Zwölf Zehner – Januar 2012

03.02.2012
Willkommen im Februar. Doch vorher lassen Florian Aigner und Paul Okraj den Monat Januar musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Auf der Eins menscheln wir heute ganz doll. Der Jiggamayne ist Papa geworden und standesgemäß gibt es für die turbokapitalistisch konsequent Blue Ivy (Blueprint IV, anyone?) genannte Frucht der Lenden Herrn Carters auch direkt einen, stilvoll von Pharrell unterlegten, Willkommensgruß. Nun haben der Okraj und ich Jay-Z in den letzten Jahren vor allem für seine Megalomanie gefeiert, für seine durch Kontoauszüge unterfütterte Unantastbarkeit. Wenn aber dieser Forbes-Listen-Dauergast eine brüchige Stimme bekommt, wenn er bezüglich der Kleinen zu Protokoll gibt: »My greatest creation was you« oder wenn er schildert, wie Familie Carter/Knowles sich den Kopf zerbricht, ob mit dem »Child with the child from Destiny’s Child« alles in Ordnung ist, will man dem stolzen Vater gönnerhaft einfach nur noch auf die Schulter klopfen. Doch alles nur Menschen, die Götter.

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Omar S & OB Ignitt
Wayne County Hill Cops Part 2
FXHE • 2012 • ab 13.99€
History repeating. Pünktlich zum Jahresbeginn veröffentlicht Omar-S mit Wayne County Hills Cops Part 2 eine Platte, die uns das ganze Jahr über begleiten wird. Ganz sicher. Man braucht da kein Prophet sein, aber diese ganz simple Synth, die sich ab der ersten Sekunde unverwüstlich durch den Track drängt, der übrigens konzeptuell nahezu identisch ist mit dem letztjährigen Übertrance sie ist einfach zu verführerisch, als dass man ihr widerstehen könnte. Jahrescharts, ich höre dir trapsen.
Achja: So ganz sicher geklärt, ob es sich hinter OB Ignitt überhaupt um ein weiteres Pseudonym von Detroit’s Finest handelt, ist es nicht. Anyway, wer für diese Synthmelodien zu sorgen im Stande ist, dem fressen wir ohnehin aus der Hand.

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Man muss diese D.C.-Posse rund um Future Times, 100 % Silk, Aurora Halal und Steve Summers einfach gern haben. Mit einem unbändigen kindlichen Enthusiasmus, punkigem DIY-Spirit, Artschool-Nerdism und völliger Scheuklappenfreiheit werden dort momentan mit die kreativsten House-Definitionen geschrieben. Ital, der 2011 bereits mit Culture Clubs und Only For Tonight zwei der unvergesslichsten Tracks des Jahres vorlegte, gehört auch zur erweiterten Familie, auch wenn er mittlerweile in New York residiert und sein erstes Album über Planet Mu, das seit Jahren vielleicht zuverlässigste Label für progressive Bassmutationen jeglicher Art, erscheint. Auf dem Opener bedient sich der bürgerlich auf den Namen Daniel Martin McCormick hörende Schlacks bei Lady Gaga und Whitney Houston, rekontextualisiert deren Superhits aber derart, dass das rein gar nichts mehr mit Effekthascherei zu tun hat. Wüsste man nicht, wie dämlich es klingt, man würde bei den Kollegen von Resident Advisor abschreiben und wild von der neuen Ära des Cubist House sprechen.

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John Talabot
Fin
Permanent Vacation • 2012 • ab 17.99€
Als John Talabot vor zwei Jahren mit Africa, Naomi oder Sunshine in imposanter Manier auf sich aufmerksam machte, war die Verblüffung groß. Heute noch versteht es der Spanier wie kein Anderer auf seinen Produktionen den Groove kontinuierlich voranzutreiben, ihm peu a peu in geringen Dosen immer weiter neue Elemente hinzuzufügen um am Ende des Stückes ein glorreiches zu Finale feiern. Es sind diese wonnigen Winzigkeiten, die auch mit dem Ausnahmestück So will be now… seines Debütalbums Fin auch weiterhin für Verzückung sorgen. Unnachahmlich nämlich, wie Talabot gleich zu Anfang den Hörer bewusst vor den Kopf stößt und das falsch editierte Vocalsample im Loop mit einer Kickdrum auf dem Störgeräusch auflöst. Ein Nerd mit Gefühl und einem unheimlichen Gespür für Details, dessen Album wir gleich mit zum vielleicht besten des Monats ausrüfen möchten.

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George Fitzgerald
Shackled EP
Hotflush • 2011 • ab 6.99€
Diese Engländer wieder. Da produziert George FitzGerald in den letzten Monaten eh schon mit größter Routine einen bemerkenswerten technoiden UK-House-Brecher nach dem nächsten und jetzt fängt er auf Feel Like auch noch an so zu klingen wie Marc Kinchen heute klingen sollte. Wie üblich virtuos geschnittene Vocalsamples treffen auf eine simple Keyboard-Line, wie sie Kinchen Mitte der Neunziger innerhalb von 5 Sekunden einspielen konnte und wie sie später immer wieder in klassischen UK-Garage-Produktionen benutzt wurde. Dazu noch dieser unglaubliche Instinkt für Dynamik und fertig ist die nächste Großtat auf Hotflush.

