Music From Memory – Eine Herzensangelegenheit

29.04.2019
Als sich der Brite Jamie Tiller und der Niederländer Tako Reyenga kennenlernen, wissen sie noch nicht, dass sie eines der besten Reissue-Label gründen werden. Damals stehen vor allem die Wiederentdeckung von Schallplatten im Vordergrund.

Schaut man sich Veröffentlichungskataloge der letzten drei Jahre an, ist ein immer größer werdender Trend hin zu Reissues erkennbar. Auf einmal tauchte da Midori Takadas”:(https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/5067/midori-takada großartiges “»Through The Looking Glass« von 1983 auf, das »Space Museum« der jungen Garagenband Solid Space, Subas posthum erschienenes »Wayang« oder dieses unfassbare »La Diferencia« von Richenel. Die Platten wurden teils durch digitale Algorithmen, teils durch persönlich Austausch zu neuem Leben erweckt. Ein Label, das sich im Prozess des Wieder- und Neuentdeckens mehr für persönliche und sich physisch generierende Entdeckungsschemata interessiert, als für Youtube-Algorithmen oder Discogs-Preise, ist Music From Memory.

»Es ähnelt der Kuration einer Ausstellung, in der du jemandes Werk in Retrospektive, in eine andere Zeit setzt, mit anderen Ohren hörst.«

Der Gründungsprozess von Music From Memory gestaltete sich ziemlich natürlich: Als Jamie Tiller, der seit seiner Jugend einen eklektischen Musikgeschmack besitzt, Anfang der 2000er nach Amsterdam zog, meinte ein Freund zu ihm, er solle mit Tako Reyenga in Kontakt treten. Tako und er hätten einen ähnlichen Musikgeschmack, meinte der Freund. »Ich kannte seinen Namen, weil ich seine CBS Show verfolgte. Aber, um ehrlich zu sein, ich war zunächst nicht wirklich an einem Treffen interessiert, weil das erste, was ich gehört habe, nicht so mein Ding war. Haha! Aber als ich dann einen Mix von Tako hörte, den er für Jonny Nash gemacht hat, wollte ich ihn unbedingt kennenlernen. Wir trafen uns dann in der nicht mehr existenten Minibar in Amsterdam. Von da an fingen wir an, miteinander rumzuhängen und Musik auszutauschen. Er hat auch so einen breitgefächerten Musikgeschmack wie ich. Ab und zu hingen wir auch mit Chee Shimizu aus Japan ab und Basso von dem deutschen Label Growing Bin und tauschten Musik aus.« Jamie und den anderen ging es vor allem um diesen persönlichen Austausch. »Niemand hatte damals ein Label. Chee hatte einen Shop und Basso ein Blog.«

»Das eigentlich Aufregende an Platten liegt nicht an der Rarität oder der Schwierigkeit, ihren musikalischen Status ausfindig zu machen. Alles ist exotisch und rar zu einem gewissen Punkt.«

Neben den Treffen haben sich Jamie und Tako auf Reisen durch die Niederlande, Belgien und durch kleine Städte nach Deutschland begeben und dort nach Platten gestöbert. »Bei manchen Plattenläden in unscheinbareren Gebieten hat sich der Katalog seit den 1980er Jahren nicht geändert.« (lacht) – Wie kleine Schatztruhen erkundet das Duo die Plattenläden auf ihren Trips. Manchmal suchen sie nach einer bestimmten Platte, manchmal stöbern sie einfach herum. »Es gibt diese Momente, in denen du nach etwas suchst und dann etwas ganz anderes, Schönes findest.« Diese magischen Momente entstehen vor allem, wenn man vor Ort ist. »Ich glaube, Discogs schaffte mehr Klarheit darüber, was ›rar‹ ist, aber… alles ist bis zu einem bestimmten Punkt rar und exotisch. Auch erscheint diese Form des Suchens oder auch nicht Suchens wie eine Art Prä-Youtube-Algorithmus. Denn du hast einfach durch Freunde und dich selbst Neues entdeckt.« – Und der Lauf hört nicht auf. Dieser Prozess des Diggens sollte die ersten Steine für den Weg Richtung Labelgründung legen.


Die Schallplatten von Music From Memory findest du bei uns [im Webshop](https://www.hhv.de/shop/en/music-from-memory-vinyl-cd-tape/i:D2L639N4S6U9)


Durch ihr Interesse an neuer (bzw. alter) Musik und daran, diese zu teilen (was sie vor der Labelgründung bereits auf ihrem Youtube-Kanal machten), nahmen sie Kontakt zu manchen Künstlern auf, wie beispielsweise Gigi Masin und Leon Lowman. Sie fragten sie, ob sie vielleicht noch ein paar Kopien hätten und beide antworten: »Ja, klar. Und ich habe noch eine Menge unveröffentlichten Kram. Und nachdem wir uns die Sachen angehört haben, die uns sehr gefallen haben, dachten wir: Damit sollten wir irgendwas machen.« Da nahm der Gedanke einer Labelgründung explizite Formen an. »Die Musik war zu gut, als sie nicht mit Menschen zu teilen.«

»Wir sind mehr an der Musik interessiert als daran, sie zu sammeln und Kollektoren zu werden.«

So ist es primär die Verbindung aus der Neugier nach (un)bestimmten Platten, Altes neu zu entdecken und mit den Musik liebhabenden Menschen zu teilen. Die Mission von Music From Memory ist eine Kuration der Musik in einer anderen Zeit. Es ähnele einer retrospektiven Ausstellung über Fotografie in den 1970er oder 1980er Jahren: »Du triffst heute wahrscheinlich eine komplett andere Auswahl, als du zu jener Zeit getroffen hättest. Der Diskurs spielt dabei weniger eine Rolle, als vielmehr die Veränderung des Hörempfindens der Menschen.« Music From Memorys Musikkuration biete dabei nicht die eine Antwort oder den einen Zugang: »Wir sagen nicht: Wir wissen es besser. Sondern eher: Hey, wir hören die Musik nun mit anderen Ohren.« Somit findet eine Aktualisierung in die heutige Zeit statt. New Age Kompositionen von Mark Isham können nach Larry Heard klingen. Hört man Joel Grahams »Geomancy«, das 2015 auf dem Label wiederveröffentlicht wurde, glaubt man kaum, dass es 1984 aufgenommen wurde. Music From Memory schafft es sowohl mit ihrer Reissue-Kollektion als auch den Neuveröffentlichungen, kontemporär und doch avantgardistisch zu klingen. Durch ihre Liebe zu Details fangen sie Teile des musikalischen Zeitgeists ein und prägen ihn gleichzeitig mit. Ihr Projekt ist kein »Vanity-Projekt«, das mit Prädikaten wie ›obskur‹ oder ›rar‹ Follower anziehen will. Ihre ehrliche und persönliche Verbindung zu den Platten und dahinter stehenden Künstlern hebt sie von anderen Labels ab, die ›rare‹ Schallplatten als das neue, coole Skateboard im Shop bewerben.


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