Review

Alison Cotton

Engelchen

Rocket • 2024

München, 1938. Unter den Gästen der Oper tummeln sich zwei unauffällige Sekretärinnen, Ida und Luise Cook. Sie sind aus Großbritannien angereist, sammeln Autogramme und übernachten in denselben Hotels wie Goering und Himmler. Nichts in ihrer Biographie verspricht politisches Bewusstsein. Und doch sollten die Schwestern 29 Jüd:innen das Leben gerettet. Sie haben ihnen die Ausreise sichern, schmuggelten ihre Wertgegenstände und lebten mit bis zu 15 Geflüchteten in ihrem Ein-Zimmer-Apartment leben. Diesen Heldinnen oder, wie die Geretteten die Cooks nannten, der »Engelchen«, widmet Alison Cotton ihr neuestes Album. Dazu greift die Cellistin und Violinistin auf folkige Drones zurück. Anders als im Genre üblich, versucht die Musik weniger, eine abstrakte Atmosphäre zu erzeugen. Auch scheint es Cotton nicht darum zu gehen, eine Geschichte mit einem Soundtrack zu unterlegen. Ihre Musik erzeugt Szenen. Cottons Stimme schwebt über Brieftexten, beklagt »those we failed« und wird brüchig. Zu abstraktem Gesang. Das Unmenschliche verschlägt die Sprache. »Engelchen« ist melancholisch, durchwegs auf hohem Niveau, aber ohne klare Stand-Outs. Mit »Engelchen Now« endet es in der Gegenwart. Cotton hat sich mit Geflüchteten getroffen, vergleicht ihre Geschichten mit denen von 1938. Derzeit planen EU und GB ganz offen, Asylrechte außer Kraft zu setzen. Dazu braucht es keinen »Geheimplan«. Cottons Feier der Zivilcourage ist ein Grabgesang auf Versprechen staatlichen Schutzes. Ein vitales Album.