Pusha T über die Angst, alles zu verlieren

22.02.2016
Pusha T rappt seit über einem Jahrzehnt mit ungebrochener Bissigkeit. Dieses Jahr will er sich mit »King Push« selbst krönen. Wir haben mit ihm über das Prelude zum Album, »Darkest Before Dawn« gesprochen.

Nicht exakt dort zu stehen, wo er gemäß seines Talents und Charismas hingehört, ist eine Konstante in der Karriere von Pusha T. So komfortabel wie zur Zeit (u.a. ist er Präsident von GOOD Music) dürfte es Terrence Thornton aber noch nie gegangen sein. Dennoch basieren die 10 Songs von »Darkest Before Dawn: The Prelude« auf der Algebra der Überlebensstrategien und der ständig schwelenden Paranoia, alles wieder an die Wand zu fahren. Zum Glück (für den Hörer) entwickelt dieses Spannungsverhältnis ähnliche Effekte wie die verschnupfte Arroganz von 2002, die die Thorntons zum stylishsten Brüderpaar zwischen Virginia Beach und Brighton Beach aufsteigen ließ.

Bei derart viel fatalistischem Selbstbewusstsein vergisst man schnell, dass das alles kurz nach »Hell Hath No Fury« noch ganz anders ausgesehen hatte. Als Opfer einer branchenüblichen Verkettung von Politricks erreichten Clipse ihren kreativen Zenit mit derselben Platte, deren Verkaufszahlen wohl den halben Jive-A&R-Staff um ihre Jobs gebracht hat. Die Geschichte ist bekannt: »The Casket« droppte, (No) Malice fand zu Gott, und Pusha T eine Abkürzung in die Untiefen des Indie-Hustles – lauwarme 16er für MC Josef Jedermann inklusive. Selbst der Schulterschluss mit Kanye Wests GOOD Music schien zunächst nicht mehr bereit zuhalten, als die Rolle des vergoldeten Bankdrückers in einer Franchise, die für nur einen Star gebaut wurde.

»Batman kriegt über 40% des ganzen Cartoons lang auf die Fresse. Du musst über die Zeiten rappen, in denen Du am Boden lagst.«

Pusha T

Stattdessen hat Pusha T sich seine eigene Nische geschaffen. Sein neues Selbstverständnis als letzter Lyricist unter den gurgelnden »Kings of The YouTube« steht ihm hervorragend, erst recht wenn Puffy, Timbo, Q-Tip und HudMo dafür knochentrockene Unterlagen aus ihren B-Seiten-Ordnern zaubern. Dabei ist Pushas ›Coke Rap 3.0‹ selbstredend kein verlässlicher Tatsachenbericht aus dem Import-Export Business von Virginia. Vielleicht ist er das nie gewesen. Heutzutage dient Pusha T das Genre, das Clipse zwar nicht erfunden, aber fraglos für ein junges Publikum (auch und vor allem: weiße Nerds) aufpoliert haben, nur noch als linguistisches Universum, voller Kombinationsmöglichkeiten für Pulver-Puns, spanische Familiennamen und angewiderte Adlibs. Ein magischer Ort, in dem man Authentizitätsdebatten mit einem Rotznasengeräusch und dem Ric Flair »whoo« beiseite schiebt.

Du hast die Texte deiner Singles veröffentlicht bevor es überhaupt Musik gab und sogar deine eigenen Anmerkungen geschrieben. Die Struktur deiner Strophen scheint dabei besonders wichtig gewesen zu sein. Könntest Du ein bisschen was zum zweiten Verse von »Money, Pussy, Alcohol« erzählen? Der Part ist recht kontrovers…
Pusha T: »Money, Pussy, Alcohol« handelt von den drei Lastern, mit denen junge, schwarze Männer in den Straßen konfrontiert sind. Sie fördern Eifersucht und Wollust und einen ganzen Haufen an Unwägbarkeiten, die in großer Scheiße enden können. Im zweiten Verse spreche ich aus der Perspektive eines Typen, der das Around-the-way-Mädchen aus seiner Gegend nicht zu schätzen weiß. Er versteht nicht, was er an ihr hat, nämlich einen ungeschliffenen Diamanten. Du triffst dich mit solchen Mädchen, sie sind die ganze Zeit für dich da, aber du nimmst sie als gegeben hin. Bis sie dann aus der Nachbarschaft abhauen und die Typen aus der ganzen Stadt sie für ihre Großartigkeit und Schönheit bewundern. Dabei sind sie es, die die Hood am Laufen halten, Dinge erledigen, sich um um alle kümmern… vielleicht sogar sich selbst in Gefahr gebracht haben. Wenn sie dich zum Beispiel vor den Bullen verstecken oder ähnliches.

Starke Charaktere also, die wenn überhaupt nur wenig wertgeschätzt werden…
Pusha T: Ja, dieser außergewöhnliche, lustige Charakter dieser Mädchen kommt direkt von der Straße. Aber sie ziehen Leute an, die es auf normalen Wegen geschafft haben und die sie vernünftig behandeln. Und irgendwann haben solche Mädchen keine Lust mehr auf diesen Lifestyle, die ganzen Besuche im Knast und so weiter, und suchen sich Freunde in der Stadt. Am Ende der Strophe wird klar, dass ich aus dieser Perspektive zurückblicke… Mann, wir verlieren diese Rohdiamanten, einfach weil wir uns nicht vernünftig um sie kümmern.

