Aigners Inventur – Juni / Juli 2013

31.07.2013
Nach einer kurzen Urlaubspause setzt sich unser Kolumnist vom Dienst wieder kritisch mit der Release-Flut auseinander, selektiert, lobt und tadelt. Dieses Mal u.a. unter der Lupe: Ka, J.Cole, Hade & DWFL, David Lynch und Disclosure.
Kanye West
Yeezus
Universal • 2013 • ab 17.99€
Es ist manchmal gar nicht so verkehrt sich nicht dem Diktat des digitalen Zeitalters zu unterwerfen. Alle hatten sie schon ihre Kritiken fertig, in Echzteit geschrieben, als »Yeezus«, Kanye Wests jüngstes Kulturerdbeben, seinen Weg ins Netz fand. Von maßloser Enttäuschung war da die Rede, vom künstlerisch wichtigsten Album seit »OK Computer« (diese elenden Radiohead-Stans wieder), von einer bodenlosen Frechheit ohne Singles, von Selbstzerstörung und dem nur so unzureichend ins Deutsche zu übersetzenden Phänomen der Delusion Of Grandeur. Nun, mit fast zweimonatigem Abstand ist »Yeezus« vor allem eins: Das wichtigste Statement auf der großen Bühne im Jahr 2013. Daft Punk wollten das einen Monat für sich reklamieren, der große Bruder zog einen Moment später mit Samsung-Wirrwarr und Kunstmäzen-Habitus nach. Aber: Keinem jener älteren Herren gelang es so relevant zu sein. Im Gegenteil: dieser staatsmännische Habitus, der sich sowohl durch »Random Access Memories« als auch durch »Magna Carta Holy Grail« zog, machte es für Kanyes Peergroup unmöglich mit Borderliner West mitzuhalten. Der ließ Chief Keef und Justin Vernon gegeneinander antreten und einen der postmodern-desillusioniertesten Tracks der letzten zehn Jahre schreiben. Er schonte weder uns noch französische Bedienungen und am allerwenigsten verklärte er seine Beziehung zu Kim K Superstar, jenen medialen Trainwreck also, dem selbst unsere Großmütter nur eine Halbwertszeit von Butter einräumen. Er trieb dieses auf »College Dropout« angedeutete, auf »Watch The Throne« perfektionierte Angry Black Man Ding auf die Spitze, mit Aussagen, die sich häufiger widersprechen als Gerhard Schröder in der Gazprom-Ära. Und Herr West weigerte sich Hooks zu schreiben, viel mehr brüllte, ächzte und schnaubte er. Was er davon hat? Die Gewissheit, dass er endgültig dort angekommen ist, wo er niemandem mehr einen Gefallen tun muss, weil ihm – gerade mit etwas Bedenkzeit – eh alle aus der Hand fressen. Hoffentlich vergisst er das aber so schnell wie möglich wieder, denn ein wütender Kanye ist ein guter Kanye.

Jay-Z
Magna Carta Holy Grail
Virgin • 2013 • ab 11.89€
Gerade aus dieser Dynamik heraus speiste sich dann auch ein Großteil der Faszination für »Magna Carta Holy Grail«. Jay-Z bestellte sich alte Weggefährten ins Studio, statt Evian Christ kam Rick Rubin, anstelle von Hud Mo und Gesaffelstein Pharrell und Timbo. So ist Jays Album auch beinahe das exakte Gegenteil von Yeezus: ungewohnt traditionsbewusst lässt er Timbo ein Update zu »So Ghetto« und »Friend Or Foe« schrauben, »FUTW« klingt beinahe wie ein RZA-Beat und selbst das trappige »Tom Ford« klingt eher nach »Blueprint 2« als nach Baauer. Dazu geriert sich S Dot Carter mal wieder als über den Dingen stehender Staatsmann, der auf der Art Basel hofft seine Basquiat-Sammlung zu vervollständigen, damit die kleine Blue Ivy auch in standesgemäßem Interieur ihre Cornflakes schlürfen kann. Einzig Frank Ocean wird mit seiner Tuxedo-Metapher nochmal richtig ungemütlich, der Rest ist der Soundtrack des Angekommenseins, inszeniert mit einem nach wie vor bemerkenswerten Gespür für Beats, Hooks und diesen ganzen Rapscheiß im Allgemeinen. Jay bleibt das Business, Man.

