ihren Werken nicht sonderlich gut. Doch sie alle beschäftigen sich gar nicht mehr damit, dass oder wie irgendetwas wieder »alright« werden könnte. Stattdessen finden sie Halt im eigenen Ego und betäuben sich.

»Check yourself before you wreck yourself!«, der von Ice Cube geprägte Slogan war immer ein wichtiger im Rap. Er bedeutet so viel wie: Überdenke nochmal, was du vorhast, bevor etwas gewaltig in die Hose gehen könnte. Mainstream-Rap und R&B waren stets darum bemüht zu zeigen: Mir geht es blendend, ich bin der richtige Mann für dich. Vor allem bei The Weeknd (Platz 1 in der Charts) und Future (Platz 10) lautet die Devise nun viel mehr: Mir geht es beschissen, und ich bin ausschließlich der richtige Mann für mich. Beide inszenieren sich als selbstbewusste Egomanen, die auf ihr eigenes Grab zusteuern.

Die Genres haben eine bisher nicht dagewesene Lust an der Selbstzerstörung entwickelt. Jene Musiker, die die Dunkelheit, das Absinken in den Drogensumpf am stilvollsten darstellen, sind gerade die erfolgreichsten. »Drugs started to feel like decaf« singt The Weeknd, »I’ve been up for a long time, broad day/I’ve been popping pills, pouring syrup, everyday« rappt Travi$ Scott, der schon auf seinem Vorgänger-Mixtape sagte, dass ihm eine Überdosis durchaus egal wäre. Etwas überspitzt ist also von Ice Cubes Aufforderung nur noch das »wreck yourself!« geblieben.

Den Ursprung dieser Tendenz findet man vielleicht bei Lil Wayne. Als dieser 2007 und 2008 auf dem Höhepunkt seines Schaffens war, befand er sich gleichzeitig geradewegs auf einer Reise zum Mars und in den Tod. Sein Schaffen und sein Drogenkonsum hatten den Höhepunkt erreicht. Lil Wayne machte den Codein- und Promethazin-haltigen Sizzurp populär. Zuvor war dieses Getränk nur jenen Rap-Fans bekannt, die DJ Screw und UGK kannten. Nun nach und nach auch solchen, die in europäischen Großraumdiskotheken »Lollipop« neben einem David Guetta-Track abfeierten.

Ein Schlüsselsong für die aktuellen Tendenzen im Rap ist Lil Waynes »I Feel Like Dying«. »Only when the drugs are gone, I feel like dying« heißt es da im Refrain. Der Song stellte die unendlichen Höhen des drogeninduzierten Flugs direkt neben den darauf folgenden Absturz. Und akzeptierte diesen. 2013 befand sich Lil Wayne nach einem Schlaganfall für fast eine Woche in einem kritischen Zustand. ###CITI: »Reizvoll ist der Griff nach den Sternen und das gleichzeitige Ausblenden sozialer Verpflichtungen, Empathie und Liebe.«:### Zwar sieht Wayne den Ursprung für die Anfälle in seinem angeblichen Epilepsie-Leiden, der Drogenkonsum wird es aber zumindest nicht besser gemacht haben.

A$AP Rocky übernahm in der Folge Waynes Rolle als Botschafter des Sizzurp. Als sein bester Freund A$AP Yams, bekennender Fan von Xanax und anderen Betäubungsmitteln, im Januar dieses Jahres an einer Überdosis verschiedener Drogen starb, waren alle bestürzt. Eine weitere Diskussion aber löste das Thema nicht aus. Und das obwohl YAMS Kumpel A$AP Rocky ein Weltstar ist; inklusive Mode-Kampagnen und Teenie-Fans.

Stattdessen wächst die Zahl der Nachahmer. Reizvoll ist der Griff nach den Sternen und das gleichzeitige Ausblenden sozialer Verpflichtungen, Empathie und Liebe. Eine Art neuer Ignoranz hielt Einzug im Rap. Gerade erlebt sie mit Money Boy und seinen Medikamenten- und Hustensaft-Schergen seine Hochzeit in Deutschland. Der mit Sizzurp aufgefüllt Styropor-Becher ist längt auch hierzulande nicht mehr aus Rap-Videos wegzudenken, ob nun als Gimmick oder nicht spielt keine Rolle. Noch nie übten Rapper eine so große Faszination dadurch aus, dass man ihnen dabei zuschauen darf, wie sie sich betäuben und Stück für Stück herunterwirtschaften.


When I’m fucked up, that’s the real me


Vor allem für R&B ist die Abwehrhaltung gegenüber der Liebe atypisch. Zwar lag auch im R&B die Betonung immer schon oft auf dem ass statt der togetherness, aber genauso oft wurde die Liebe gesucht. Niemals komplett negiert.

R&B war auch in der jüngeren Vergangenheit schon desillusioniert (The-Dream zum Beispiel), blieb dabei auf der Suche nach Liebe. The Weeknds vielbeachtetes Debüt »House Of Balloons« aus dem Jahre 20011 verwehrte sich zum ersten Mal radikal dieser Suche. Mit seinem zweiten offiziellen Album »Beauty Behind The Madness« dreht sich nun alles um die Liebe – aber fast ausschließlich darum, wie sinnlos sie doch sei. »Stupid is next to I love you« singt er auf dem Albumopener, um später auszuführen: »I only love it when you touch me, not feel me/ When I’m fucked up, that’s the real me.« Mit diesen Zeilen bringt er alles auf den Punkt. Einerseits ist jegliches Gefühl aus der zwischenmenschlichen Beziehung gewichen, die nun ausschließlich körperlicher Natur sein soll, gleichzeitig ist er sich der Vergänglichkeit dieses Körpers nicht nur bewusst, sondern beschleunigt sie auch noch.

