Aigners Inventur – Februar 2016

10.03.2016
Influenza geschädigt, aber fast wieder zurechnungsfähig setzt sich unser Kolumnist vom Dienst wieder kritisch mit der Release-Flut auseinander, selektiert, lobt und tadelt. Any given month. Dieses Mal u.a. mit Kanye, Kendrick und Moomin.
Ach Kanye, egal was man sich vorher zusammenreimt, am Ende kommt es doch anders. Wobei es dieses Mal immer noch kein Ende gab. Das macht »The Life Of Pablo« entweder zu einem Geniestreich oder einem halbgaren Meta-Mixtape, dessen pausbäckiger Schöpfer voll erigiert zum Frühstück vermutlich erstmal eine Portion seines Morgenstuhls verputzt und sich wirklich selbst davon überzeugen kann, dass Arschlöcher und Bleichmittel im Allegorie-Olymp noch easyeasyeasy Platz haben zwischen »Snowball« und Gregor Samsa. Aber egal wieviel man sich an der Yeezy-Rezeption abarbeitet: KEINER da draußen im Rapspiel hat eine herausforderndere Sicht auf Songwriting als unser Lieblingsborderliner, nicht Kendrick, nicht Drake, keiner. Und allein wie postmodern »TLOP« dekonstruiert, resequenziert und individualisiert wird da draußen in den eigenen Playlist-Biotopen, legt den Verdacht nahe, dass dieser Troll-Leviathan, dieser Meme-Minotaurus, den Nay-Sayern für immer voraus sein wird. Chris Brown darf sich trotzdem gerne verpissen.

Kendrick Lamar
Untitled Unmastered
Aftermath • 2016 • ab 17.99€
So sehr Kendrick sich seinen messianischen Status mit harter Arbeit und überbordendem Talent verdient hat: sein aus dem Nichts abgefeuerter Schnellschuss vom letzten Wochenende verdeutlicht auch, dass es manchmal in Ordnung ist einfach einen Pull Up Jumper zu ballern, anstatt vorher 4 elaborierte Picks genutzt zu haben um den Dreier aus der Ecke zu nehmen. Oder, ohne Pre-Playoff-Aufregung: Kendrick profitiert auf »Untitled Unmastered« sichtlich auch davon nicht in dem Riesennarrativ von »To Pimp A Butterfly« gefangen zu sein und wieder mal diese skizzenhaften Kurzgeschichten aus der »Good Kid« Ära abfeuern zu dürfen und nicht direkt die Seele Amerikas in jeder Zeile erfassen zu müssen. Das tut er nämlich sowieso, instinktiv. Practice? We talkin ‚bout practice?

Macklemore & Ryan Lewis
This Unruly Mess I've Made Explicit Lyrics Edition
Macklemore • 2016 • ab 15.39€
Die Fallhöhe könnte nicht größer sein. Vom All Rap First Team zum Rap Game Greg Ostertag. Ich bin mir ja eigentlich fast sicher, dass Macklemore alles was er tut gut meint und vermutlich mit Schnappatmung ins aufgeschüttelte Kopfkissen fällt, wenn er rekapituliert, dass DJ Premier auf seinem Album ist. ABER: »This Unruly Mess I’ve Made« ist eine verdammte Zumutung. Diese überreflektierte Hautfarbenkrittelei, diese Referendars-Deepness, diese vollkommen unerträgliche pseudoselbstironische Sozialpädagogerei gepaart mit dem stimmlichen Charisma eines Silberfisches: Macklemore ist und bleibt die Horrorvision, in der irgendein böses Enthüllungsjournalistenteam Eminems privatbeschulten Cousin gefunden hat, der sich dann im Tweed-Sakko an den Tisch setzt mit Shadys Mutter, Ex-Frau, Tochter plus Marshall und allen rät sich doch einfach zu vertragen, weil das Leben eine Reise ist , auf der wir alle unsere innere Mitte finden müssen. Gib ihm mit der Hühnerkeule, Em!

Lakmann
Aus Dem Schoß Der Psychose
Eartouch • 2016 • ab 19.99€
Dann lieber full blown Psychose, Laki-Style. Dass der sein Album mit dem anderen kritikgefeiten Deutschrapdino Aphroe eröffnet, ist nicht weiter verwunderlich… Das Schöne an Lakmann bleibt aber, dass er seine eigene Hängengebliebenheit und Kulturnostalgie (pfui) immer wieder mit wunderbar lakonischer Psychotherapie-Prosa erklären kann und dafür aber nie große Worte benutzen muss. Das macht »Aus Dem Schoss Der Psychose« musikalisch zwar musikalisch nicht, vorsichtig formuliert, abenteuerlustiger, aber trotzdem lässt man ihn gerne zu Ende erzählen. Hat sich die Staublunge verdient.