J. Cole
Born Sinner
Sony • 2013 • ab 15.99€
Angesichts dieser Konkurrenz ist es fast schon eine Sensation wie gut sich »Born Sinner« verkaufte, J. Coles zweites Album für Roc Nation, insbesondere da J. Cole weder besonders interessante Sachen zu erzählen hat, noch ein Filigrantechniker ist. So ist seine ungelenke Entschuldigung an sein Idol Nas auch das eigentliche Highlight des Albums, weil das mal nicht nach Autopilot klingt und in seiner genuinen Demut fast schon an die Heulsusen-Bekenntnisse The Games heranreicht.

Dass sich jener J. Cole vor kurzem schwer in die Nesseln gesetzt hat, indem er auf einem Drake-Track eine ungelenke Autisten-Punchline feuerte, wäre eine so geschmacklose wie offensichtliche Überleitung zum neuen Migos Mixtape. Was diese beiden Borderliner aus ATL auf »Y.R.N.« veranstalten, mag der eine als bedenkenswerte Coonery geißeln, man kann die absurde Juxtaposition gängiger Adlib-Klischees aber auch als subversivere Alternative zu all den Gucci Mane-ismen der letzten fünf Jahre rezipieren. Das war jetzt Akademikerdeutsch für meine Überzeugung, dass hinter all diesem Chirp Chirp Irrsinn und den epileptisch vorgetragenen Luxus-Brand-Hooks Methode steckt und Migos die modernen Dadaisten des Rap-Spiels sind.

Ace Hood
Trials & Tribulations Deluxe Edition
Republic • 2013 • ab 12.00€
Ein solch idiosynkratischer Zugang fehlt Ace Hood. »Trials & Tribulations« ist deswegen auch wieder ein wahnsinnig generisches Rap-Album, dessen Überhit Bugatti eher der Omnipräsenz des Duos Future/Mike Will Made It zuzuschreiben ist. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ace Hood ist ein passabler Rapper, nicht ansatzweise so hölzern wie ein French Montana, aber er hat nichts zu erzählen. Angestrengt arbeitet er gängige Tropen ab, bestellt sich am Ende sogar noch einen der besten Faux-Just-Blaze-Beats der letzten Jahre und dennoch erinnert man sich doch nur daran, dass er mit neuen Tätowierungen in einem Bugatti aufgewacht ist und nicht weiß wie es dazu kam. Und das wussten wir leider schon vor diesen fünfzig Minuten.

Ka
The Nights Gambit
Iron Works • 2013 • ab 16.99€
Das krasse Gegenteil ist »Night’s Gambit«, der nächste Geniestreich des charmant-nonchalanten Reibeisens Ka, der in jede Zeile so viel Arbeit steckt wie Ace Hood in seine gesamte Diskographie. »Night’s Gambit« ist ein Relikt aus einer anderen Ära, ein kohärentes, pedantisch sequenziertes Rap-Album, das dennoch nicht nach Rucksack-Fundamentalismus klingt, sondern hochgradig eigenständig. Als Referenzpunkt kann man hier wieder Kas Busenfreund Roc Marciano bemühen, besonders aufgrund der immer noch sehr spartanischen, Loop-basierten Produktion, die Kas lakonisch vorgetragenen, aber hoch komplexen Reime so perfekt unterstreicht. Die Kollegen von Fact ließen sich hierfür zur Höchstwertung hinreißen. Überreaktion oder nicht: »Night’s Gambit« ist wichtig.

Quasimoto
Yessir Whatever
Stones Throw • 2013 • ab 35.99€
Mit einem unveröffentlichten Nugget angeteast, stellte sich bezüglich des »neuen« Quasimoto-Albums relativ schnell Frust ein, angesichts der Tatsache, dass uns Madlib eben nicht einen dritten Headfuck gönnte, sondern lediglich bereits bekannte B-Seiten und Remixes als »Yessir Whatever« veröffentlichte. Die sind natürlich gut, aber die Genialität der ersten beiden Alben wird hier eben auch zu keinem Zeitpunkt erreicht. Schade, dabei hatte Madlib doch irgendwann mal verkündet er hätte genug Material für eine halbes Dutzend Quasimoto-Alben im Bomb Shelter liegen.

