Review

Various Artists

µ20

Planet µ • 2015

Wenn ein Label vom Format Planet Mu (Planet µ) Geburtstag hat und zur Feier eine abendfüllende Auswahl aus tausenden unveröffentlichter Tracks und Versions aus dem Keller holt, erübrigt sich eigentlich die Kritik. Auf eine Party geht man, um Gesichter wiederzusehen, nicht weil ausgerechnet dort das Rad neu erfunden wird. Planet Mu, dieses Jahr nebenbei doppelter Preisträger der AIM Awards (bestes kleines sowie unabhängiges Label), ist nicht nur ein wunderbares Compilation-Label. Die starke Künstlerpersönlichkeit von Labelchef und A&R Mike Paradinas war immer Garant dafür, dass der bunte Haufen sich zu einer weitverzweigten Familie zusammenfand, in der Dream-Pop und futuristischer Breakcore oder Battle-Style-Gemeinschaften und Bedroom-Wizards in Beziehung zueinander treten konnten. Planet Mu gab sich auch nie damit zufrieden, nur am Puls der Zeit zu sein – sie haben ihn immer wieder geprägt, auch gegen Widerstände So stieß ihr Einsatz für Footwork anfangs viele vor den Kopf, die sich heute nicht mehr dran erinnern; ihr Brückenschlag von IDM zu Hardcore um die Jahrtausendwende war damals geradezu bilderstürmend. Schwer macht es uns das Label hier mit etwas anderem: Die Party kommt in drei Versionen. Neben der einer 2CD, die Künstler der jüngsten Jahre versammelt, sowie einem in Zusammenarbeit mit Vinyl Factory erstellten 3LP-Destillat bietet die Vollversion nicht nur eine dritte CD, die einen neuen Blick in die historische Tiefe wirft, sondern auch ein 100-seitiges Booklet. In jenem leistet Musikjournalist Rory Gibb die eigentliche Werkschau, indem er anhand zahlreicher O-Töne die Labelgeschichte aufarbeitet (ein Auszug findet sich hier.) In den abgespeckten Versionen entgeht einem allerdings nicht nur dieser große Bogen. Statt Gilb und Staub herrscht auf der dritten CD nämlich musikalisches Abenteuer. Wie kratzig elektroakustisch es bei Planet Mu zugehen konnte, mit Leafcutter John oder Ed Lawes, wie borstig µ-Ziqs Melodien und wie funky The Gasmans Geisterstunden daherkommen konnten, dass Oriol in Dykehouse einen smoothen Vorgänger hatte und der unglaubliche Datach’i auch heute noch neben Venetian Snares (der auf CD1 und Vinyl Würdigung erfährt) verdammt frisch aussieht. Lediglich Speedy J’s Remix seiner Kollaboration mit Mike Paradinas sowie ein dichter und vorausweisender Beitrag von Jega (aus dem Jahr 1997) haben es auch aufs Vinyl geschafft. Worauf Vinylkäufer sonst noch verzichten müssen: Etwa RP Boos Nachweis, auch ohne verdrehte Cuts einen ganz besonderen Groove zu schaffen, auf Visitenkarten des unterschätzten Polysick und des umwerfenden Konx-om-Pax, auf Heterotic mit ganz neuen, sehr jungen Vocals, oder Crazy Shit von Neuzugang Herva. Auf allen Formaten enthalten: Strahlend blauer Grime von Mr. Mitch, Ekoplekz sowie µ-Ziq im Sekt-Rausch, bestes Malen nach Zahlen von Machinedrum. Eine überwältigende Sammlung, die wohl grade darum, weil eben nicht alles auftrumpft, durchhörbar bleibt.