Maxim Denuc findet die Inspiration für seinen Techno in Burgen und Höfen

28.08.2023
Foto:Anne Leroy © Vlek
Maxime Denuc spielt die Orgel wie kein anderer: ohne sie zu berühren. Damit stellt er über das Instrument die Verbindung zwischen zwei weit entfernten Zeitaltern her.

Orgel-Drones haben immer etwas Besinnliches, selbst wenn sie nach dräuender Gefahr klingen, wie beim Opener von Maxime Denucs erster Solo-LP »Nachthorn«. Man ist mit dem Kopf bereits in einem grob abgestecktem Feld zwischen Kirchen- und Konzerthäusern, von Johann S. Bach bis Hans Zimmer, etwas konservativ womöglich – und ganz sicher nicht quicklebendig oder fix auf den Beinen.

Der schier endlose Anschlag, ein tiefer Ton, auf »Edo« setzt eine langsame und vorsichtige Modulation im mittleren Bassregister in Gang. Doch deutet hier, an dieser Stelle im Album (und beim Live-Auftritt), nichts auf die Post-Rave-Depression und Come-Down-Vibes hin, die noch folgen sollen. Wer Maxim Denuc bereits als Solo-Künstler, von seiner Vorgänger-EP »Solarium«, oder als Teil des Duos Plapla Pinks kennt, wird von den folgenden ravey Flächen weniger überrascht werden, als jene, die das Werk des heute in Brüssel beheimatete Toulouser Musiker noch nicht so verinnerlicht haben.

Doch Denuc arbeitet schon seit über einer Dekade an der Schnittstelle zwischen Orgeln, Barockmusik und (Post-)Rave. Was ihn dieses Jahr auch zum belgischen Festival >Weekender< in St. Vith und an die Orgel der hiesigen Pfarrkirche brachte. »Keine zwei Orgeln dieser Welt klingen exakt gleich, weswegen man immer wieder ein anderes Erlebnis hat«, betont Denuc im Gespräch. Das sei für ihn das Faszinierende und würde immer wieder eine neue Auseinandersetzung mit der jeweiligen Orgel verlangen.

Spielen, was der Mensch nicht kann

Auch beim ›Weekender‹, wo er bereits Tage im Vorhinein anreist, um letztlich Sonntags ›zur Messe zu bitten‹ – im übertragenen Sinne, natürlich. Neben diesen Unwägbarkeiten und akribischen Vorbereitungen ist sein Projekt »Nachthorn« ein Versuch der Orgel eine gewisse Regelmäßigkeit und Vergleichbarkeit abzuringen. Er erzählt, dass er selbst gar nicht spiele, sondern die Instrumente via Midi-Controller angesteuert und bedient werden: »Meine Arbeit mit MIDI zielt darauf ab, Stücke zu schreiben, die nicht von Menschen gespielt werden könnten. Ich habe die Melodien in Max/MSP per Hand gezeichnet, damit ich bloß möglichst wenig Kontakt zur Klaviatur meines Controllers habe.«

Das Ergebnis ist, dass man Orgel und Synthesizer nur noch bedingt auseinanderhalten kann. Für Denuc ist es nicht das erste Mal, dass er mit der MIDI-Manipulation einer Orgel experimentiert – schon mit seinem Duo Plapla Pinky verfolgte er häufiger diesen Gedanken, auch wenn das Duo ihn nie umgesetzt hat. Generell werden sich viele Fans und Freund*innen von Plapla Pinky erinnert fühlen: »Gerade Solarium ist die Weiterführung meiner Arbiet mit meinem Freund Raphael Hénard.« Die beiden lernten sich an der weiterführenden Schule mit elf Jahren kennen, freundeten sich schnell an und entdeckten gemeinsam ihre Leidenschaft für Musik; »wir haben die elektronische Musik noch über das Radio kennen gelernt.« Sie eroberten die ersten elektronischen Klänge jedoch nicht über Techno oder House, sondern über Trip-Hop für sich. »Massive Attack und Portishead, der abstrakte Hip-Hop von DJ Krush und die frühen Produktionen auf Mo’wax oder Ninja Tune« waren ihre Begleiter.

[Im] Mittelalter […] habe ich reichhaltige Verbindungen zu unsere heutigen Musiklandschaft gefunden.

Die erste Party war folglich auch kein Erweckungserlebnis, sondern bloß eine etwas langweilige Drum’n’Bass-Veranstaltung in Toulouse. Erst 2008 machte Denuc die ersten erfolgreichen Erfahrungen mit Techno – in Berlin, wo sonst? – und ab 2010 in Brüssel, das seine neue Heimat werden sollte. Da gehöre die Pflege der elektronischen Tradition zum Selbstverständnis der Szene. Ungefähr zur gleichen Zeit entdeckt er jedoch auch seine Vorliebe für Barock-Musik: »Ein Klassik-Festival gab damals elektro-akustische Aktualisierungen der Arbeiten von Johann Sebastian Bach in Auftrag. Ich untersuchte daraufhin die Musik, vor allen Dingen seine Orgel-Stücke. 2013 bin ich dann nach Paris gezogen, habe an der Sorbonne Musikwissenschaften studiert und dann die Musik des Mittelalters für mich entdeckt: Josquin des Près, Guillaume de Machaut und Perotin. Dort habe ich reichhaltige Verbindungen zu unserer heutigen Musiklandschaft gefunden.« Aus dieser Nähe bastelte Denuc dann mit seinem Freund Hénard einen idiosynkratischen Sound, der bereits damals andeutete, was in der Pfarrkirche seinen Höhepunkt findet: Techno und Barock sind sich viel näher als erwartet. Und wer das zu nutzen weiß, der erschafft so eigenartige, grandiose Musik wie das Album »Nachthorn«.