Vier Jahre sind in der Clubmusik eine lange Zeit. In den frühen 1990er Jahren war diese Zeitwahrnehmung noch einmal beschleunigter, da plötzlich lauter neue Genres und Stile auf Plattenrillen und Tanzflächen drängten, die alle für sich beanspruchten, das größte neue Ding zu sein. Retrowellen waren damals weniger gefragt. Das Label Warp insbesondere hatte zu Beginn der Neunziger den Sonderstatus, eines der wichtigsten Labels für elektronische Musik weit und breit zu sein. Bleeps und Clonks waren ihre Markenzeichen, die hoch fiepten beziehungsweise ultratief rummsten und für befreiende Befremdung in den »Discos« sorgen konnten.
Nightmares on Wax, anfangs noch ein Duo, lieferten mit ihrer Single »Dextrous« 1989 die zweite Katalognummer von Warp überhaupt, waren in dieser geschichtsträchtigen Phase mithin sehr weit vorn dabei. Ihr Debütalbum »A Word of Science: The First and Final Chapter« folgte zwei Jahre später, mischte Bleeps und Clonks unvoreingenommen mit Hip-Hop. Als dann 1995 »Smokers Delight« erschien, hatte sich nicht allein die Welt der Clubmusik stark verändert. Auch Nightmares on Wax waren vom Duo, bestehend aus George »DJ E.A.S.E.« Evelyn und Kevin »Boywonder« Harper, zum Soloprojekt George Evelyns geschrumpft. Und wo einst House und Techno in ihrer Musik dominierten, beschränkte sich Evelyn jetzt auf Hip-Hop. Der ganz ohne Rap auskam und auch keine heftigen Breakbeats oder sonstwie schroffe Gesten benötigte. Zur Erinnerung: 1995 war das Jahr, in dem etwa der Wu-Tang Clan eine Soloalben-Offensive mit Ol’ Dirty Bastards »Return to the 36 Chambers: The Dirty Version« Raekwons »Only Built 4 Cuban Linx…« und GZAs »Liquid Swords« durchführte, alles Platten, die vorwiegend auf Härte oder Schrilles im Dienste ihrer Botschaft setzten.
DJ E.A.S.E. hingegen war damals ganz woanders unterwegs. Auf »Smokers Delight« konkurrieren die 16 Nummern miteinander vielmehr um den maximal laid back gesampleten – oder gespielten – Groove. Denn längst nicht alle Tracks speisen sich allein aus Samples oder programmiertem Gerät. Vereinzelt gibt es handgemachte Loops von Bass, Gitarre und Perkussion, in sieben Stücken bekommt Evelyn Unterstützung vom Keyboarder Robin Taylor-Firth, der ihn auch auf späteren Alben begleiten sollte.
Dabei beginnt »Smokers Delight« fast so wie das Debütalbum von Nightmares On Wax mit mehr oder minder derselben Nummer. Aus dem »Nights Interlude« ist jetzt ein »Nights Introlude« geworden, die Grundlage bildet weiterhin »Summer In The City« von Quincy Jones. Evelyn lässt die Streicher in diesem zweiten Anlauf weicher fließen, insgesamt ist der Auftakt mehr aus einem Guss. Wobei man zur Verteidigung der ersten Version von 1991 sagen kann, dass deren knisternde Samples das Schönste aus der Vorlage mit einem rumpeligen Charme zusammenfassen, den man nicht unterschätzen sollte.
»Dreddoverboard«, das zweite Stück von »Smokers Delight«, dient als eine Art Abschiedsgruß von Kevin Harper: Es ist die einzige Nummer der Platte, an der er noch mitgearbeitet hat. Der Beat ist vom Drumcomputer geprägt, doch selbst die TR-808 pumpt sehr gemächlich. Kein Vergleich zu früher.
Mit »Pipes Honour« kommt das Album dann so richtig zu seiner Bestimmung. Evelyn regelt das Tempo drastisch herunter, lässt ein paar Gitarrenakkorde über abgespecktem Bass und Drumbreak hallen, das Ganze entfaltet sich über volle neun Minuten. Danach ist man definitiv für den Rest des Albums eingestellt.
Evelyn achtet bei seinen rhythmischen Lockerungsübungen allerdings darauf, nicht einfach Groove über Groove anrollen zu lassen, sondern gestaltet die Dramaturgie schön abwechslungsreich, baut kleine Zwischenspiele ein wie das einminütige »Me + You« über einen Loop aus »Love Is Missing From Our Lives« von den Dells oder das noch kürzere »Time (To Listen)«, in dem es sogar mal einen kurzen Knall gibt, um sicherzustellen, dass niemand weggedöst ist. Auf späteren Alben ist Evelyn diese Art von dynamischer Ausgewogenheit etwas aus dem Blick geraten.
Gegen Ende hin gestattet Evelyn sich und seinen Hörern einen sachten Ausklang mit leiser handgeschlagener Perkussion und introvertierten Melodica-Klängen. Auch hier alles gut.
»Smokers Delight« entwaffnet bis heute als tönendes Manifest der Entspannungspolitik. Dass man seinerzeit in der Musikpresse reflexhaft Trip-Hop zu der Sache sagen wollte, hat Evelyn schon auf dem Plattencover vorweggenommen und als sprachlichen Missgriff zu Marketingzwecken beklagt. Die Zeit hat es, wie’s aussieht, gut mit ihm gemeint: Geblieben ist das wohl beste Nightmares on Wax-Album aller Zeiten. Ein Hip-Hop-Album, versteht sich.