Jakub Juhás schrieb seine Bachelorarbeit über Throbbing Gristle und konzentrierte sich für seinen Master auf Werke von La Monte Young und Yasunao Tone. Ein Blick auf den Katalog seines Labels mappa macht klar, dass er weder den ikonoklastischen DIY-Spirit der ersten aufgegeben hat, noch das Interesse an den »Konzepten der Unendlichkeit, des radikalen Minimalismus und des Glitch« verloren hat, die er in den anderen beiden erkannte. In gut zehn Jahren hat sich mappa zu einer Plattform für anarchische Klangkunst, elaborierte Field Recordings-Experimente, zeitgenössische Komposition und sogar für Veröffentlichungen entwickelt, die mit etwas Wohlwollen als Pop kategorisiert werden könnten.

Pohreb

Aspect Of What

Sing Nightingale

Kleine Freuden
mappa hat Juhás zusammen mit Zoltán Czakó Ende 2015 gegründet. »Ich hatte sehr rosarote, DIY-spezifische Vorstellungen davon, wie das Label beim Publikum ankommen sollte, welche Szenen ich miteinander verbinden wollte, wen das ansprechen sollte, wie ich es finanzieren würde und wie der Vertrieb aussehen sollte«, sagt Juhás. »Ich habe es insofern ernst genommen, als dass ich viel Energie hineinstecken und es nicht nur für ein, zwei oder drei Jahre machen wollte.« Die erste Veröffentlichung kam Anfang 2016 vom US-amerikanischen Klangkünstler Jeph Jerman. 34°111’3″N 111°95’4″W erschien auf Kassette begleitet von Objekten, die der Künstler selbst gesammelt hatte.
Es war in mehrfacher Hinsicht eine programmatische Veröffentlichung. Zum einen aktualisierte Czakós Design behutsam herkömmliche DIY-Ästhetiken für das 21. Jahrhundert, während das Album selbst Juhás‘ konzeptionelle Vorstellungen zum Ausdruck brachte. »Ich interessiere mich für Soundscapes und Umgebungen, die die meisten Menschen als peripher, randständig oder sogar aller Aufmerksamkeit unwürdig betrachten«, sagt er. »Ich bin fasziniert von Menschen, für die diese ›Peripherie‹ den Mittelpunkt des Universums darstellt.« Jermans Soundscapes von einer alten Windmühle in der Nähe seines Hauses in der Sonora-Wüste in Texas waren insofern das perfekte Mission Statement zum Labelauftakt.
»Ich hatte sehr rosarote, DIY-spezifische Vorstellungen«.
Jakub Juhás
Field Recordings wie die von Jerman spielen auch fast ein Jahrzehnt später noch eine wichtige Rolle im Katalog des Labels. Einschlägige Künstlerinnen wie Alexandra Spence, Manja Ristić und Lucie Vítková haben Alben über das Label veröffentlicht, die sich produktiv mit den Klängen verschiedener Umwelten auseinandersetzen. Darin spiegelt sich Juhás’ Interesse an dem wider, was er hinsichtlich Genres wie onkyō oder lowercase und Labels wie Wandelweiser und Another Timbre als »Emanzipation der Stille« bezeichnet. Er betont jedoch, dass Stille verschiedene Formen annehmen kann.
Juhás nennt die »porösen Rhythmen« in den Kompositionen der Post-Minimal-Komponistin Sarah Hennies und die Arbeit des chilenischen Experimentalgitarristen Cristián Alvear als Beispiele dafür, wie Stille zu einem integralen Bestandteil des Kompositionsprozesses werden kann. »Es gibt auch eine Art von Stille, die sich durch organischere oder manchmal synthetischere Texturen zieht; eine Stille, die durch Spannungen und Entspannungen elastischen Klangmaterials geprägt ist«, fügt er hinzu. Zu hören ist sie unter anderem im Hochglanz-Worldbuilding von Andrew Oda oder Kensho Nakamura.
Künstliche Vogelmusik, Pop & Politik
