Wie Mount Kimbie im Rückgriff den Fortschritt fanden

07.09.2017
Foto:Frank Lebon / © Warp Records
Mount Kimbie greifen mit ihrer neuen LP zurück in die Vergangenheit. Und doch verwehrt sich das Schaffen von Dominic Maker und Kai Campos jeglicher pessimistischer Retro-Kritik.

Eines Tages lag eine meiner Platten halb zerkratzt in meiner WG. Aus kaum zu erahnenden Gründen fand mein Mitbewohner die »Sketch On Glass EP« von Mount Kimbie so abstoßend, dass er sie unter anderem als Schneideunterlage benutzt hatte.

Dabei kann man durchaus mit gutem Recht behaupten, dass man objektiv Mount Kimbie damals gar nicht schlecht finden konnte. Sie waren die Avantgarde dessen, was unter dem Schlagwort Post-Dubstep für eine ganze Zeit die Musikmagazine dominieren sollte. Mount Kimbie waren Wegbereiter für eine ganze Reihe an Musikerinnen und Platten, die kleinere oder größere Wellen schlugen; deren produktions-ästhetische Herangehensweise bis heute nachhallt. Seien es James Blake Jamie Woon oder SBTRKT auf der poppigeren Seite, oder Jamie XX und viele Platten aus dem Hessle Audio-Umfeld für den Club. Eine ganze Riege vornehmlich britischer Künstlerinnen nahm sich dieser neuen Spielart der Bassmusik an.

Obwohl die »Sketch On Glass EP« eine Vorreiter-Platte war, war doch auf ihr schon viel schon von dem angelegt, was Mount Kimbie mittlerweile zu internationalen Stars gemacht hat: Dem Dubstep nicht abgeneigt, aber in einer Übersetzung, die auch für ein größeres Publikum abseits des Vereinigten Königreichs kommensurabel war.

Aus dem Auge verlor man dabei weder Dubstep als Kind der frühen 2000er, noch die musikalischen Entwicklungen der frühen Neunziger. Einflüsse aus Rave und Jungle fanden sich als Fragmente oder prominente Hook-Lines als auch Beats wieder. Doch Mount Kimbie entwickelten sich weiter und stellten sich vom Sound breiter auf. So landete man – naturgemäß – bei Warp. Nachdem man mit »Crooks & Lovers« schon außerordentlich erfolgreich war, verhalf »Cold Spring Fault Less Youth« zum Durchbruch. Was daran lag, dass man sich eben nicht bloß Post-Dubstep auf die Fahne schreiben wollte. Aus einem clubbigeren Ansatz wurde ein Pop-Baukasten aus dem man sich bediente: beim Post-Punk, R’n’B oder auch Hip-Hop.

»You Took Your Time« mit King Krule war da der Aussichtsturm: Left-Field-House, Hip-Hop und Gitarren, dazu dieses Beat-Fundament, das auch nach dem dritten oder zehnten Anhören weder als Live-Instrument noch als Drum-Machine zu identifizieren war. Und auch wenn »Made To Stray« der große Hit der Platte war, ein sonderlicher Club-Hit, hatte man sich da schon lange von der Konformität des Dancefloors verabschiedet.

Vier Jahre später sieht das alles wiederum ganz anders und nur folgerichtig aus: Mount Kimbie haben sich derweil auf »Love What Survives« downbeatigeren Formen zugewandt. Der gemeinhin verpöhnte Begriff »Trip-Hop« möchte einem nicht so leicht über die Lippen gehen, er taugt aber, möchte man beschreiben, wohin es auf dem dritten Album geht. Wie eine verschrobene Reise in die Vergangenheit muten die elf Tracks an; eine Reise zu den eigenen Wurzeln. Man befindet sich auf dem besten Weg ins Revival der Neunziger-Positionen.

Richtig gemacht, können Rückgriffe Fortschritt bedeuten.

Eine ganze Reihe an Musikern wird dieser Tage wieder aktiver. Massive Attack aber auch DJ Shadow oder The Avalanches haben sich in den letzten Jahren auf Tour begeben oder neue Alben gedroppt. So nahe dieser Bezug auch scheint, muss man aber eher in eine andere Richtung schauen. Gerade die beiden Stücke mit der Sängerin Andrea Balency – nämlich »You Look Certain (I’m Not So Sure)« und »T.A.M.E.D.« – sind weniger mit bassiger oder hip-hoppiger Musik in Verbindung zu setzen, als dass sie mehr nach Bands wie Air klingen. Oder – und da liegt die Vermutung nahe bei bloßem Blick auf ihr Heimatlabel – etwa Broadcast. Broadcasts Musik stand damals mit dem Output der französisch-englischen Band Stereolab zusammen für eine eigene Variante des Post-Punks; eine mit Sechziger-Bezügen und Psych-Einflüssen. Doch seit den 1990er Jahren hat sich einiges geändert.

Damals waren zwei der größten Weiterentwicklungen der modernen Pop-Musik in vollem Gang Das zwar schon erfolgreiche, aber noch junge Pflänzchen Hip-Hop und das rasante Rattern des Technos waren so revolutionär, dass Retro-Vorwürfe nun mal keinen interessierten. Heute befinden wir uns – frei nach Simon Reynolds – im Zeitalter der »Retromanie«: Techno war die letzte Revolution; und Dubstep selbst war ein kleiner neuer Fleck innerhalb der Welt der elektronischen Tanzmusik.

Reviews zum Künstler

Sind Mount Kimbie nun also nichts anderes als Wiederkäuer von musikalischen Ideen, die 25 Jahre alt sind? Wer das so sieht ist nicht nur grenzenlos kultur-pessimistisch, sondern auch blind respektive taub. Die große Stärke des Albums »Love What Survives« ist gerade das Zerfließen über die Zeitzonen, die Nicht-Verortbarkeit und auch das Idiosynkrasie-befreite Arbeiten mit historischen Positionen. Richtig gemacht, bedeutet Rückgriff niemals Rückschritt – und birgt sogar die Möglichkeit des Fortschrittes. So hat man Ende der 2010er Jahre Dubstep weiterentwickelt, so scheint man auch wieder in den nächsten Trend überzuleiten. Dass man sich dabei in den End-Neunzigern bedient ist nicht etwa Manko, sondern große Stärke. Mount Kimbie nehmen auch hier wieder vorweg, was in den nächsten Jahren en vogue sein wird.