Prodigy x Alchemist
Albert Einstein
Infamous • 2013 • ab 21.99€
Weiterhin eine bemerkenswerte Chemie haben Prodigy und Alchemist, auch wenn »Albert Einstein« nicht an meinen persönlichen Klassiker (Oxymoron?!) »Return Of The Mac« heranreicht. Es ist aber wieder zu beobachten, dass Alchemist, der bezüglich seiner handwerklichen Fähigkeiten eh schon in der Königsklasse spielt, aus dem ansonsten häufig demonstrativ desinteressierten Prodigy wesentlich mehr herauszukitzeln weiß als irgendwelche Beattape-Akkordarbeiter. So verwundert es auch nicht, dass »Albert Einstein« nun schon zwei Monate in voller Länge in meiner notorisch unsteten iPhone-Playlist verweilt. Ein gutes Zeichen.

Showbiz & A.G.
Mugshot Music
D.I.T.C. / HHV • 2012 • ab 15.99€
Etwas schwächer ist »Mugshot Music«, ein im heutigen Klima vermutlich primär von Hypotheken abzahlenden Post-Rucksacklern heiß erwartetes, aber dennoch Aufmerksamkeit verdienendes Album, auf dem Showbiz gar nicht so angestaubt produziert wie man befürchten konnte. Und A.G., ey, dieser A.G. betont immer noch so leidenschaftsvoll wie die Kölner U-Bahn-Durchsage und reimt faul im Baukastenprinzip, aber dieses Charisma. Unglaublich.

HADE + DWFL
The Healthiest Man In Chicago
Melting Pot Music • 2013 • ab 14.99€
Eine Platte eines Freundes zu besprechen fühlt sich immer ein bisschen schmutzig an. Das Schöne an »The Healthiest Man In Chicago« (noch so eine obskure Al Bundy Referenz) ist, dass Hade & DWFL verklüngelte Nettigkeiten gar nicht nötig haben. Viel zu detailversessen ist dieses Kölner Take on all things Juke und Bass. Insbesondere die nerdig selektierten, zahllosen Hip Hop Acapella-Schnippsel lassen erahnen, dass hier nicht nur Machinedrum und Rashad Inspirationsquellen waren, sondern auch der gute alte P-P-P-Premier. Überhaupt ist das hier zwar genau so ADHS-ig wie man es von Hade erwarten würde, aber wer es schafft einen Chuck-Inglish-trifft-Pharrell-Brecher wie »Blondie« graduell in eine Appleblim-Überzeichnung überborden zu lassen, darf auf sein musikalisches Borderline-Syndrom durchaus stolz sein. Ach ja: für das MPM-Stammpublikum gäbe es ja auch noch diese Camp Lo-Hommage, aber darauf sollte man sich als Räucherstäbchen-Jazzer mit 3 Litern Disco-Schorle vorbereiten.

Airhead
For Years
R&S • 2013 • ab 10.99€
Zum Runterkommen böte sich »For Years« an. Das ist in seiner Herangehensweise auch dezidiert Hip Hop, aber diese sanft gezupften und anschließend digital neu zusammengesetzten Gitarren und der schüchterne Habitus verorten Airhead noch tiefer im Dreieck James Blake, Mount Kimbie und Vondelpark, wobei Airhead weniger Songwriter als Macbook-Derwisch ist. Wem dieses ganze Post-Dubstep-Dingens also mittlerweile zu sehr in der Spexianischen Dekonstruktion gefangen ist, kann hier noch einmal so tun, als wäre »Crooks & Lovers« erst gestern erschienen.

