Der Veranstalter hatte sich das so vorgestellt: Er und Max würde die ganze Nacht abhängen, Koks ziehen, und Platten auflegen. Da hat er Max Graef falsch eingeschätzt. Der DJ und Produzent aus Berlin ist nicht dein durchschnittlicher Fist-Bump-mit-Jedem-Hedonist. Trotzdem strebt er mit seinem gemeinsam mit Glenn Astro entstandenem neuen Album »The Yard Work Simulator« in die Clubs. Nur halt auf seine Art und Weise.
Die Geschichte mit dem Veranstalter stammt aus der Zeit, in der Max Graefs Karriere langsam Fahrt aufnahm. Damals wie heute kommentiert er das Interesse an seiner Person mit unaufgesetzter Verwunderung: »Ich dachte nie, ›boah, ich bin heftig‹. Es war immer so: ›Das sind halt so ein paar Freaks, die Bock haben dich einzuladen‹«.
Dass er DJ sei, sei sowieso eigentlich ein bisschen absurd, sagt Max Graef. Andererseits genieße er es, auf der anderen Seite der Decks zu stehen, denn»da muss ich ja nicht so viel Party machen, um eine Party zu machen«. Freunde sagen ihm, er sehe beim Auflegen so aus, als sei seine Mutter gestorben. Das erzählt er und lacht dabei.
Man sucht in Max Graefs Gesicht ständig nach dem Nutellafleck auf der Wange, einfach weil der so gut in das freundliche Lausbuben-Gesicht passen würde. Nicht nur deshalb ist es eine Freude, ihm gegenüber zu sitzen.
Er ist ein warmherziger, gelassener Gesprächspartner. Wir sitzen auf der Empore eines Cafés im 60er/70er-Jahre Stil hinter einer großen Glasfront.
Draußen ein gleichgültiger Himmel, es ist weder klar noch bewölkt, das Licht eines anspruchslosen Sonntag gähnt hinein. Die Gäste sind müde, die Kellnerin ist müde, Max Graef ist müde. Vier Stunden Schlaf, Hoodie, Jogginghose. Die Nacht zuvor: Auflegen im Roxy, Köln. Das späte Frühstück hilft ein wenig. Es gibt Pfannkuchen mit Speck, Obstsalat und Sirup. Zu wenig Sirup. Eindeutig zu wenig Sirup, trotz zwischenzeitlichen Katerkrampfes im Wadenbereich steht Max auf, läuft die Treppen runter und ordert mehr davon.»Jazz infused House oder so ein Dreck, so komische Genre-Scheisse immer. Würde ich Filmmusik machen, würde niemand nach dem Genre fragen.«
Max Graef
Max Graef wächst in Berlin auf. Lange ist der Prenzlauer Berg sein zu Hause. Schon vor der Einschulung bekommt er Schlagzeugunterricht, sein Lehrer ist der damalige Schlagzeuger von Rosenstolz. Später übt er sich zwei Jahre in Jazz-Drums. »Irgendwie hat mir nie jemand gesagt, dass ich kein Talent habe. Musste ich dann selber herausfinden. Nebenbei dann immer mehr für Gitarre interessiert.« Inzwischen kann er so ziemlich jedes Instrument mehr oder weniger live einspielen.
Über den Vater halten Jimi Hendrix und der Blues Einzug in Max Leben, dazu zählt er Oscar Peterson und Herbie Hancock zu seinen wichtigsten Einflüssen; er habe »immer schwarze Musik vergöttert«. Zu den Ausnahmen gehören Led Zeppelin und die Red Hot Chili Peppers, »Blood Sugar Sex Magik« habe sein Leben verändert.
Darüber hinaus hört man der Musik von Max Graef seinen London-Aufenthalt an. Aber auf ganz andere Weise als man jetzt denken könnte. Er zieht nach London, um dort seinen Abschluss zu machen. Zwei Jahre geht er dort zur Schule. »Ich hatte kein Bock auf Abitur hier, war mir alles zu nervig und anstrengend.« Sein Kindheits-Freund Fiete war sowieso in England, dessen Mutter arbeitete dort. Film, Musik und englische Literatur waren Fächer, die er als Prüfungsfächer wählte und »Deutsch als Extrafach, damit ich sicher ‘ne gute Note hatte.«
Die Stadt habe er damals nicht genießen können, er sei dafür einfach zu jung gewesen. Und so sind es nicht etwa erste Berührungen mit der Londoner Musikszene damals, die sich auch heute noch in seiner Musik widerspiegeln, sondern die Freizeitgestaltung mit seinem Kumpel Fiete. Der hatte eine große Leidenschaft für Film und beide wenig von der Leidenschaft für den Schulunterricht. So verbrachten sie etliche Nachmittage damit, irgendwelche Szenen aufzunehmen. Wenn nicht, zog sich Max zurück und tüftelte an ersten eigenen Songs.
