»Nightmares didn’t come during dreams«
Billy Woods
Ist eigentlich nicht meine Art – ich mag normalerweise indirektere Einleitungen –, doch um einfach mal mit der Tür ins Haus zu fallen: Ich halte Billy Woods für einen der besten Underground-Rapper der Welt. Seine beeindruckende Produktivität als Teil diverser Projekte, seine Arbeit als Gründer des großartigen Labels Backwoodz Studioz, er ist eine absolute Legende des Abstract Hip-Hop. Wie viele Rap-Fans fand ich über Earl Sweatshirt einen Weg in diese Ecke des Hip-Hop und lernte über die Jahre auch ähnliche Artists wie MIKE oder Navy Blue lieben, doch Billy Woods steht über allen.
Trotzdem hab ich gebraucht, um mich komplett auf GOLLIWOG – so heißt das neue, großartige Album von Billy Woods – einzulassen. Tatsächlich schob ich das Schreiben dieses Textes immer weiter auf. Weil ich wusste, dass es harter Tobak sein würde; weil mich die Platte hundertprozentig umhauen, aber auch runterziehen würde. Das ganze Drumherum wies schon darauf hin.

Golliwog Black Vinyl Edition
Man verspürt fast den Drang, eine Triggerwarnung vorzuschalten. Zu sagen, die Themen auf GOLLIWOG sind düster, wäre eine Untertreibung: Armut, Folter, Suizid, angedeuteter Kannibalismus. Billy Woods trägt seine Wortgewandtheiten fast so vor, als schwebe ein Todesdämon neben ihm. »The english language is violence«, rappt er – und vertont diese Erkenntnis gekonnt. Besser als sonst jemand.
Zu Beginn von GOLLIWOG hört man, wie die Filmrolle zu drehen beginnt; es ist der Beginn eines cineastischen Albums. Die gespenstischen Klänge eines Rummelplatzes erklingen, was vor allem für Leute (wie mich) gruselig ist, die Angst vor Clowns haben. »Jumpscare« heißt dieser Opener natürlich, obwohl Billy Woods auf GOLLIWOG weniger Schreckmomente nutzt, sondern auf eine weniger körperliche, psychisch belastende Form von Horror abzielt – nicht »The Texas Chainsaw Massacre« steckt hier drin, vielmehr hat die Platte etwas von »The Shining«. Es ist jener Horror, der sich tief in deine Gedanken einnistet.
Dem Beat geht es gar nicht gut
Trotz seiner Anonymität – der Musiker zeigt niemals sein Gesicht, sein bürgerlicher Name ist unbekannt – unterscheidet ihn etwas Offensichtliches von einem seiner größten Einflüsse, MF DOOM: In seinen Songs gibt der New Yorker durchaus Persönliches preis, anders als der maskierte DOOM auch oft und kaum durch die Blume. Billy Woods, der Sohn eines intellektuellen Marxisten aus Simbabwe und einer jamaikanischen Literaturprofessorin, rappt von der ständigen Angst, als schwarze Person in dieser rassistischen Welt zu leben (»My people fled to the mountains, but it’s nowhere the white man won’t go«); Furcht scheint für ihn keine Mood, sondern ein Dauerzustand zu sein. Damit zieht Woods den Horror von GOLLIWOG aus der Fiktion heraus und holt ihn in die Realität, ins Hier und Jetzt. In sein Hier und Jetzt.
Besonders hart ist das in »Waterproof Mascara«, dem wohl bedrückendsten Song des bisherigen Jahres. Wobei ›Hier und Jetzt‹ eigentlich falsch ist: Billy Woods erzählt von einer blassen Erinnerung, als seine Mutter ihm und seinen Geschwistern sagte, sie sollen niemandem vertrauen. »There’s us in this room, that’s it!«, heißt es – und mit dem letzten Wort kracht ein dissonanter, geradezu Hitchcock-artiger Pianoakkord rein. Und sonst? Besteht der Beat vor allem aus den weinenden Schniefen einer gebrochenen Frau. Puh.
Das Spiel mit Zeit ist auf GOLLIWOG ohnehin Thema (»Way I see it, it ain’t no past tense«, »Time is on my side«): Schon immer zeichnete Billy Woods eine Geschichtsverbundenheit aus, doch sein neues Album ist wahrhaftig ein Sprung in die Vergangenheit. Während die Vorgängerplatte Maps eine Art Roadtrip darstellte und dadurch leicht zu greifen war, ist GOLLIWOG nun eine andere Reiseform und deutlich abstrakter: »I won’t be located«, heißt es im Closer. Der Rapper bewegt sich nicht nur durch Orte, sondern durch die Zeit. Woods entführt uns in längst vergangene Tage, denn die Platte basiert ursprünglich auf einer Horrorgeschichte, die er als Grundschüler geschrieben hat und von seiner Mutter aufbewahrt wurde.
Thematisiert wurde darin der Charakter des Golliwog – einer schwarzen, karikaturistischen Kinderbuchfigur mit ultrarassistischem Hintergrund, die im 19. Jahrhundert von der Cartoonistin Florence Kate Upton erfunden wurde, extrem populär war und später als rassistisches Schimpfwort die Runde machte. Als Billy Woods an die Figur und seine darauf basierende Kindheitsgeschichte erinnert wurde, war der Aufhänger für sein neues Album klar. GOLLIWOG ist ein verwaschenes Schwirren durch das Heute, Gestern und leider auch Morgen. Schließlich hat sich seit dem 19. Jahrhundert zwar einiges, doch beim besten Willen nicht alles verändert …
… als hätte man zu viel Koffein getrunken und dann eine Schlaftablette genommen.
Dieses Manipulieren von Zeit ist auch in der Produktion auf GOLLIWOG spürbar. (Es ist sein erstes Album seit 2019, auf dem mehrere Produzenten am Werk sind; verschiedene Billy-Woods-Modi werden durch verschiedene Produzenten wie El-P, The Alchemist oder Kenny Segal abgerufen.) Die Beats sind zerbrochen, zersprengt und zerstückelt, als hätte man sie durch eine Zeitmaschine gejagt – immer wieder – und dadurch leicht verfremdet. Sie sind aneckend und doch laid-back, wodurch ein gewisser Push-and-Pull-Effekt entsteht: Es ist, als würde man die Beats ständig vor- und zurückspulen. Gleichzeitig.
Related reviews
Unterstrichen wird das durch die Vortragsweise von Billy Woods. Während die Arrangements schweben und kaum Halt geben, rappt er ununterbrochen, konsequent und mit unglaublicher Beständigkeit; jeder Konsonant schießt brutal aus dem Mund. Aber: Gleichzeitig klingt er betäubt und wirkt betäubend, erscheint ebenso emotionslos wie wutgeladen, wirft dich nach vorn und doch auf den Boden – als hätte man zu viel Koffein getrunken und dann eine Schlaftablette genommen. Herzklabaster der besten Art.