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Gut geklaut ist halb gewonnen. So dreist wie sich I:Cube hier jedoch bei Nikita Warrens I need You bedient, so folgt er großspurig im Schatten von Charlie Sheen: Always winning. Man kann es ihm nicht verübeln, es war an der Zeit diese imposanten Pianostabs wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Jede Audience dieser Welt, da brauche ich mich gar nicht weit aus dem Fenster zu lehnen, auch in den Klubs in denen die DJs einen lässigen Mix aus Reagge, Soul, Funk, Rock und Electro aus ihren Ärmeln schütteln (Sorry, insider!), springt auf diese Melodie an. Kaum vorstellbar aber, was erst einmal los ist, wenn DJ Harvey zur Peak Time mit Piano in Paradiso zur Messe bittet. Der Titel ist Programm. Und meinen stets meckernden Freunden (&Facebook-Stream), die sich momentan alle so über den bitterkalten Winter auslassen, rate ich: Holt euch mit I:Cube ein bisschen Ibiza ins Haus. Powered by emotions, ihr werdet es ihm danken.

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GB (Gifted And Blessed)
Seven In Twentyfour
All City Dublin • 2012 • ab 5.99€
Drexciya, Drexciya, Drexciya – alle berufen sich immer auf Detroits Aqua-Verschwörungstheoretiker und deren einzigartigen Electro-Entwurf, konsequent daran abarbeiten tut sich daran aber seltsamerweise dennoch kaum jemand, sei es aus Ehrfurcht oder mangelnder Chuzpe. GB, der manchen vielleicht noch als Teil der Sound In Color Crew bekannt sein dürfte, hat hingegen solche Bedenken nicht. Auf Dogon dreht er das Tempo hoch, filtert und reverbt die 808 bis sie beinahe sanft klingt, lässt die Bassline tiefseetauchen (Drexciya again) und schiebt noch hyperaktive Synthstabs nach. Das hätte auch gut auf Harnessed The Storm gepasst und ein viel größeres Kompliment kann man einem Derivat nun wirklich kaum machen.

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Persönliches Highlight des Januars: Der Genuss der Facebook-Kommentare zum Videorelease von Haftbefehls neuer Single Rockafella mäßig. Saftbefehl, das Früchtchen, bei dem man sich doch fremdschämen müsse (vielleicht auch weil er doch homosexuell sei, dieser Möchtegern!). Einen Duden müsse man seiner Premium-Ausgabe seines neues Albums Kanackis beilegen. Und überhaupt: Der Logopäde, der bei Safti den Zuschlag bekommt, der wird sich ne goldene Nase verdienen.
Hach, wie rührend. Herrlich wie sich die vermeintliche Concious-Fraktion, mit Backback und Native-Tongue-Halskette, stets liebemachend zu Erykah Badu, zu solch einem digitalen Shitstorm hinreissen lässt. Kollege Aigner und ich amüsieren uns köstlich und feiern Hafti – auch öffentlich. Der rappt weiterhin mit seinem unverbesserlichen Flow auf übertrieben heftige Beats (Stichwort heavy, seine Auswahl ist immer vorzüglich) und quittiert Kritik dergleichen auf einfache, vor allem ganz eigene Art, indem er seinen Kritikern einfach eine Axt in deren New Era jagt. Und die Biggie Shades? Die kommt bös

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Dass der kanadische Textbook-Hipster Jacques Greene eine (unironische) Vorliebe für R&B hat, offenbarten nicht nur bereits seine ersten Eigenproduktionen, auch die Art und Weise wie Greene bei seinem Boiler Room Set in adrettem Comme Des Garcons Shirt zu Aston Martin Music jegliche Hemmungen abstreifte, ließ den Schluss zu, dass es hier einem Ernst ist um die vielleicht progressivste, gleichzeitig aber auch artifiziellste Musikrichtung der letzten 15 Jahre. So ist der Titeltrack seiner neuen EP Concealer nun die konsequente Fortführung dessen, was The-Dream und dessen Epigone The Weekend schon seit geraumer Zeit tun. Das eigentliche Highlight aber ist Clark, eines dieser typischen Jacques Greene Stücke, das irgendwo zwischen der Peaktime-Manie von Baby I Don’t Know und der herrlich uneitlen Larmoyanz von Another Girl changiert. Clark ist , verglichen mit den anderen drei Stücken der EP, Greene auf Autopilot, aber manchmal muss man sich gar nicht neu erfinden, um für Jubelstürme zu sorgen.

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Man könnte meinen, dieser sympathische Circuit Bender von einem Kerl, dessen Performances man sich immer wieder gerne bei Youtube anschaut, weil er so bunt kostümiert sich immer kindisch freuend vor seinem Monome Controller austobt, hätte in letzter Zeit ein wenig den Faden verloren. Immer ausgefallener wurden seine Arrangements, immer mehr Soundspuren schien er auf seine Stücke packen zu wollen. Seine wahre Stärke, die Melodien, die blieb hingegen ein wenig auf der Strecke. Dass er es besser kann, beweist Daedelus auf staundendswerten, weil runtergestrippten, Interpretation des House-Klassikers Music Sounds Better With You. Das allseits bekannte Chaka Khan-Sample und das Vocal werden deutlich runtergepitcht und von einer neuen, langsam nach vorne rollenden Bassline begleitet. Im Hintergrund schleppt sich äußerst schwerfällig eine immer mächtiger werdene Synth nach vorne und zerrt am Kompressor gleichermaßen wie an Nerven. Wahrscheinlich bin ich der Einzige, den das bisweilen an den Mr. Oizo-Remix für Flying Lotus erinnert. Den habe ich damals aber auch gefeiert. Weiter so, Daedelus!

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