Review

Lucrecia Dalt

OU

Care Of Editions • 2015

»OU« lässt von der Welt nicht viel übrig, um sich daran festzuhalten. Lucrecia Dalts Flüsterton, der auf »Syzygy« noch in kompaktem Format erzählte, verschwindet nach wenigen Sekunden, lässt uns allein mit Finsternis. Aus köchelndem Brummen schält sich unmerklich eine Melodie. Figuren aus ur-elektronisch reinen Tönen tasten sich aus hinteren Winkeln hervor, organisieren sich zu graziös-drahtigen Aggregaten elektroakustischen Dubs, tänzeln perkussiv. Und so plötzlich wie sich ihre geometrischen Formen abgezeichnet haben, verflüchtigen sie sich, als hätte man sie sich nur eingebildet, hinterlassen Basswellen mit gekräuselter Oberfläche, feinstes farbiges Rauschen, atonale Schwebeteilchen. Man lauscht nach in diese Hallräume, horcht tief hinein, wo sie abgeblieben sind, ob sie wiederkommen. Was sie nie tun. Gegen die samtige Kühle helfen weder das kleine Duett von Saxophon und Klarinette noch das von Bassgitarre und pfeifender Heizung. Bald richtet man sich in diesem Frösteln ein, dem exquisiten Schauder, der an einem hinaufkriecht, bettet sich in der Zersetzung schwarmhafter, driftender Stringloops. Wie erklärt man, was der unheimlichen Musik, die Lucrecia Dalt von Platte zu Platte noch unheimlicher gerät, solche Präsenz verschafft? Hilft es, um die unterirdisch gelegenen Wohnstätten und Arbeitsplätze in ihrer Biografie zu wissen, umgeben von dunkler, stummer Masse? Oder um ihre gewohnte Praxis, beim Produzieren ausgesuchte Filmklassiker ohne Ton zu projizieren, zur Inspiration – diesmal etwa von Helke Sander oder Werner Schroeter, die ihr aktuelles Zuhause Deutschland zeigen, wie es nicht mehr existiert, geisterhaft? Lucrecia Dalt kann es genügen, mit ihrem technischen Apparat weiter zu verwachsen: Ihren Ton hat sie in ihm längst gefunden. Gut, wenn man sich dabei auf ein Label wie das Berliner Kunstprojekt Care Of Editions verlassen kann, das mit seinem Releaseplan mal geduldig zwei Jahre pausiert, bis ein Werk wirklich reif ist.

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