In Japan begannen die 1980er-Jahre ein paar Monate früher als anderswo. Im April 1979 kündigte der damalige Premier Masayoshi Ōhira ein »neues Zeitalter der Kultur« an. Das Land machte sich daran, technologisch und kulturell zur Weltmacht aufzusteigen. Es sollte sich durch massive Marketing-Anstrengungen als sogenannte soft power etablieren. Nicht nur Synthesizer und Walkmans, sondern auch die damit ein- beziehungsweise darüber abgespielte Musik sollte in die weite Welt exportiert werden. Slicker City-Pop sollte in den USA und anderswo als Soundtrack für lange Autofahrten im Mitsubishi oder Subaru dienen.

Tadaima

To Ki Me Ki

Super Folk Song

Futari No Harmony
Akiko Yano hatte allerdings bereits im Jahr 1976 den passenden Soundtrack für das neue Selbstbewusstsein Japans mit Mitgliedern der Band Little Feat eingespielt. »Japanese Girl« wurde zu Teilen in Los Angeles aufgenommen und vereinte US-amerikanischen Jazz mit min’yō-Elementen aus Japan. Es war die Keimzelle des Sounds des »kūru Japan«, des coolen Japans, der sich frei an westlichen Einflüssen bediente und doch dezidiert japanisch blieb: Yano war eine unfreiwillige Vordenkerin des City Pop, der mit dem Aufkommen der sogenannten Blasenkonfunktur ab dem Jahr 1985 eine Zeit des unermesslichen Reichtums unter der japanischen Bevölkerung musikalisch widerspiegelte. Bis dann im Jahr 1990 die Blase mit einem lauten Knall platzte.
Ein Japanese Girl
Die Songwriterin, Sängerin und Multi-Instrumentalistin wurde 1955 in Aomori in der Region Tōhoku im Nordosten Japans als Akiko Suzuki geboren. Mit drei Jahren begann sie, Klavier zu spielen und zog mit gerade einmal 15 Jahren nach Tōkyō. Nachdem sie sich mit Performances in Jazz-Clubs einen Namen gemacht und als Session-Musikerin gearbeitet hatte, sammelte sie mit der kurzlebigen Gruppe Zariba erste Banderfahrung und veröffentlichte mit dieser im Jahr 1973 ihre erste Single. Mit 19 Jahren heiratete sie den Musiker Makoto Yano und kümmerte sich für eine Weile um die Erziehung ihres 1975 geborenen Sohnes Fuuta, nahm im Frühjahr 1976 allerdings in Los Angeles und Tōkyō das Gros der Songs ihres Debüts »Japanese Girl« auf.
Mit »Oinaru Shiino-ki« ist auf der »japanischen Seite« des Albums auch ein gemeinsames Stück mit Mitgliedern der Gruppen Caramel Mama beziehungsweise Tin Pan Alley vertreten, das im Jahr 1973 eingespielt worden war. Am E-Bass: ein gewisser Haruomi Hosono, damals Mitglied bei der Folk-Rock-Band Happy End, gefragter Produzent und aufstrebender Solokünstler. Auf Yanos zweitem Album, »Iroha Ni Konpeitō« aus dem Jahr 1977, war er ebenso vertreten, während sich im Hintergrund sein neues Bandprojekt formierte: Yellow Magic Orchestra. Ein anderes von deren Mitgliedern, Ryūichi Sakamoto, heiratete Yano nach ihrer Scheidung von Makoto Yano im Jahr 1979.
Im Vergleich mit Kate Bush wird oft übersehen, dass Akiko Yano bereits Jahre vor der Britin debütierte.
Bis heute steht das Frühwerk von Akiko Yano im Schatten anderer; der deutsche Wikipedia-Artikel über ihren ehemalige Mann Sakamoto erwähnt sie nicht einmal. Zum einen wird sie oft mit Kate Bush verglichen. Zwar gibt es neben bestimmten Parallelen im Stimmregister beziehungsweise der Gesangsperformance Ähnlichkeiten in der musikalischen Gestaltung, die zeitgenössische Formen des Pop mit folkloristischen Motiven zusammenbrachte – doch übergeht der Vergleich, dass Yano bereits Jahre vor der Britin debütierte. Auch war sie mehr als nur eine Sängerin aus dem Umfeld von YMO: Ihre Songs schrieb sie selbst, spielte auf ihren eigenen Alben zahlreiche Instrumente ein und ging mit YMO auf Tour, auch als Mitglied von dessen Live-Formation.
Eine Pionierin von City-Pop und Techno-Pop
Nicht zuletzt war Yano federführend in der Etablierung des Techno-Pop-Sounds, dessen Erfindung gemeinhin allein dem Yellow Magic Orchestra zugeschrieben wird. Spätestens mit dem Album »Tadaima« im Jahr 1981 stellte sie die seit »Iroha Ni Konpeitō« in ihrem Werk prominenten elektronischen Elemente in den Vordergrund. Das ebenso sonderbare wie wundersame Techno-Pop-Meisterwerk steht im Frühwerk Yanos allerdings in einem noch breiteren Kontext, zu dem ebenso ein Cover-Album mit Songs der britischen Prog-Pop-Rockern Queen wie auch Beethoven-Referenzen auf dem selbstproduzierten Album »To Ki Me Ki« gehören. In musikalischer Hinsicht war die City-Pop-Pionierin vielleicht zu vielseitig, um dem internationalen Publikum mit nur einem bestimmten Sound im Gedächtnis zu bleiben.

