Records Revisited: Gravediggaz – 6 Feet Deep (1994)

19.09.2023
Ein Konzept? Gab es erstmal nicht. Was die Truppe hatte? Frust und eine Menge zu beweißen. Dann kam der Name. Über die Genese von »6 Feet Deep«.

Am Anfang war das Wort – und das Wort war ein Marketingmove: Horrorcore. Der Begriff öffnete eine neue Schublade, bezeichnete mal eben ein neues Subgenre – und schwupps, war die Rap-Gruppe Gravediggaz in aller Munde. Und alsbald sogar in Rock-Kreisen akzeptiert, was bisher eigentlich nur, im Zuge der Crossover-Welle um Body Count und Rage Against The Machine, den Gruppen Cypress Hill, Beastie Boys oder House of Pain vergönnt war. Das Gravediggaz-Debütalbum »6 Feet Deep« gilt heute als Meilenstein, als zeitloser Klassiker. Herausgebracht wurde die LP im August 1994 von dem in London ansässigen Label Gee Street Records.

Bis dahin geisterte das Gravediggaz-Demo allerdings über zwei Jahre lang durch die Label-Landschaft. Prince Paul ging damit ausgiebig Klinkenputzen – doch Jive, Def Jam, und, und, und: Alle lehnten ab. Einzig Eazy-E bekundete Interesse. Doch der Vertrag von Ruthless Records, den Prince Paul schließlich von Jerry Heller vorgelegt bekam, war so ziemlich das Übelste, was ihm je untergekommen sei, wie er später gegenüber The Quietus bekannte.

Mans muss dazu sagen: Prince Paul war zu dem Zeitpunkt nicht gerade irgendwer. Seine Meriten verdiente er sich schon in den 1980ern als Mitglied der Gruppe Stetsasonic – und seine Lorbeeren als Producer von De La Soul. Deren Wege und seine gingen allerdings zunehmend auseinander. Bei seinem Label Tommy Boy Records war alsbald nichts mehr zu holen. Seinen kreativen Zenit hatte er in den Augen der Hörerschaft ohnehin überschritten. Es ging ihm nicht gut, er war frustriert und demotiviert, denn »die Leute waren auf Neues aus, auf angesagte Typen wie Pete Rock«, wie er Brian Coleman in Check The Technique Vol.2 gegenüber erklärt. »Mir brach der Boden unter den Füßen weg. Da dachte ich: Yo, ich zeig´s ihnen!«

Gangster-Rap war ausgelutscht, und es gab Hühnchen zu rupfen

Da er ohnehin ständig am Beats Bauen war, hatte er eine Menge Instrumentals am Start. Tracks von eher düsterer Sorte, die seinem Gemütszustand entsprachen. Wohin damit, in der schönen neuen Hip Hop Welt Anfang der 1990er? Er kontaktierte einige MCs, die er kannte und wertschätzte – allesamt »ehemalige Tommy Boy-Angestellte«, wie er abfällig bemerkt: Poetic, Prince Rakeem und Frukwan. Alle drei hatten ihre persönlichen Hühnchen mit dem Label zu rupfen.

Das Wichtigste war der Name. Wir einigten uns auf Gravediggaz und bauten ein Konzept drumherum.«

Prince Paul

Frukwan kannte Prince Paul noch aus den gemeinsamen Stetsasonic-Zeiten, während denen der MC aber stets im Schatten von Bandkollege Daddy-O stand. Poetic wurde nach der ersten Veröffentlichung von dem Label gedroppt, sein fertiges Album blieb unveröffentlicht – und er rutschte in die Obdachlosigkeit ab. Prince Rakeem, der während dieser Phase bereits sein Wu-Tang-Süppchen zu kochen begann, wurde ebenfalls nach der ersten Single von Tommy Boy fallengelassen. Heute ist er als RZA berühmt. Den Namen hat er von den Gravediggaz: Er trat dort als RZArector auf. Frukwan war der Gatekeeper, Prince Paul der Undertaker. Und Poetic steppte als Grym Reaper ans Mic, als Reminiszenz an seine alte Crew, The Brothers Grimm.

Horrorcore in den Namen, im Artwork, als roter Faden: Zunächst war das nicht mal beabsichtigt. »Am Anfang hatten wir keinerlei Konzept«, erinnert sich Prince Paul. »Es ging einfach nur um Beats und Raps. Dann aber (…) ging uns ein Licht auf: Das Wichtigste war der Name. Wir einigten uns auf Gravediggaz und bauten ein Konzept drumherum.« Einerseits, weil seine Beats in die entsprechende Richtung wiesen. Und, so Prince Paul, weil Gangsta Rap zu dem Zeitpunkt bereits dermaßen ausgelatscht war, dass sie sich thematisch lieber dem Horror zuwandten. Dem VHS- und Comic-Horror, analog zum artverwandten Horrorpunk, aber ebenso dem vor der eigenen Wohnungstür: »Critics say go to hell, I say yeah / stupid motherfucker, I´m already there.«