Bloß keine kackenden Hunde
2014 erschien sein Debütalbum »The Rivers Of The Red Planet« Neben den Referenzen in den Tracktitel hört man der Musik selbst die Liebe ihres Machers fürs Kino an; griffig, staubig, atmosphärisch sind die Tracks. Er habe beim Musikmachen immer ein Bild im Kopf, »es sei denn, man macht einen Techno-Track: da muss man jetzt nicht groß was assoziieren«. Seine Songs kann man irgendwo zwischen Beatmaking, House, Jazz, Funk und Blaxpoitation einordnen. Ginge es nach Max, würde man sie gar nicht einordnen. Auch deshalb würde er eines Tages gerne tatsächlich einen Soundtrack aufnehmen: »Filmmusik kann halt alles sein: von komischen Geräuschen bis zur Disco-Nummer. Jazz infused House oder so ein Dreck, so komische Genre-Scheiße immer… würde ich Filmmusik machen, würde niemand nach dem Genre fragen.«
So fluchen hört man Max selten. Er ist ruhig, bedacht und reflektiert. Wenn er doch mal kurz lospoltert, zügelt er sich im nächsten Moment wieder selbst. In diesem Fall: Klar, man müsse ja auch als Journalist ein Genre finden, und klar, zu sagen, er mache Musik ohne Genre klänge ja auch ausgelutscht.
Max scheut die starken Thesen, vermeidet sich selbst oder seine Musik als irgendwie bedeutsam darzustellen. Den typischen Producer-/DJ-Sprech seiner Kollegen findet man auf seiner Facebook-Seite nicht. Kein »off to Paris now, so stoked to play at … tonight«. Nichts dergleichen.
Am liebsten würde er gar nicht über seine Musik reden, sagt er. Gleichzeitig würde er gerne ein bisschen politisch sein mit seiner Musik, er weiß nur nicht wie.
Aus zweierlei Gründen fällt es ihm schwer, diesbezüglich nach vorne zu preschen. Erstens, weil er sich selbst »leider« zu wenig für Politik interessiere und kein Halbwissen verbreiten will, zweitens, weil er in den Empfängern nicht die Bereitschaft sieht, derart Messages aufzunehmen. »Sobald man etwas Ernsthaftes postet, interessiert es kein Schwein. Wenn du aber einen kackenden Hund postet, kriegste irgendwie 500 Likes dafür.«»Am Ende ist das einfach eine Party, auf der man säuft«
Max Graef
Auf seinem Album mit Glenn Astro (die beiden haben sich über Soundcloud kennengelernt und betreiben inzwischen u.a gemeinsam das Label Money $ex Records) hat er wenigstens ein bisschen Kritik verpackt. Der Albumtitel ist eine Simpsons-Referenz. In einer Folge beordert Marge Bart und Lisa dazu, Gartenarbeit zu erledigen. Die beiden weigern sich, sie wollen lieber auf eine Game-Convention. Das erste, was sie dort spielen: den Gartenarbeitssimulator.
Ein bisschen Gesellschaftskritik darf man da schon hineinlesen. Max Graef nervt die ganze »Handy- und App-Scheisse«, er empfindet es als kein schönes Miteinander, habe das Gefühl, dass sich selbst die Menschen im Hausflur nicht mehr »Hallo« sagen würden.
Adventure Time
Er kippt etwas mehr Sirup über seine Pfannkuchen und relativiert: »Joah, das ist jetzt schon ein bisschen ein oberflächlicher Gedanke gewesen. Und sooo gesellschaftskritisch war auch der Albumtitel nicht gemeint.«
Vor allem schielen die beiden mit »The Yard Work Simulator« auf die Tanzfläche. Und die Musik schielt tatsächlich. Kein großpupilliger 4-to-the-Floor, sondern verschwurbelte Grooves und analoge Bassläufe, wirre Blicke, die Augen überall. Teilweise klingt das wie bei Thundercat. Überhaupt das Brainfeeder-Umfeld, überhaupt Los Angeles: Hier findet man das aktuell treffendste Vergleichsmaß für den Sound von Max Graef und Glenn Astro.
Glenn Astro sagt über das Album, es sei der Versuch gewesen, Tanzmusik ohne die üblichen Zutaten zu machen. Die beiden haben sich hingesetzt und eine Liste gemacht. So sollte ein Track zum Beispiel auf jeden Fall dem Detroit-Techno huldigen, aber mit für das Genre unorthodoxen Mitteln wie aufgenommenen Drum-Sounds. Man wolle zwar schon den Begriff Clubmusik dehnen, nicht aber das Publikum im Club erziehen und ihm beibringen: Hey, checkt das mal aus, das ist auch Club-Musik. »›Erziehen‹ finde ich [im DJ-Kontext] immer ein schwieriges Wort. Am Ende ist das einfach eine Party, auf der man säuft«, sagt er und lacht.
Eine Frage noch: Zu welchem Film, welcher Serie könnte denn »The Yard Work Simulator« am ehesten den Sound-Track abgeben?
Max Graef: »Am ehesten sowas wie ›Adventure Time‹ das ist so total detailverliebt, lustige Charakter. Und eigentlich viel zu crazy, dafür, dass es auf einem Kindersender läuft.«
In zwei Stunden geht sein Zug zurück nach Berlin. Nach Wedding, wo er inzwischen mit seiner Freundin, die das Cover zum Album gestaltet hat, wohnt. Wochenenden auf der Couch sind rar geworden. »Gerade wenn man so einen gemütlichen Samstag zu Hause auf der Couch hat und dann noch um 18 Uhr zum Tegel-Flughafen herausfahren muss, nervt das schon.«
Wenn ihm jemand einen Karibik-Urlaub vorschlägt, denkt sich Max Graef schon mal: »Och nö, lass’ mal in Berlin bleiben.« »Wenn man dann in der Karibik ist, ist’s ja auch geil«, sagt er und schmunzelt wieder.
Das eben ist Max Graef, die Art Typ, mit dem es sich gut und gerne vier Tage aushalten ließe. Nur solltest du davor lieber genug Sirup statt Koks besorgen.