Reviews zum Künstler

Die letzten paar Zeilen bieten einen interessanten Twist auf das ganze »Gold Digger«-Klischee…
Pusha T: Die ganze Idee dieser vermeintlichen Gold Digger-Mentalität kommt mir komisch vor. Ich kenne niemanden auf der Welt, der kein extravagantes Zeug haben will. Ich kenne niemanden, der nicht mit den coolen Leuten herumhängen und sich mit schönen Dingen umgeben möchte. Wir alle streben etwas an und gerade die Mädchen, die in den Straßen groß geworden sind, bekommen selten die Wertschätzung, die ihnen zusteht.

Ein weiteres Beispiel für die Wichtigkeit deiner Songstrukturen ist »Keep Dealing«. Du und Beanie Sigel, ihr beendet jede eurer Strophen damit, wie ihr eure erste, zweite und dritte Million verpulvert habt. Bist du die Angst, wieder alles zu verlieren, jemals los geworden?
Pusha T: Nein, ich glaube die Angst alles zu verlieren, geht niemals weg. Ich wache jeden Tag auf und denke darüber nach, wie ich vermehren kann, was ich habe; wie ich wachsen kann und mehr Sicherheit in mein Leben bringe. Der Umgang mit der Musikindustrie hat mich vor allem gelehrt, dass nichts unüberwindbar ist. Ich sage das immer wieder, aber: Ich fühle mich wie der letzte Rap-Superheld. Man kann keine Superhelden-Geschichte erzählen, wenn man nicht über die Kämpfe spricht, die man verloren hat. Batman kriegt über 40% des ganzen Cartoons lang auf die Fresse [lacht]! All diese Typen verlieren ständig und der Joker sieht wie der sichere Gewinner aus, bis zur letzten Minute. Im Rap ist das nicht anders, du musst über die Zeiten reden, in denen du am Boden lagst.

Das scheint ein bisschen das Kernthema der Platte zu sein: selbstverantwortlich zu handeln vs. sich zum Opfer machen zu lassen.
Pusha T: Yo, einhundert Prozent.

Du verlangst dir selbst sehr viel Vertrauen in deine Lyrics ab. Auf dem Album und generell rappst du oft auf Beats, die auf das Nötigste heruntergebrochen sind. Da stehen deine Worte ganz schön im Fokus.
Pusha T: Ja, »bare bones rapping«. Das versuche ich um jeden Preis zu erreichen. Ich denke, da ist mein Platz in der heutigen Hip Hop-Landschaft. Die meisten achten darauf eher weniger im Moment.

»Ich fühle mich wie der letzte Rap-Superheld.«

Pusha T

Die erste Single »Untouchable« war bereits sehr minimalistisch. »Got ‘em Covered«, der andere Timbaland-Beat auf der Platte ist aber komplett verrückt. Ab-Liva, den du auf dem Song featurest, gilt als hervorragender Lyricist, aber wie hat er auf dieses Skelett eines Instrumentals reagiert?
Pusha T: Oh Mann, er war so dermaßen begeistert als ich ihm gesagt habe, dass das die Platte ist, auf die ich ihn… [lacht]! Mit einem Timbaland-Track zu arbeiten ist für eigentlich jeden Rapper ein Traum, der wahr wird. Einfach, weil Timbos Beats dich herausfordern. Sie sind wie ein Puzzle. Sobald du es gelöst hast, weißt du, dass du einen Track hast, der niemals zu reproduzieren ist. Du hast den Beat erobert.

Worin liegt die Schwierigkeit? Seinen Rhythmus zu finden?
Pusha T: Genau, seinen eigenen Rhythmus und eine Melodie über dem Beat zu finden. Dabei muss man prägnant bleiben ohne einfach drauflos zu palavern. Du musst dich durch die ganzen Instrumente und verrückten Sounds, die Timbaland benutzt, richtig durchboxen.

Du hast erwähnt, dass du bewusst die B-Seiten und düsteren Songs deiner Produzenten für »Darkest Before Dawn: The Prelude« benutzt hast. Was sagt uns das für den Sound von »King Push«?
Pusha T: Ich sag mal so: Das Präludium hatte eine durchgängige Färbung, eine Atmosphäre die mir gefällt und von der ich glaube, dass sie die Fans von mir wollen. »King Push« wird nicht monoton düster sein. So wie jetzt auf »Darkest Before Dawn: The Prelude« höre ich meine eigene Musik am liebsten. Aber auf »King Push« wird es mehr Farben geben, mehr Features, mehr Aspekte, die für ein bisschen mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit sorgen können.

Dieser Artikel erschien zu erst bei Passion Of The Weiss auf Englisch. Mit freundlicher Genehmigung der Kollegen könnt ihr ihn nun bei uns auf Deutsch lesen.