Zomby
With Love
XL • 2013 • ab 40.99€
Nach seinem sehr fokussierten und ausproduzierten 4AD-Vorgänger knallt uns Zomby unterdessen eine skizzenhafte Trap-Not-Trap-Beatsammlung, sowie eine CD mit typischeren Zomby-ismen vor den Latz. »With Love« ist quantitativ zu viel, eine ohne viel Nachdenken rausgeschossene Momentaufnahme, die sich aber zu einem hervorragenden 45-Minüter zusammenschneiden ließe. Weil Zomby uns diese Aufgabe aber letztes Mal bereits abnahm, bleibt er nun seinem Ruf als größter Troll treu und lässt uns die Arbeit selbst machen.

oOoOO
Without Your Love
Nihjgt Feelings • 2013 • ab 12.79€
Wer diese Arbeit scheut, kann sich alternativ auch einfach von oOoOO bedienen lassen. »Without Your Love« (sorry, aber allein schon aufgrund des Titels mussten oOooOO und Zomby in einem Atemzug genannt werden) ist wiederum dessen bisher ausproduzierteste Arbeit und die zulässigste Vergleichsmöglichkeit mit Zombys »Dedication«, mit dem Unterschied, dass oOoOO keinerlei Berührungsängste hat diese Tri Angle-Torklerei auch in Kollaborationen mit Vokalisten nicht aufzugeben. So hören wir hier R&B direkt aus dem Hades, Zeitlupen-Techno im Stile von Andy Stott und auf The South sogar ein brachiales Brett von einem Trap-Beat, bevor »Misunderstood» anschließend Burial besser zitiert als es 95% dessen Epigonen bisher in der Lage waren zu tun. Großes Album, gerade auch für den unvermeidlichen Herbst.

Thundercat
Apocalypse
Brainfeeder • 2013 • ab 9.37€
Seien wir ehrlich: genuin überrascht über eine Platte ist man im Hyperinformationszeitalter äußerst selten. Umso erstaunlicher war dann für mich, dass dieser Thundercat so mir nichts, dir nichts das beste Prince-Album seit ich weiß nicht wann gemacht hat. Primär angeteast von Flying Lotus’ massivem Mancrush auf Twitter, aber das musste man qua Labelverbundenheit ja nicht wirklich beachten. Nun aber ist »Apocalypse« tatsächlich eine mittelgroße Sensation geworden und all das, was der Vorgänger zwar sein wollte, aber (noch) nicht konnte. Das ist interplanetarischer Funk, der sich nicht vor Kammermusik-Zitaten scheut, in der einen Sekunde nach »Sign O’ The Times« und vier Takte später nach »Maggot Brain« und »Bitches Brew« klingt. Natürlich sind diese Vergleiche Hyperbeln, müssen sie ja auch sein, aber alleine diese ersten paar Sekunden von »Oh Sheit It’s X« machen so glücklich, dass man nicht anders kann als übertreiben.

Kon
On My Way
BBE Music • 2013 • ab 21.59€
Während Thundercats Popentwurf trotz der zahllosen Zitate inhärent vorwärtsgewandt ist, konzentriert sich Kon (ja, DER Kon) auf seinem ersten Produzentenalbum auf die Vergangenheit. Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen. So klingt »On My Way« zu jedem Zeitpunkt exakt so, wie man sich das vorgestellt hat. Das kann man zum Problem stilisieren oder sich freuen, dass sich endlich jemand traut nicht nur Rhythm Trax zu produzieren, sondern noch 5 Jahre weiter zurückzugehen und in den käsigsten Momenten sogar Earth, Wind & Fire zu evozieren. Dazwischen gibt es viel Boogie, dezente House-Anklänge und auch wenn ich schon genügend Alexander O’ Neal Maxis zu Hause stehen habe: ich habe Spaß an »On My Way«.

Beautiful Swimmers
Son
Future Times • 2013 • ab 21.99€
Spaß ist gar kein Ausdruck für das, was »Son«, das lang, lang, laaaaaang erwartete erste Album der Beautiful Swimmers in mir ausgelöst hat. Eine langwierige Suche nach dem passenden Nomen spare ich mir dann auch an dieser Stelle, weil ich in der selben Zeit so unendlich viele tolle Dinge über Ari und Andrews erstes gemeinsames Album sagen könnte. Da wäre diese humorige Kevin Lyttle Rekontextualisierung die frühen Übersingles Swimmers Groove und Big Coast der verspulte Versuch Spezi-Awareness zum Teil amerikanischer Kulturpolitik zu machen, balearische Imperative, Slo-Mo-Sleaze, der jackende Tribut ans bevorzugte Schuhwerk in Größe 48, Breakbeat Disco, ein gesampeltes Gitarrensolo und ein Ambient-Track namens »Gettysburg«. Diese Typen, ich liebe sie.

