Review

Visionist

A Call To Arms

Mute • 2021

Mit seinem dritten Album hat Visionist alias Louis Carnell endgültig seine Stimme gefunden. Zum einen hört man auf **»A Call To Arms« so viel Gesang wie noch nie, unter anderem zum ersten Mal seinen eigenen, und zum anderen wird hier auch seine poetische Vision überdeutlich. Sehr viel song-orientierter als zuvor versucht Carnell, seinen bisher verarbeiteten negativen Gefühlen wie Ängste, Wut und Verrat mit Vertrauen, Zuversicht und Hoffnung etwas entgegenzusetzen und somit einen Ankerpunkt zwischen Realismus und Eskapismus zu schaffen. Zusammen mit Freunden aus Kindertagen wie Ben Romans Hopcraft und Wu-lu oder bekannten Musikern wie Morgan Simpson von Black Midi oder Haley Fohr von Circuit Des Yeux entwirft Visionist eine rätselhafte Klanglandschaft zwischen Noise mit Falsett-Gesang und subtilem Techno mit überraschenden Wendungen und Widerhaken. Das erinnert stellenweise an Yves Tumor, bevor dieser zum Popstar werden wollte, und verweist mit dem Track »Nearly God«, in dem Choräle und Kirchenglocken für eine sakrale Atmosphäre sorgen, (vielleicht unbewusst) auf ein Nebenprojekt von Tricky. Zwischen bittersüßen Gesangslinien wie etwa in »Form« und sperrigen Brocken wie »Allowed To Dream«, für das Carnell vom japanischen Multiinstrumentalisten K.K. Null unterstützt wurde, schafft Visionist einen Möglichkeitsraum, in dem das eigene Innenleben mit der weltlichen Umgebung in einen Dialog treten kann. In einer Gesellschaft von Schlafwandlern könnte »A Call To Arms« somit dem Fingerschnippen eines Hypnotiseurs gleichkommen, das den Träumenden zurück in die Wirklichkeit holt.