Mit einem Grinsen zwischen Selbstbewusstsein und Verlegenheit greift Gavlyn zum Mikro, sowohl auf der Bühne als auch beim Interview. Sie weiß, was sie kann, aber nachvollziehen, wie schnell alles in den letzten Monaten ging, konnte sie bisher noch nicht. Die etwa 1,50 m große Rapperin hat ein gewinnendes Wesen, lacht viel, albert rum und kann auch gut über sich selbst lachen. Wenn es um ihre Musik geht, ist sie aber fokussiert und kann sich behaupten. Seit 2006 rappt Gavlyn, doch ihre kreativen Wurzeln liegen abseits der Musik im Spoken Word, das mit seiner völligen stilistischen Freiheit einen großen Eindruck auf die kreative Jugendliche ausübte, als diese zum ersten Mal nach einer Form suchte, um ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen. Den HipHop entdeckte sie erst später. Er bot ihr, wie sie sich erinnert, dann nicht nur ein sprachliches Ventil, er verlieh ihr außerdem Selbstvertrauen und Persönlichkeit, weshalb sie sich darin irgendwann heimischer fühlte.
Bis heute hört man Gavlyns Rap an, dass er keine typische Sozialisation durchlaufen hat. Bei ihr stehen die Worte selbst im Vordergrund, die Message von Ehrlichkeit, Respekt und Loyalität. Der Reim muss nicht immer perfekt passen und ihr Flow darf sich auch Aussetzer erlauben. Die Selbstsicherheit mit der Gavlyn dieses Handwerk betreibt, färbt dabei auch auf ihre Texte ab, in denen sie nach ihrem Platz in der Welt sucht und offenbart, mit welchen Werten im Gepäck sie diesen zu finden gedenkt. Die Mischung aus eigenem Stil und Message hat Gavlyn 2012 zu dem Qualitäts-Indie Broken Complex aus San Fernando Valley in Los Angeles geführt, wo sie auch aufgewachsen ist. Dort hat sie ihr Debütalbum »From The Art«
veröffentlicht, das in der HipHop-Szene weithin für hochgezogene Augenbrauen sorgte. Auf die Frage, »von welcher Kunst« genau sie denn auf dem Album redet, antwortet sie mit einem Leuchten in den Augen: »Es geht um die Kunst der anderen Perspektive, die Kunst des Entdeckens und auch des Wissens, was man wert ist«. Hört man Gavlyns Musik, fällt schnell auf, dass sie sich als Einzelkämpferin inszeniert, auch wenn sie sich privat eher als »Peoples People« bezeichnet. Aber sie gefällt sich durchaus in der Rolle der Donna Quijote gegen die Soulja Boys und Flo Ridas dieser Welt. Will man bei diesem Bild bleiben, steht ihr im Kampf um die »beständige, originäre, authentische Musik mit Seele«, wie sie es nennt, zumindest Sancho Panza bei, in Form des lose organisierten Künstlerverbundes Organized Threat, bei dem sie Mitglied ist. Dieses internationale Kollektiv versteht sich als Plattform für Poeten, Rapper, Produzenten und Kreative, die das 21. Jahrhundert als das begreifen, was es ist: ein neues Zeitalter, das nach einem neuen Denken verlangt.»Es geht um die Kunst der anderen Perspektive, die Kunst des Entdeckens und auch des Wissens, was man wert ist«.
Gavlyn
Die hier vertretenen Künstler, und so auch Gavlyn, wehren sich gegen die gedankliche Gleichschaltung durch die Mainstream-Medien, gegen Vorurteile aufgrund sexueller oder religiöser Präferenzen und gegen Rassismus. Gavlyns Rolle in diesem Kollektiv ist es einzig und allein, sie selbst zu sein, als Mensch, als Frau und als Künstlerin. Keine leichte Aufgabe für eine gerade 23-jährige, aber Gavlyn lässt sich auch davon nicht aus der Ruhe bringen. Sogar die Vorbildrolle einer erfolgreichen Frau in einem von Männern dominierten Musikgeschäft, die ihr von vielen minderjährigen weiblichen Fans zugetragen wurde, und von der sie anfangs am liebsten gar nichts wissen wollte, nimmt sie mittlerweile pflichtbewusst an. Und sie betont, dass die immer noch unvermeidlichen sexistischen Sprüche innerhalb der Szene sie vor allem lyrisch noch zusätzlich anstacheln würden. Gavlyn hat ihr Potenzial als MC noch nicht voll ausgeschöpft. Auch hat sie sich als Künstlerin noch nicht eindeutig gefunden. Aber sie hat einen großen Vorteil gegenüber vielen, die älter und erfahrener sind als sie: sie hat die Stimme, das Spotlight und sie weiß, was sie wert ist. Und sie hat keine Scheu davor, das auch zu zeigen.