Megaloh
Regenmacher
Nesola • 2016 • ab 26.99€
Puaaaah, Megaloh. Deutsche Rapper, deren Skillset eher Ludacris als Young Lean ist, gibt es, klar. Dass sie diese Fähigkeiten aber so selbstverständlich einsetzen und damit weder auf Irieness, Travi$ Scott-ismen, noch auf Traditionsverliebtem oder – joaaaa – Popsongs daneben liegen, das hat man selten. Das kann neben Megaloh vielleicht noch MoTrip und ähnlich wie bei Trip muss ich immer noch schlucken wenn in der Featureklammer Max Herre oder Patrice steht, aber verdammt: man kann das wahre Reimemonster einfach nicht ernsthaft kritisieren, weil hier geflext wird, wie es für diese sperrige Sprache nie vorgesehen war.

Fool’s Gold ist einfach keine gute Idee. Rome Fortunes Vertrauen in A-Trak’s polierte Populismusschmiede mag sich mit der Coachella-Main-Stage auszahlen, das Corporate Design für »Jerome Raheem Fortune« wird allerdings einem der interessantesten »neuen« Rapper/Crooner der letzten Jahre nicht gerecht. Nicht dass einer der elf Tracks besonders negativ auffallen würde, aber trotzdem wirkt Rome Fortune merkwürdig gehemmt und lange nicht so souverän wie z.B. auf dem immer noch großartigen zweiten Teil von »Beautiful Pimp«. Schade, eigentlich jemand der Kid Cudis Rolle auf Pablo hätte einnehmen können, wenn seither alles so gelaufen wäre wie ich mir das vorgestellt hatte.

Moomin
A Minor Thought
Smallville • 2016 • ab 20.99€
Zur Review
Ach es ist schon auch manchmal schön, wenn House Alben nichts anderes sein wollen als House Alben. Moomin ist besonders gut darin transparent in seinen Absichten zu sein. »A Minor Thought« macht sich schon im Titel so klein, dass man den fast unheimlich unprätentiösen Heimfrickler kurz schütteln möchte. Analog klingender, Marley Marl und Pete Rock geschulter House, der Knollen und Pils jederzeit MDMA und Espresso vorzieht, unaufgeregt, bis ins kleinste Detail geplant und dabei doch so verpeilt schluffihaft wie eine Mo’Wax Platte anno 97. Nichts falsch gemacht, aber wichtiger: vieles richtig.

Rising Sun
The Lamentations Of Rising Sun
Fauxpas Musik • 2016 • ab 18.99€
Wäre da nicht die neue Rising Sun Platte, ich hätte noch mehr Zeit und Liebe für Moomin gehabt diesen Monat. Aber wie »The Lamentations Of Rising Sun« in unfassbarer Selbstverständlichkeit polyrhythmisch durch die Genres tänzelt, ohne nach Komplimenten (oder im Jetztsprech: Re-Tweets und Likes) zu fischen, dabei die absolut richtigen Schlüsse aus The Orb, Derrick May, Shut Up And Dance, Photek und Burial zieht, dabei aber komplett eigensinnig bleibt, also das…das ist..schon…Junge, FUCK! Als hätte rückwirkend jemand DJ Metatron zu Redshapes Studio-Session für »The Dance Paradox« eingeladen und den beiden die Käseplatte zum Rotwein gestrichen.

Auch gut: die neue Dorisburg LP auf Hivern Discs. Hivern heißt, dass sie vermutlich schon wieder zum Fetischobjekt auf Discogs geworden ist, aber die acht Tracks auf »Irrbloss« markieren in ihrer Kohärenz und Verspieltheit allerdings auch einen klaren Karrierehöhepunkt des Schweden. Die Melodien sehr in sich gekehrt, die Drumpatterns häufig zaudernd, dann wieder mäandernd, gerade, Breakbeat, minimal, opulent – zaudernde Ambivalenz wird hier zur Kunstform, weil hier jede Sprunghaftigkeit von einem majestätischen Urvertrauensvibe aufgefangen wird. Synapsen-Techno, auch geil. Schade, dass der Mittelteil etwas abfällt.

The Connection Machine
Presentiment
Tabernacle • 2016 • ab 14.39€
Noch zugespitzter ist The Connection Machines erste LP seit deren 2004er Debüt. »Presentiment« ist stilistisch ähnlich komplex wie das Rising Sun Album, aber viel schroffer, Ambient-Wolken werden von übersteuerten Bassdrums gesprengt, ehe wieder Ruhe einkehrt, nur um kurz vor der Tagträumerei wieder von wilden Breakbeats geohrfeigt zu werden. Ein unstetes, aber ein gutes Album, dessen leise Momente meist die stärkeren sind. Könnte allerdings auch an meiner Influenza gelegen haben.

12z
Trembling Air
Other People • 2016 • ab 9.99€
Ich weiß auch nicht genau, an welchem Punkt ich zum Nicolas Jaar-Zweifler wurde. Es ist früh passiert und im Nachhinein sogar wahrscheinlich zu Unrecht. Trotzdem reagiere ich auf jede neue Ankündigung aus dem Hause Nicolas Jaar immer mit dem selben misstrauischen Stirnrunzeln, das man sonst für den armen Kerl bereithält, der im Namen des Netzbetreibers anruft um einem eine exklusive Vertragsverlängerung vorzuschlagen. Was das mit 12z zu tun hat? Wenig. Allerdings erschien deren wirklich gutes, ebenfalls stilistisch Ambient mit flatterigem IDM und Techno-Zitaten gekonnt fusionierendes Album über Nicolas Jaars Label. Und ich habe beschlossen an unserer Beziehung zu arbeiten, lieber Nicolas.