Pet Shop Boys
Electric
X2 • 2013 • ab 14.69€
Oh ha, die Pet Shop Boys wollen es nach dem verschlafenen Vorgänger also noch einmal richtig wissen. Stuart Price channeled seinen inneren Giorgio zur München-Phase, direkt zu Beginn stampf es schwer europäisch. Beim zweiten Track wartet man gar kurz auf ein Acid-Inferno, aber dafür sind die beiden Briten zu sehr Gentlemen. Danach dann überproduzierter Wahnsinn und EDM-Gebratze, Vocal-Cut-Ups und Stadiohook. Fies. »Fluoresecent« dann bei Oni Ayhun?! Hilfe, was ist hier los. Danach ein Springsteen-Cover? Fuck, hier läuft so vieles schief und genau deswegen so richtig. Keine Ahnung, ob ich mir das ein weiteres Mal anhöre, aber irgendwie nickt man nach all dem Irrsinn auf »Electric« doch anerkennend. Sie hätten es sich ja so einfach machen können.

Disclosure
Settle
Universal • 2013 • ab 41.99€
Äh ja, Disclosure. Eines dieser Phänomene, deren Erfolg ich zwar verstehe, aber nicht unbedingt nachvollziehen kann. Klar, auch »Settle« läuft wieder Schau, nach drei verhältnismäßig rauen Club-Tracks für die UK Massive, folgt dann effizienter, aufgebohrter Electro Funk House für die Mädelzzzz (mit den unvermeidlichen AlunaGeorge, natürlich), bevor dann sehr plakativ an die Artful Dodger Ära angeknüpft wird, danach noch ein bißchen Wookie, eine Spur Scuba und Joy Orbison – vielleicht bin ich zu zynisch und Disclosure sind wirklich diesse Genies, die UK Bass in authentischer Form in die Daily Rotation von Radio 1 schmuggeln, aber für mich wirkt auch »Settle« verstörend kalkuliert und artifiziell.

Maya Jane Coles
Comfort
I/Am/Me • 2013 • ab 14.39€
Ähnliches gilt, wenngleich eher im House-Korsett, für Maya Jane Coles. Auch »Comfort« schielt auf Klicks und Plays, nicht zuletzt weil es die junge Britin zulässt, dass Gastvokalisten ihre bisweilen erstaunlich subtilen Produktionen in die Mediokrität reißen So ist »Comfort« gewiss kein schlechtes Album, auch weil sich Frau Coles wirklich wohl zu fühlen scheint wenn sie den Flur nicht bedienen muss, aber der Schritt zum Künstleralbum kommt vielleicht doch einfach 2-3 Jahre zu früh.

Gold Panda
Half Of Where You Live
Notown • 2013 • ab 23.99€
Irgendwann landen sie alle bei House. Nachdem sich Gold Panda auf dem sperrigen Vorgänger noch an allerlei Rhythmen und Geschwindigkeiten abarbeitete und eine sexiere Alternative zu diesem ganzen Glich-Ding anbot, ist er auf »Half Of Where You Live« eindeutig als House-Produzent einzuordnen. Das bleibt zwar alles spleenig, von exotischen Samples und flirrenden Stimmen durchzogen, aber dem Panda zucken die Füße nun gerne im aeroben 120 BPM-Bereich. Gut macht er das, auch weil ihm, der eigenen Sozialisierung geschuldet, Effizienz-Überlegungen fremd sind.

Gold Panda
Half Of Where You Live
Notown • 2013 • ab 23.99€
Verspielten House produziert The Mole schon seit längerem, an die Qualität seines Debütalbums auf Wagon Repair kann der Nachfolger Caregiver jedoch nicht ganz anknüpfen. Während er sich damals noch traute große Filter-House-Gesten in seine episch angelegten Chugger zu integrieren, wirkt »Caregiver« seltsam gehemmt. Leichtfüßige TechHouse-Tracks kontrastieren minimalere, dunkle Töne, den Pausenclown-Habitus hat der Ex-Kanadier für meinen Geschmack zu sehr abgelegt.

