Zwölf Zehner – Juli 2011

01.08.2011
Willkommen im August. Doch vorher lassen Florian Aigner und Paul Okraj den Monat Juli musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Robbie M (Midnight Express)
I Wanna Be With You Tonight
Peoples Potential Unlimited • 2011 • ab 10.99€
Sollten wir uns bei Numero Zehn ein wenig entzweit haben, so passt bei diesem Thema kein Blatt Papier mehr zwischen Kollegen Aigner und mir: Wir stehen einfach auf R&B. Sei es die Schmonzette aus den frühen Neunzigern (ja, auch die ohne obligatorischem Biggie-Feauture), aktuellem pathetischen Übermut des Herren Terius »Dream« Nash oder eben Robbie M’s aktuellen unwiderstehlichen Schmuser I wanna be with you tonight, den Andrew Morgan, schätzenswerter Mann hinter dem mächtigen ReIssuelabel Peoples Potential Unlimited, just dieser Tage auf 7inch unter die Leute bringt. Und siehe da: Hierbei handelt sich noch nicht einmal um eine Wiederveröffentlichung, sondern um aktuelles Material des Mitfünfzigers, dessen Erstlingswerk ebenfalls bereits in der Pipeline wartet. The music†˜s nice, the mood is right, I just wanna be with you tonight. Let the DJ play and the bodies sway, I just wanna be with you tonight. Erstaunlich, aber es sind doch zumeist die einfachen Dinge, die ausgesprochen werden müssen, auf die man reinfällt. Musik für Herz und Seele. Kein Wunder, dass dieser seelenruhige, rotgekleidete Pimp mit abgeklärter Gelassenheit gleich zwei Frauen gleicher Blutlinie bezirzt Eine würdige, eine würdevolle Nummer Eins.

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Man könnte an dieser Stelle viele Zeilen darauf verschwenden, Analogien zwischen dem zeitversetzten, kometenhaften Aufstieg der Neptunes und OFWGKTA herzustellen, über mögliche zukünftige Zusammenarbeiten zu spekulieren und die hauseigene Teenage-Angst (I wanna fuck the world but not a fan of using condoms) der Golf Wanger freudianisch auseinanderzuklamüseln. Oder man konzentriert sich auf eine triumphale Rückkehr eines ehemaligen Dream Teams, das in dieser Form seit 2006 nicht mehr so dermaßen brilliert hat. Über einen knochentrockenen, den Neptunes eigenen Minimalismus mit einigen bedrohlichen Chords unterstreichenden Beat lässt ein furios spuckender 34-Jähriger Schneeschipper seinen 20-Jährigen Hipster-Sidekick ganz schön alt aussehen. Rap’s not a competition but Hell Hath No Fury is winning!

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Nicht dass Laurel Halos verhuschte Kickdrum-lose Rhythm-Is-Rhythm-Gone-Chillwave-Skizzen wirklich einer Neubearbeitung bedurft hätten, aber die Art und Weise, wie der ebenfalls notorisch unbequeme Actress hier ein von einem lakonischen Hauchen durchzogenes Piano-Loop rekontextualisiert und nach einiger Wartezeit mit einem geradlinigen 4×4-Arrangement versieht, übertrumpft das Ambient-Original noch mal um Längen. Musik für den Kopf, klar, aber hier zuckt auch das Bein.

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The Midnight Eez
The Midnight Eez
All City Dublin • 2011 • ab 7.99€
So sehr wir alle diesen Sound lieben, zerrt die ständige Reanimierung Boom Baps doch stetig an manchen Nerven. Produzenten in riesigen Heerscharen versuchen sich an der Replikation dieses charakteristischen Sounds, kopieren bestimmte Verfahrensmuster und meditieren in geistigen Zeitreisen zu den Five Boroughs anno 1993. Bisweilen durchaus talentiert, wenn auch zumeist auch äußerst berechenbar. Warum nicht gleich die Originale hören? Doch wenn man auf dem Feld bewandert ist, vieles bereits gehört hat, werden die Momente weniger, in denen ein Track, ein Song, ein Beat noch zu berauschen imstande ist. Nicht aber bei den Midnight Eez. Die selbstbetitelte Demo des Produzenten-Duos aus New York, die die Iren von All City Records glücklicherweise in Vinyl gepresst haben, ist schließlich genau zu jener Zeit entstanden. Der Rest ist Legende, Informationen Mangelware: 1995/1996 remastered demo with unreleased beats from unknown Bronx duo called the Midnight Eez. Eine Minute und zwölf Sekunden machen jegliche eingangs erwähnte Replikationsversuche obsolet. How it started? Drumbreak in die SP, Klavierloop drüber, auch das kurze Saxofon-Sample nicht zu missachten. Schon wird die Frage eloquent von Raekwon beantwortet und mit Gänsehaut quittiert. Wahnsinnsplatte und Anschauungsunterricht zugleich. Hören, nicht nachmachen oder im Internet der folgenden Frage nachgehen: How do u get that crispy SP1200 drumsound with software? Probably, you won†˜t.

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Levon Vincent
Man Or Mistress
Novel Sound • 2011 • ab 12.99€
Zu meiner persönlichen Schande muss ich gestehen, dass ich das Werk von Levon Vincent bislang sträflich ignoriert habe. Sollte er weitere Monster vom Schlag Man or Mistress im Katalog haben, wartet eine Menge Arbeit auf mich. Behutsam baut er hier den Groove auf, legt einen kurzen Bassloop über die Kickdrum und erzeugt Atmosphäre über etliche Hintergrundeffekte. Nach einem kurzen Break beginnt das Spiel von Neuem. Und zieht sich hin. Mit stoischer Ruhe zögert der New Yorker das Unerwartete hinaus und überrascht nach drei Minuten just im richtigen Moment mit einer unverkennbaren ravigen Powersynth, die er auf mehreren Ebenen Richtung Höhepunkt schichtet. Floorfiller? Gewiss! Floorkiller? Gewiss auch. Levon, I got my eye on you!