Was übrig bleibt? Nichts. Selbst auf dem Single-Hit »I Can’t Feel My Face«, ist das You nicht etwa eine Dame – sondern Koks: »I know you be the death of me at least we both be numb«. Das aktuell erfolgreichste R&B-Album bezirzt nicht mehr eine Angebetete, sondern spricht vom Glauben abgekommen jeder Emotion ihre Heiligkeit ab.

Vom Glauben an die Liebe abgekommen ist auch Future. Nachdem dessen Beziehung zu Sängerin Ciara in die Brüche ging, konnte man anhand seiner gefühlt monatlich neu erscheinenden Mixtapes sein Umgang mit dem nachvollziehen, was am Anfang nichts anderes war als Liebeskummer. ###CITI: »R&B war nie die Speerspitze des Feminismus. Die totale Degradierung der Frau auf Blockbuster-Niveau ist in diesem Ausmaß aber neu.«:### Direkt auf die Trennung folgte der kindlich-trotzige Song mit dem programmatischen Titel »Pussy Overrated«. In der Folge stürzte sich Future in gleich drei Dinge: Arbeit, Drogen und Sex. In seinen Zeilen spült er das Ecstasy mit Champagner herunter und guckt am Morgen darauf zu, welche Verfärbung sein Pipi gerade hat. Wenn er nicht gerade auf eine Frau pinkelt (»Peacoat«).

R&B war nie die Speerspitze des Feminismus. Die totale Degradierung der Frau auf Blockbuster-Niveau ist in diesem Ausmaß aber neu. Futures »Dirty Sprite Part 2« ist voll davon. Zum einen von Verweisen auf den Gebrauch von Xanax, MDMA und Codein, zum anderen von lieblosen Abhandlungen über den Geschlechtsakt. Über den weiblichen Part weiß man als Hörer nichts. Sie bleibt das Sexualobjekt; dafür konzentriert sich Future gleich an mehreren Stellen darauf, zu erzählen, welche teuren Designergegenstände er während des Aktes noch am Körper trägt. »I just fucked that bitch in some gucci flip flops«.

Travi$ Scott, zwei Plätze hinter The Weeknd in den Charts, hält schließlich auch keine andere Perspektive bereit: »You get high with me, you come down with me/ That’s all I need in my fantasy/ We designed our love around the drugs.«
Mehr als gemeinsame Drogentrips wünscht sich Scott nicht von seiner Partnerin. Die Droge bestimmt, was hier Liebe genannt wird. Die Fantasie, also die Vorstellungskraft, geht nicht über das hinaus, was die Droge bereithält.


Und das lässt sich nicht nur auf die Liebe beziehen. Denn Kendrick ist aktuell der Einzige populäre Rapper, der versucht, hinter die Umstände zu blicken. Er wehrt sich gegen das Bestehende und erdenkt sich Alternativen. »We gon’ be alright!«, rappt er in einem Jahr, in dem die Polizeigewalt in den USA so viele Todesopfer gefordert hat wie seit 40 Jahren nicht. Und der Rest? Gibt sich entweder unpolitisch oder ist nicht in der Lage sich eine bessere Zukunft auszumalen. Es ist ein wenig ironisch, das Rap-Fans aus aller Welt gerade in die Kinos trudeln, um sich den Film über die Rap-Revoluzzer N.W.A anzugucken, während ihre aktuellen Lieblingsrapper sich dem System untergeordnet haben und darauf bedacht sind, darin die eine möglich erfolgreiche Position einzunehmen.

Travi$ Scott spricht auf seinem Debütalbum einmal davon, etwas aufzubauen. Seine Mama habe ihm gesagt, dass alles, was er pflanze, wachsen müsse. Selber führt er fort: »And anything I detonate, that shit gotta blow.« Seine Mutter redet von Wachstum und Travi$ Scott hat keine Ahnung wohin dieser führen soll. Nur zum Erfolg. Oder zum großen Knall. Das »blow« kann man in beide Richtungen interpretieren. Etwas Anderes/Besseres kann er sich nicht vorstellen.
Damit ist er nicht alleine. »Es fällt leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus« beschreibt der amerikanische Kritiker der Postmoderne Fredric Jameson den Zustand, in dem die Zukunft bereits vom System der Gegenwart verschluckt wirkt.

In dem Verlust der Fähigkeit sich eine Zukunft vorzustellen, die etwas Besseres bereithält als die Gegenwart, bringt Travi$ Scott also (obwohl er nur über sich selbst redet) das Gefühl einer ganzen Generation auf den Punkt.
Und auch The Weeknd und Future fangen den Zeitgeist ein: Man kann immer einfach weitermachen, ohne anzukommen. Unglücklich sind sie alle, aber der Wohlstand ist groß. Tinder hat die Liebe getötet, aber das Ego ist gesünder denn je.

Obwohl keines der drei derzeit erfolgreichsten Rap-Alben zur Reflexion fähig ist, obwohl die Blickwinkel nicht über Ego und Fleischbeschau hinausgehen, obwohl, nein, gerade deshalb lässt sind sie interessante Zeitzeugnisse über einer Generation, aus der die drei Musiker selbst entspringen. Travi$ Scott ist 23, The Weeknd 25, Future immerhin 31.

Sie alle träumen nicht mehr, sie halluzinieren. Sie erschaffen keine Utopien, sie erschlaffen in von der Droge bereitgestellten Fluchtmöglichkeiten. Oder wie es bei The Weeknd heißt:
»I’m a prisoner to my addiction / I’m addicted to a life that’s so empty and so cold.«