TNT Subhead
Ecstasy & Release
Groovement • 2013 • ab 4.79€
Besser ist TNT Subheads Langspielrillen-Debüt »Ecstasy & Release«, auf dem es der Produzent schafft Acid zu entschleunigen, Minimal Wave neben Jersey House zu stellen, bevor er in der Mitte des Albums etwas den Faden verliert und zwei nichtssagende Roman Flügel Rip-Offs aneinanderreiht, um sich dann spätestens mit dem psychedelischen »Arp K Found« wieder zu – äh – finden. Unterm Strich aber eine reife Leistung.

Stellar OM Source
Joy One Mile
Rvng Intl. • 2013 • ab 16.19€
Reife ist dann auch das Stichwort für Robert Hood und dessen House-Moniker Floorplan. Die typischen Hood-Patterns lassen sich auch noch versteckt hinter ungewohnt plakativen Samples und synkopierten Rhythmen feststellen, der Hohepriester des minimalen Detroit Technos bleibt auch wenn er Käse hobelt ein Dystopiker. Next level Gospel-Pathos wie auf einer der vorangegangenen Singles findet sich hier zwar nicht, aber irgendwie schafft es Hood auch auf »Paradise« Peaktime-Schweinereien wie einen spirituellen Trip ins Herz seiner Peers klingen zu lassen. Und auf einmal ist ein Klopper wie «Baby, Baby« so unendlich deeper als die nächste Rhodes-Orgie der blassen Soundcloud-Sklaven.

TNT Subhead
Ecstasy & Release
Groovement • 2013 • ab 4.79€
Auch gut: Stellar Om Sources »Joy One Mile«, auf der sich die Dame zwar an den typischen Electro-Lichtgestalten abarbeitet, aber mehr Mut hat die heilige Dreifaltigkeit House/Techno/Electro konsequent zusammenzuführen als all die uninspirierten Drexciya-Epigonen, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden sprossen. Manchmal wird man gar den Eindruck nicht los, dass Stellar Om Source bereits dort angekommen ist, wo Ital mit seinen ersten beiden Alben hinwollte – eine nicht zu unterschätzenden Leistung also.

Etwas zahnlos wirkt hingegen Vakula auf seinem Album. Der Ukrainer hatte auf seinen gefühlt 200 vorangegangenen Zwölf-Zollern bereits sämtliche House-Spielarten durchexerziert, seltsam also dass »You’ve Never Been To Konotop«, einer Werkschau der Jahre 2009 – 2012, seltsam monochrom wirkt. Die Grooves sind meist satt, aber selten wirklich roh, kontemplativ, aber nie so emotional entblößt wie beispielsweise bei John Roberts. So ist YNBTK eine brauchbare Blaupause für kontemporäre House Musik, aber eben in keinster Weise eine Herausforderung. Und genau dazu wäre Vakula eigentlich in der Lage gewesen.

Steven Tang
Disonnect To Connect
Smallville • 2013 • ab 16.99€
Ähnliches gilt für Steven Tang, der auf seinem Debüt für Smallville die rauen Kanten seiner Zusammenarbeiten mit Chicago Skyway etwas geglättet hat, um sich dem warmen Trademark-Sound der Hamburger anzupassen. Das würde zwar keine der beiden Parteien zugegeben und »Disconnect To Connect« fährt die rüdesten Roland-Patterns jenseits von STL auf, aber dennoch fällt auf, dass sich Tang hier deutlich zurückgenommen hat. Das kann man als Powernap-Platte kanonisieren oder sich darüber ärgern, dass Tang nicht bei L.I.E.S. unterschrieben und eine exaltiertere Platte gemacht hat.

Marcos Cabral
False Memories
L.I.E.S. • 2013 • ab 15.99€
Apropos L.I.E.S.: Ron Morelli vergaß auch in den letzten beiden Monaten das Durchatmen komplett und ballerte unter anderem eine Spätneunziger-Skizzen-Sammlung von Marcos Cabral heraus, die mal wieder kompromisslos DIY-Stinkefinger auf das Reinheitsgebot richtet. Nicht immer geil, stellenweise auch zurecht über ein Jahrzehnt im Archiv verstaubt, aber als Statement gewohnt stark.