Im Laufe der Zeit hat sich die stilistische Palette von mappa erweitert. Ob es sich um die Vocal-Sound-Poetry von Cucina Povera, die postkosmische Ästhetik von Baldruin, Gitarren-Dronescapes von Pfägens oder eine 32-Track-Compilation voller Synthetic Bird Music handelt: Das Label ist musikalisch ebenso entgrenzt wie sein internationaler Roster. In letzter Zeit haben Adela Mede, Plume Girl oder claire rousay & Gretchen Korsmo sogar einen Dialog mit populären Musikformen aufgenommen. »Da zeigt sich, dass es keine klaren Grenzen zwischen experimenteller und Popmusik gibt«, sagt Juhás. »Die Welt wäre ein traurigerer Ort, wenn solche Vermischungen und Wechselwirkungen nicht stattfänden.«
Ähnliches gilt für mappa als Netzwerkinstrument. Seitdem Zoltán Czakó im beidseitigen und freundschaftlichen Einverständnis seine Mitarbeit am Label eingestellt hat, knüpfte Juhás zahlreiche Kontakte in seinem Herkunftsland Slowakei und darüber hinaus. Andere Labels wie Warm Winters, dessen Betreiber Adam Badí Donoval auf mappa veröffentlicht und eine Vielzahl der Veröffentlichungen gemastert hat, das tschechische Skupina unter der Leitung von Ján Solčáni sowie Jonáš Gruskas LOM-Projekt sind enge Kooperationspartner. »Es ist eine Familie, die die Szene auch unter schwierigsten politischen Bedingungen am Leben erhält«, sagt Juhás.
Diese Imprintse bilden eine lose Konstellation, die eine Plattform bietet für Künstler*innen aus Osteuropa. Weiterhin wird die Region vom westlichen Publikum und der Musikindustrie oft ignoriert. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das Label nicht mehr auf Unterstützung aus seinem Heimatland verlassen kann. Die slowakische Regierung unter Robert Fico agiert zunehmend autoritär und tritt insbesondere gegenüber Kulturschaffenden feindselig auf. »Dann und wann konnte ich dank der Unterstützung des Slowakischen Kunstrats Musik von regionalen Künstler:innen veröffentlichen«, sagt Juhás. »Leider wurde dieser Fonds wie auch der gesamte Kultursektor im vergangenen Jahr systematisch attackiert und zerschlagen.«
»Die Welt wäre ein traurigerer Ort, wenn solche Vermischungen und Wechselwirkungen nicht stattfänden.«
Jakub Juhás
In naher Zukunft wird es stiller um mappa werden. Juhás ist kürzlich nach Portugal gezogen und wird sich auf seine schriftstellerischen Tätigkeiten konzentrieren, die aber natürlich eng mit der Musik verflochten sind. »Ich arbeite derzeit an meinem dritten Buch, das sich mit verschiedenen Geschichten aus der Vergangenheit und Zukunft befasst, die alle um einen bestimmten Sound oder eine bestimmte Klangumgebung kreisen«, erklärt er. Aufmerksames, intensives Zuhören kann schließlich auch als Lernprozess verstanden werden – als Mittel, um die Welt mit den Ohren zu lesen, wozu auch die Releases von mappa immer wieder einladen.
Juhás hofft, dass der Katalog seines Labels in diesem Sinne als »fiktive dekoloniale Landkarte voller unerwarteter Verbindungen und Parallelen« verstanden wird, ähnlich einer »Klangkarte« für die legendäre »Earthsea«-Reihe von Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin. Das verdeutlicht umso mehr, wie sehr seine Labelarbeit vom Wunsch angetrieben wird, Grenzen zu überwinden – klangliche und musikalische, aber auch geografische, kulturelle und soziale. »Das Ziel von mappa ist es, Aufmerksamkeit auf Orte zu lenken, die außerhalb des Rampenlichts stehen, deren Geschichten es aber verdienen, gehört und erzählt zu werden.« Keine leichte Aufgabe, und doch meistert sie dieses Label bravourös.