Das Thema der aktuellen testcard für sich genommen lässt erstmal Schlimmes erwarten: Transzendenz, also das Hinübergleiten von einer Ebene zur anderen oder auch Überschreiten von Grenzen, klingt nach religiösen Budenzauber oder spirituellen Heilsuchern samt den dazugehörigen Scharlatanen. Das riecht nach anti-intellektueller Esoterik oder mindestens verklärenden Drogenberichten von Alt-Hippies, aber wie sollen daraus relevante Beiträge zur Popgeschichte erwachsen? Wie können aufklärerische Ansprüche mit scharfem Blick und progressiver Analyse bei diesem Thema eingelöst werden? Zugegeben: bei früheren Ausgaben der testcard (mit Themen wie »Fleisch«, »Extremismus« oder »Sex«) war das leichter, doch auch diesmal gelingt das Kunststück. Mithilfe verschiedenster Textformen von Aufsätzen und Interviews über Porträts und Gesprächsprotokollen bis hin zum Comic – sogar eine Séance mit Sun Ra ist dabei – sowie aus ebenso unterschiedlichen Richtungen nähern sich die AutorInnen dem gewählten Sujet, um die »Karriere« der Transzendenz im Pop von der radikalen Ablehnung hin zur latenten Akzeptanz nachzuzeichnen.
Abgedeckt werden sowohl naheliegende Popmusikstile wie Free Jazz, Psychedelic Rock oder Drone als auch eher überraschende Genres wie Black Metal, Disco und Vaporwave. In der Mitte des Bandes befindet sich als guter Überblick eine große, nach Genres geordnete Diskographie zum Thema »Transzendenz«. Doch auch nicht-musikalische Themen von LSD über Horrorfilm bis Voodoo werden beleuchtet und eben transzendiert. Abgerundet wird die Ausgabe wie immer durch einen kompetenten wie umfassenden Rezensionsteil, aufgeteilt in »Tonträger« und »Papier«. So multiperspektivisch in Themenwahl und Herangehensweise der Band auch ist, so lassen sich doch einige theoretische Eckpfeiler in den Texten erkennen: natürlich Adorno, die britischen Cultural Studies um Stuart Hall, dazu Hubert Fichte, Guy Debord, Gilles Deleuze und Slavoj Žižek; auf Thomas Metzingers Schrift »Der Ego-Tunnel« wird explizit in thematisch recht unterschiedlichen Beiträgen Bezug genommen. Zusammengenommen ist auch diese testcard wieder äußerst erhellend, durchaus mit akademischem Anspruch in der Aussage und dabei unterhaltsam, ja stellenweise gar witzig im Stil. Für den unakademischen Pop-Laien sind zugegebenermaßen einige Auswüchse universitären Slangs wohl nicht gerade ein Zuckerschlecken – da wird an manchen Stellen schonmal etwas diffus von »Wahrscheinlichkeitsräumen« und »Möglichkeitspotenzialen« schwadroniert – doch das ist scheinbar der Preis für intellektuellen Tiefgang.