Kevin Vermijmeren
Those Glorious Heights Green Marbled Vinyl Edition
Vynilla Vinyl / Icarus • 2016 • ab 20.99€
Kevin Vermijren verdeutlicht mir mal wieder warum es so unglaublich schwierig ist über Ambient zu schreiben, ohne wie ein Propolis besamter Avatar von Ralf Bauer zu klingen. Bevor ich mich also in ätherischer Kalendersprüchelei verrenne: »These Glorious Heights« ist gut.

Secret Boyfriend
Memory Care Unit
Blackest Ever Black • 2016 • ab 9.99€
Fast das selbe Problem dann bei Secret Boyfriend und »Memory Care Unit«. Allerdings mischen sich dort in die Flächen und Bimmeleien immer wieder wavige Muster und perkussive Elemente. Danke, damit meinen Arsch gerettet.

CFCF
On Vacation
International Feel • 2016 • ab 15.99€
Kurz vor der Adjektivhölle kommt CFCF aus dem Urlaub zurück, den er wie zuvor schon Len Leise für International Feel vertont hat. Natürlich auch dieses Mal wieder mit der ureigenen Trotzigkeit Kitschnormen und Cheesiness-Codes gezielt zu unterwandern. Supere Idee, diese »On Vacation« Reihe. Len Leise hatte zwar den aufregenderen Trip, aber wenn ich nicht mal vor Samba-Wohlsein schreiend davonrenne, dann wurde auch hier viel richtig gemacht.

Africaine 808
Basar
Golf Channel • 2016 • ab 40.99€
Richtig Bock hatte ich auf das Africaine 808 Album und »Basar« enttäuscht nicht, im Gegenteil. Weil das Berliner Duo hier auch Platz lässt für Wüstenballaden mit flirrenden Drumpatterns, weil die Synthpalette nicht nur neonfarben ist, weil die designierten Singles von nerdigen Spielereien flankiert werden und weil ein moderner, aber hypebefreiter Take on all things Sahara das war, was man sich schon seit Township Funk viel häufiger gewünscht hatte. Und weil man Golf Channel halt schon blind vertrauen darf.

Vimes
Nights In Limbo
Humming • 2016 • ab 23.99€
Gibt es eine neue Kölner Schule? Die aus DFA, Kompakt, Phoenix und Von Spar nur die richtigen Schlüsse gezogen hat? Roosevelt, Coma, Urban Homes, Vimes – alle längst dem Status lokaler Helden entwachsen, alle im Zweifelsfall mit höheren Clickzahlen bei deiner Freundin als bei dir, aber auch alle so gute Songwriter, dass dir maximal als Einwand noch einfallen könnte, die Vocals würden von den eigentlichen Stärken doch nur ablenken. Aber komm, bringt eh nix. Natürlich hat SIE längst Karten fürs Release Konzert und DU sortierst deine maßlos überteuerte Dark Entries Reissue, die demonstrieren sollte, dass das 1982 irgendjemand schon viel besser gemacht hat, defätistisch wieder ein.

Polica
United Crushers Black Vinyl Edition
Memphis Industries • 2016 • ab 18.99€
Zur Review
Wäre von der Logik her auch dämlich, weil du nämlich mit glühenden Bäckchen am nächsten Tag das neue Polica Album lobst und Channy Leanaghs Vocals natürlich das beste an Polica sind. Dass hier lyrisch manchmal arg vereinfachend mit American Angst und politischer Schwarzmalerei hantiert wird, kann man an »United Crushers« unpassend finden, mag allerdings auch leicht überheblich sein seit sich dieser Super Tuesday doch nicht als Michael Bay Film herausgestellt hat.

Keinen Bock mehr jetzt, weil: Animal Collective sind dieser alte Freund, dem man nach dem Abi noch sehr liebevolle Emails schrieb, da sein multimediales Kunstprojekt tatsächlich vielleicht die Welt verändern würde, der dann aber 2010 aus Selbstschutz ausgeblendet werden musste, weil man eine verfickte Excel-Tabelle ausfüllen musste, während dieser Fatzke gerade ein Foto gepostet hatte, auf dem er Muddy Waters an einer 909 begleitete, während Miles Davis aus dem Jenseits ein »Right on, Brother«_ brummte. 2016 liket dann aber ein moralisch weniger dubioser Freund einen neuen Beitrag jenes alten Freundes und man denkt sich: ey was soll das, man sollte sich für Können nicht entschuldigen müssen, ich bin ein Kleingeist. Der Vorsatz hält drei Wochen, bevor man nach dem nächsten Foto (respektive »Paint With«) doch nur wieder brummt: früher war der halt eeeeecht noch kein so ein Arschloch.