»Tadaima« markierte auch einen Umbruch im Selbstverständnis von Akiko Yano. »Kurz vor der Veröffentlichung hatte ich mit ›Harusaki Kobeni‹ eine Art Hit, weshalb danach alle ein nettes, eingängiges Pop-Album erwarteten«, sagte sie im Jahr 2018 in einem Interview. »Das wollte ich aber nicht. Ich habe mich nicht als Popkünstlerin betrachtet. Also habe ich gemacht, was ich wollte.« Das gilt insgesamt für den Karriereweg der Frau, die auf ihren Plattencovern im knallroten Overall mit aufblasbaren Delfinen oder im Kimono vor gelangweilten Kühen posierte, die sich offensichtlich selbst nicht zu ernst nahm – und zugleich mit Ehemann Sakamoto und Japan-Sänger David Sylvain (auf dem Album »Ai Ga Nakucha Ne«) für sehr seriöse Musik kollaborierte.
Yanos Schaffen ist ein postmodernes Durcheinander, was sie während der langen 1980er-Jahre in Japan umso mehr zur Pionierin und Ausnahmekünstlerin des »neuen Zeitalters der Kultur« machte. Sie war experimentierfreudig und doch poppig, humorvoll und nichtsdestotrotz ernsthaft um den musikalischen Fortschritt bemüht. Während Yano im Laufe der Dekade nahezu jedes Jahr als Solo-Künstlerin mit einem neuen Album in Erscheinung trat, schrieb sie hinter den Kulissen umso mehr am Sound der Blasenkonjunktur mit: Sie war als Songwriterin für Idols wie Seiko Matsuda, Noriko Matsumoto oder Yukako Hayase aktiv und komponierte Musik für die Werbeindustrie – für Lippenstifte und Kaufhausketten.
Nachdem die Blase platzte
Akiko Yano gelang all das, während sie sich zugleich als Mutter um mittlerweile zwei Kinder kümmerte – nach der Trennung von Ryūichi Sakamoto Anfang der 1990er-Jahre allein. »Eine Zeit lang war ich alleinerziehend«, erklärte sie in einem Interview. »Für vier oder fünf Jahre kam ich mir wie ein eingesperrtes Eichhörnchen vor, aber habe mich irgendwie durchgekämpft.« Die frühen 1990er-Jahre waren allerdings nicht nur für sie persönlich, sondern auch für Japan und die dortige Musikindustrie eine Umbruchszeit. Ihr im Jahr 1989 veröffentlichtes Album »Welcome Back« markierte zugleich die Rückkehr zum Jazz wie auch einen Abschied von der Heimat. »Als die Blase platzte, folgte die Musikindustrie«, sagte sie mit Blick auf die wirtschaftlichen Einbruch nach Ende der Blasenkonjunktur.
Seitdem lebt Akiko Yano in New York und bleibt höchst aktiv. Mit Peter Gabriel kollaborierte sie, schrieb den Soundtrack der Ghibli-Serie »Meine Nachbarn die Yamadas« und veröffentlichte zahlreiche Live- und Studio-Alben, manche als Solo-Künstlerin oder in Zusammenarbeit mit anderen, wie zuletzt mit der Jazz-Künstlerin Hiromi Uehara und dem Shamisen-Spieler Hiromitsu Agatsuma. Sie bleibt schwer zu kategorisieren, immerhin aber erhielt ihr Frühwerk dank einer umfassenden Reissue-Kampagne durch das Label WeWantSounds erneut viel Aufmerksamkeit. Das bietet einen Anlass, das Bild von einer Pionierin verschiedener musikalischer Bewegungen geradezurücken, die die japanische Musikgeschichte in vielerlei Hinsicht geprägt hat.
Eine frühere Version dieses Textes erschien im Jahr 2019 online im Magazin Spex.