Review

Pole

1 2 3

Mute • 2020

Den umfassenden Siegeszug der Nerd-Kultur von Comicverfilmungen bis Mark Zuckerberg hat sich Stefan Betke am Ende des letzten Jahrtausends so wohl nicht ganz vorgestellt. Doch genau 20 Jahre nach Vervollständigung der Trilogie werden nun die ersten drei unter seinem Alias Pole entstandenen Alben remastert als Deluxe-Box-Set neu aufgelegt. Als Poles »1« auf Matador (!) erschien – man schrieb das Jahr 1998 – war er dort damals noch in Gesellschaft von Pavement Modest Mouse und Sleater-Kinney, IDM den Kinderschuhen noch nicht entwachsen und Glitch noch nichtmal ein genauer definiertes Genre. Benannt nach einem defekten Waldorf-4-Pole-Analog-Filter benutzte Betke – typisch Nerd – genau diese Störgeräusche zum einen als Alleinstellungsmerkmal und zum anderen, um seinen Output überraschender und interessanter zu machen. Seine abstrakten, an Ambient geschulten Tracks entwickelte Pole auf »2« und »3« immer mehr in Richtung Minimal Dub, indem er vermehrt Hall-Effekte, satte Basslines und nur sehr spärlich Melodien einsetzte. Beim Wiederhören der Trilogie kann man zudem auf Spurensuche gehen, wie sich diese Zutaten in der globalisierten Musikszene weiterentwickelten, hin zu Clicks & Cuts, Bass Continuum, Abstract Hop und elektronischen Spielarten von Dub. Ironischerweise klingt heutzutage die frühe Form von Frickel-Elektronik, die Pole zusammen mit ähnlichen Vorkämpfern wie Oval oder Mouse On Mars vorantrieb und auf die sich damals vor allem Indierock-Bands von Notwist bis Radiohead stürzten, am ehesten etwas angestaubt. Neben dem Hörgenuss taugt das Pole-Box-Set somit auch zum ambivalenten Zeitdokument, das so manchen Musiknerd weiterhin beschäftigen wird.