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Medlar / Greymatter / Krl / Chicago Damn
Wolf EP 08
Wolf Music • 2011 • ab 8.99€
Immer wieder schön zu beobachten, wie flüssig sich im Vereinigten Königreich die Szenen mitunter aufeinander zubewegen und gegenseitig beeinflussen. Während Post-Dubstepper sich mit immer größeren Schritten in Richtung Housestrukturen fortbewegen, übernehmen Houseproduzenten bekannte Muster ihrer in den letzten Jahren bahnbrechende Arbeit leistenden Kollegen. So auch Greymatter, der sich auf Tesla Vocalsamplingstrukturen des Dubsteps zu eigen macht und in verschiedenen Tonhöhen zu einem dichten Teppich schichtet. Wäre das nicht schon genug, vereinigt er diese mit einer simplen Bassline und melodischen Synth, für deren sich die Briten zum Glück nie zu schade sind. Gelobt sei das Volk, das seit dem zweiten Summer Of Love Aufgeschlossenheit nicht nur predigt, sonden vorlebt. Heavy, huge, massive, rockin waren die ersten Kommentare zu Tesla bei Soundcloud nachdem die ersten Snippets erschienen waren. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

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Wer hätte vor 15 Jahren geahnt, dass No I.D. im Jahr 2011 der Go-To-Guy für die Großkopferten sein würde, wenn es darum die eigene Straßenverbundenheit musikalisch zum x-ten Mal zu rekapitulieren ? Keiner, eben. Genau jenen haben nun aber auch Nas und Common angerufen, nicht Premier, nicht RZA, nicht Pete Rock, nicht Buckwild. Die Arbeitsanweisung dürfte mit »Hood Shit, 1997-Style« auch relativ schnell umrissen gewesen sein, so dass sich die beiden alten Rap-Recken ganz darauf konzentrieren konnten, den Damen den Hof zu machen und – der eine frisch geschieden – nochmal mächtig den eigenen Testo-Spiegel in die Höhe zu treiben. Und wer es noch nicht wusste, Nas ist »a pro in the pussy category«, meine Freunde!

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Dexter
Space Booty
Clone Crown • 2011 • ab 8.99€
Um Missverständnisse von vornherein zu vermeiden: Bei Dexter handelt es sich in diesem Falle nicht um den Heilbronner Hip-Hop-Musiker sondern um den Niederländer Remy Verheijen, der unter anderem gemeinsam mit Panne-Bar-Steffi das Techno- und Electro-Label Klakson betreibt. Vom Heilbronner Pendant hätte man vermutlich auch nicht einen dermaßen bouncenden Electro-Stompfer Marke Fat Skinny People erwartet. (Und ja, mit Electro meine ich Electro im eigentlichen Sinne und nicht was der gemeine Volksmund dafür fälschlicherweise als Synonym wählt.) Ungefiltert stolpert hier die Drummachine hier schneidende Kicks, Claps und Hi-Hats aus dem Lo-Fi-Speicher, während der Bass jedes Boxenmembram des Planeten nonchalant zum Zweikampf auffordert. Der Wahnwitz dieses wahrlich pathologischen Tracks wird dialektisch von dem kurzen Vocalsample befeuert und den perfekt eingesetzten Sci-Fi-Effekten in Szene gesetzt. Wer es noch nicht mitbekommen hat: Electro is coming back, big time!

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Was Itals Culture Clubs so speziell macht, sind nicht die Zutaten. Vintage Drum Machines und Rimshot-Salven, eine verpeilt schlingernde Synth-Melodie aus Larry Heards Juno-Baukasten, darüber noch Schwülstiges aus dem Cosmic- und Italo-Kontext – das machen gerade viele. Wie es Ital aber schafft , all dies so nonchalant für neun Minuten zu mäandern lassen, uns immer in der Ungewissheit lassend, ob sich eine der torkelnden Melodien nicht gleich frontal auf die Fresse legt, ist atemberaubend und irgendwo auch die konsequenteste Fortsetzung dessen, was Virgo 4 vor 25 Jahren schon gemacht haben.

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Chicago Damn
Different Worlds
Sixty Five • 2011 • ab 6.99€
Different Worlds hat Zwietracht gesät im eingespielten Tag Team Aigner/Okraj. Zu prätentiös deep, überambitioniert und dabei nicht zu Ende produziert, so Kollege Okraj. Mich hingegen hatte Chicago Damn bereits nach 10 Sekunden unaufdringlicher Percussion. Und dieser Breakdown erst, der den Track beinahe kippen lässt, bis sich nach einer gefühlten Ewigkeit diese eleganten Piano-Akkorde ganz schüchtern zurückmelden und die Different Worlds endgültig die subtilste Art von Open-Air-Euphorie atmen lassen, die man seit langem gehört hat, auch weil Chicago Damn eben nicht all in geht und das angedeutet Pathos in einer dubbigen Schlusssequenz ertränkt, das Vocal-Sample nur sehr behutsam einsetzt und uns zehn Minuten vergeblich auf eine funktionale Kick oder Snare warten lässt. Diese Groove-Askese hat dann viel von den besten Momenten eines Mark E und das ist Grund genug, dass Different Worlds hier erwähnt werden muss, werter Kollege!

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