Review

Bob Dylan

Rough And Rowdy Ways

Sony • 2020

Komisch, dass der mystisch-weise Bob Dylan hier durch die Gräber wühlt, nur um eine Antwort auf die abgenutzte Frage »to be or not to be?« zu finden. Viele Lyrics auf »Rough And Rowdy Ways« sind erstaunlich un-überraschend und auf Anhieb erfassbar. Und vielleicht bleibt man deshalb so verwirrt auf dem Album hängen. Weil man Bob Dylan sonst nur aus der Ferne deuten durfte. Und nun damit ringt, wie man mit der Nähe umzugehen habe: Unter die Freude über das Greifbare mischt sich die Enttäuschung über die Normalsterblichkeit des Mannes, den man so lange als den Mann verklärte, der die poetischsten Antworten auf die größten Fragen haben könnte. Dylan wollte derjenige nie sein. Auf »Rough And Rowdy Ways« ist die Befreiung von den Erwartungen abgeschlossen; und doch singt hier kein Befreiter. »I hate to tell you mister but only dead men are free«. Dazu findet einfach zu viel Auto-Charakterisierung statt. Oft auch noch erstaunlich platt. »I contain multitudes« ist eine von vielen langweiligen (Whitman hin oder her), instagrammablen Selbstbschreibungen eines Typen, der genau diese sonst so kunstfertig vermied. Aber vielleicht ist auch das nur eine Finte. Weiß man bei Dylan ja nie; ob es eine Finte war oder ein Stolpern. Man könnte »Rough And Rowdy Roads« im Impuls einfach BOOMER-ALBUM nachschreien, aber das wäre schon auch zu leicht, Dylan ist sich solchen Rezeptions-Möglichkeiten ja bewusst. Also schon Finte? Man KANN sicher als Mensch, der ganz im Jahr 2020 lebt, diesen Anachronismus – der »Rough And Rowdy Ways« definitiv ist – schon einfach…unpassend finden. Diese merkwürdige Selbst-Kanonisierung, diese Reihe Chopin, Mozart, Shakespeare, Caesar, Dylan, die typischen Dillan-ismen wie »I saw the flowers come and go«, diese Plattitüden wie »I travelled a long road« – schwer zu sagen, wer es sich darin aktuell gemütlich machen kann und will. Aber die Einladung ist da. Die Einladung, es sich auf dem Schoß des Onkels gemütlich zu machen und den gefärbten Stories zu lauschen, während er den Blues spielt. Ein bisschen schwelgen. Sich in der Stärke der tiefen, alternden Stimme suhlen und Sentimentalitäten zulassen. Dylan passt mit »Rough And Rowdy Roads« nicht in diese Zeit. Das wird ihm recht sein. Ziemlich sicher ist ihm gelungen, was er mit dem diesem Album wollte. Es lebt komplett in einem selbstgebauten Kosmos. Man wird es irgendwann zurecht einstimmig als großes, getragenes Spätwerk bezeichnen. Aber das ist alles eine andere Zeit.