Jon Hopkins
Immunity
Domino • 2013 • ab 29.99€
Jon Hopkins scheint derweil zu Four Tet geworden zu sein, zumindest für Klugscheißer, die sich einreden, dass sie schon genug Four Tet gehört haben. Das soll gar keine Kritik am sehr soliden »Immunity« sein, welches mit seiner Zweiteilung in Club- und Headphone-Musik eine bekannte Hebden-Dichotomie aufgreift und auf die Spitze treibt. Ähnlich wie bei Kieran Hebden sind Hopkins’ Stücke für den Flur tieftönig und latent paranoid, wo Four Tet jedoch in jüngsten Jahren die Catchiness von UK Garage für sich entdeckte und in in seinem Fabriclive Mix kulminieren ließ, sitzt Hopkins im Keller und liest Kafka. Es sind eher die langsamen Momente in der zweiten Albumhälfte, auf denen sich Überschneidungen festellen ließen, aber man würde Hopkins’ musikalische Vision damit nur unnötig dezimieren.

James Holden
The Inheritors
Border Community • 2013 • ab 23.99€
James Holden geht unterdessen den umgekehrten Weg. Von Trance-Not-Trance-Grandissimo zu verkopfter, extrem kleinteilig produzierter Warp-Verkopftheit. »The Inhabitors« ist ein Album im klassischen Sinn, eine ambitionierte Kollage, in der alles miteinander verbunden scheint und ineinander fließt, der Hörer aber dennoch nie den Luxus genießt, sich entspannen zu können. Holden ist dafür zu hinterfotzig, zu sehr Künstler im ARTE-Sinn. Früher produzierte er Musik, die trotz ihrer Nerdigkeit Menschen zum schwitzen brachte, heute versucht Holden zu irritieren und erntet dennoch nur Anerkennung. Life is a bitch.

Boards Of Canada
Tomorrow's Harvest
Warp • 2013 • ab 9.88€
Ok, Zeit für einen Seelenstriptease. Ich habe mir 15 Jahre lang vorgegaukelt Boards Of Canada zu verstehen und so zu tun als könnte ich nachvollziehen warum »Music Has The Right To Children« für alle Kulturwichser eines der wichtigsten fünf Alben der 1990er Jahre gewesen sein soll. Erst als Boards Of Canada nun, im Juni 2013, ihre neue Platte streamten und ich die kollektive Schnappatmung der Ü30er im Social Media LaLa-Land im Nacken hatte, während ich mir parallel zum einmaligen Livestream Gedanken machte, ob Rucola und Nektarinen in einer Balsamico-Umwelt koexistieren können (Antwort: jein), wurde mir klar: es ist Zeit für Tabula Rasa. Boards Of Canada, you ain’t never done shit for me. »Tomorrow’s Harvest« ist langweilig, Amon Tobin hatte immer schon die besseren Ideen und DJ Shadow einfach die geileren Samples. Puh, tat das gut. Jetzt noch schnell »Music Has The Right To Children« auf Discogs für einen Blauen verschachern und ich fühle mich wie diese ganzen Hippies, wenn sie den Jakobsweg gegangen sind.

David Lynch
The Big Dream
Pias • 2013 • ab 26.99€
Es überrascht mich immer wieder aufs Neue wie sehr sich David Lynch der Musiker mit David Lynch dem Regisseur deckt. Auch »The Big Dream« klingt, wie schon der Vorgänger, konsequent wie der Soundtrack zu quasi jedem Lynch Film. Leiernde Gitarren, verhuscht-kryptischer Gesang, der sich in Wicked Game Akkorden verliert, quasi dreizehn Alternate Takes für die POV-Fahrt in Lost Highway. Das ist natürlich nicht schlecht, aber irgendwie wartet man die ganze Zeit auf Surrealles. So ist »The Big Dream« dann auch eher ein Aperitif dafür sich mal wieder die Zeit zu nehmen Twin Peaks zu schauen. Was ich dann wohl jetzt tun werde, es gewittert gerade so schön.